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Der Abgasskandal erreicht jetzt auch BMW.

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Update Exklusiv

Abgasskandal: Wie die Umwelthilfe bei BMW geprüft hat

Unabhängige Messungen haben den Verdacht erhärtet, dass auch BMW die Abgasregulierung manipuliert. BMW weist die Vorwürfe zurück. Wie ist die Beweislage? Fragen und Antworten zum Thema.

Jetzt wird es auch für BMW-Chef Harald Krüger gefährlich. Immer wieder hatte er versichert, bei seinem Unternehmen gebe es keine Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigungsanlage der Autos, in der Fachsprache Defeat Device genannt. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) im September hatte Krüger gesagt: „Es gibt kein Defeat Device bei der BMW Group.“

Messungen und eingehende Untersuchungen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) legen jedoch den Verdacht nahe, dass das nicht stimmt. Mehrfache Tests mit mehreren Wagen von BMW ergaben auffallende Abgaswerte. Die Analyse der Motorsoftware durch einen Fachbetrieb zeigte, dass die Abgasrückführung und -reinigung schon bei mäßiger Beschleunigung unter realen Bedingungen auf der Straße abschaltet. Die Messergebnisse der DUH liegen dem Tagesspiegel und dem ZDF-Verbrauchermagazin „Wiso“ exklusiv vor. Am Dienstagmorgen werden sie in der Bundespressekonferenz vorgestellt.

Was ist der Vorwurf gegen BMW?

Die DUH hat einen BMW Touring 320 Diesel mehrfach gemessen und dabei festgestellt, dass die Emissionen von Stickoxiden (NOx) bei Messungen auf der Straße bis zu sieben Mal so hoch lagen wie im Labortest nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ). Auch innerhalb der Straßenmessungen gab es große Unterschiede beim NOx-Ausstoß.

Das liegt nach Erkenntnissen der DUH an der Motorsteuerung: Die Software ist offenbar so programmiert, dass die Abgasrückführung bereits ab einer Drehzahl von 2000 Umdrehungen pro Minute reduziert und ab 3500 Umdrehungen komplett abgeschaltet wird. Entsprechend verschlechtern sich die NOx-Werte.

Wie lief die Prüfung ab?

Die DUH hat 2017 insgesamt fünf BMW-Fahrzeuge untersucht, davon vier mit dem gleichen Motor. Alle zeigten vergleichbar auffällige NOx-Werte. Beim jetzt veröffentlichten Fall geht es um einen BMW 320d nach Euro-6-Norm. Er wurde im September 2016 erstmals als Neuwagen zugelassen. Die DUH verwendete auch in diesem Fall ein Exemplar von einem Autovermieter. Damit will sie sicherstellen, dass der Wagen nicht vom Hersteller manipuliert wurde. Außerdem wird durch die vielen verschiedenen Fahrer gewährleistet, dass sich Motorsteuerung und Automatik nicht auf den Fahrstil eines Fahrers einstellen können.

Auf einer Teststrecke von 31,5 Kilometern auf öffentlichen Straßen im Südwesten von Berlin fuhren Axel Friedrich, Leiter des Emissionskontrollinstituts der DUH, und seine Mitarbeiter den normalen EU-Zyklus NEFZ nach. Dieser ist auf der Straße auffallend langsam. Deshalb testeten sie auch einen NEFZ-Zyklus mit einer um zehn Prozent angehobenen Geschwindigkeit außerorts.

Wie sahen die Messergebnisse aus?

Bei allen acht Messungen lag der BMW 320d über dem EU-NOx-Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer. Im Durchschnitt waren es 212 Milligramm. Auffallend war die Streuung: Wurde der Wagen strikt nach dem NEFZ-Zyklus für außerorts gefahren, kam er im Schnitt auf 182 Milligramm. Wurde er dagegen nach NEFZ plus zehn Prozent Tempo gefahren, was wesentlich praxisnäher ist, wurden durchschnittlich 470 Milligramm gemessen.

Was kam bei der Motorsteuerung heraus?

Misstrauisch geworden, untersuchten Friedrich und seine Kollegen das gesamte Fahrzeug. Der Tüv Nord bestätigte zwar die Messergebnisse der DUH zu den Emissionen, sah sich aber nicht in der Lage, die Software der Motorsteuerung auszulesen. Das übernahm dann das Unternehmen DS Motorsport, das seit mehr als 30 Jahren die Leistung von BMW-Autos steigert. Deren Experten holten sich die kompletten Daten aus dem Bosch-Motormanagement des 320d. In der Software erkannten sie einen Programmteil, der die Abgasrückführung ab einer Drehzahl von 2000 Umdrehungen reduziert und ab 3500 Umdrehungen ganz abschaltet. Das sind Bereiche, die im Alltag sehr häufig genutzt werden. Mit 3500 Umdrehungen kommt der BMW im fünften Gang lediglich auf eine Geschwindigkeit von 112 Kilometern in der Stunde. Friedrich sagte dem Tagesspiegel zudem, dass die Abgasreinigung schon ab einem Drehmoment von 200 Newtonmetern abgeschaltet werde – für einen kräftigen Diesel wie den 320d ebenfalls ein niedriger Wert, der in der Praxis überschritten wird.

Was bedeutet das für den BMW-Chef?

Krügers Bekenntnis auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) war sehr eindeutig. So klar äußerte sich das Unternehmen jetzt gegenüber ZDF-„Wiso“ nicht mehr. Zu möglichen Abschalteinrichtungen sagte BMW nichts. Sollte Krüger der Falschaussage überführt werden, geriete er zumindest in Erklärungsnot.

Am Montag reagierte der Konzern dann auf die Vorwürfe noch einmal offiziell und wies die Vorwürfe zurück. Der Konzern erklärte, BMW-Fahrzeuge entsprächen grundsätzlich "den jeweils gültigen gesetzlichen Vorschriften". Sie seien nicht manipuliert.

"Es gibt bei der BMW Group keinerlei Aktivitäten und technische Vorkehrungen, den Prüfmodus zur Erhebung von Emissionen zu beeinflussen - das heißt, dass unsere Abgas-Systeme sowohl auf dem Prüfstand wie auch in der Praxis aktiv sind", teilte BMW weiter mit. Auch hätten vergleichbare Fahrzeugtypen zahlreiche weltweit behördlich durchgeführte Nachprüfungen 2016 mit sehr guten Ergebnissen bestanden. Zum Straßentest der Umwelthilfe erklärte das Unternehmen, es nicht für aussagekräftig zu halten, "beliebige Straßentests mit willkürlich gewählten Teilabschnitten eines Rollentests zu vergleichen und daraus plakativ hohe Abweichungsfaktoren zu erheben". Um valide Vergleiche anstellen zu können, seien deutlich längere Streckenabschnitte sowie eindeutig bestimmbare Randbedingungen nötig.

Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn ist über die Dieselaffäre gestürzt. Allerdings hatte VW die Manipulation der Motoren letztlich zugegeben. Anders Daimler: Gegen den Stuttgarter Autohersteller wurde ebenfalls der Vorwurf erhoben, Abschalteinrichtungen verbaut zu haben. Vorstandschef Dieter Zetsche hatte den Vorwurf aber stets zurückgewiesen. Er ist immer noch im Amt.

Auffallend war jedoch, dass Daimler im Juli mehr als drei Millionen Dieselautos zurückgerufen hatte – fast alle Fahrzeuge, die der Hersteller in Europa mit den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 verkauft hatte. Rund 220 Millionen Euro hatte der Autobauer dafür ausgegeben – völlig freiwillig, wie er betont. VW hat insgesamt mehr als 22 Milliarden Euro für Strafen und Schadensersatzzahlungen an Autobesitzer eingeplant.

Mehrere Staatsanwaltschaften in Deutschland haben schon Unterlagen bei Opel, VW, Audi und Daimler beschlagnahmt. Auch bei Daimler geht es um Abschalteinrichtungen bei zwei verschiedenen Dieselmotoren. Diese Einrichtungen sind nach der EU-Verordnung 715/2007 grundsätzlich nicht erlaubt.

Wie sind die Werte bei anderen Autos?

Die Messergebnisse für den BMW 320d sind schlecht, im Vergleich mit Autos anderer Hersteller aber nicht ungewöhnlich. Bei Messungen von aktuellen Euro-6-Fahrzeugen bei winterlichen Temperaturen kam die DUH auf erschreckende Ergebnisse: Der Fiat 500 X 2.0 stieß 1380 Milligramm NOx pro Kilometer aus. Der Renault Captur 1.5 dCI war mit 1316 Milligramm kaum besser. Der Land Rover Discovery blies 1242 Milligramm raus, Volvo S90 und Opel Zafira waren mit rund 1000 Milligramm nur unwesentlich besser. BMW-Pkw schnitten mit Werten zwischen 200 und 300 Milligramm nach dem damaligen Testdesign überzeugender ab. Wirklich gut waren aber nur der Audi A5 2.0 TDI und der Mercedes E 200d, die mit Werten von gut 40 Milligramm sogar den EU-Grenzwert von 80 Milligramm unterboten.

Wann könnten Fahrverbote kommen?

Die europäische Luftreinhalterichtlinie legt Grenzwerte fest, die eigentlich seit 2010 verbindlich eingehalten werden müssen. An etwa 60 Prozent der Messstellen an großen deutschen Straßen werden diese Grenzwerte jedoch anhaltend überschritten. Hauptverursacher sind Dieselfahrzeuge. Die EU-Kommission hat schon 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die DUH hat in 19 Städten darauf geklagt, dass die EU-Grenzwerte eingehalten werden. Nach eigenen Angaben hat sie alle Verfahren in allen Instanzen gewonnen. Da die direkte Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen wurde, richten sich am 22. Februar 2018 alle Augen nach Leipzig: Dann werden die Richter voraussichtlich ein Urteil fällen, das bundesweit verbindlich ist. Da die bisher geplanten Software-Updates für Pkw und die anderen auf den verschiedenen Dieselgipfeln beschlossenen Schritte wenig bringen, könnte es sein, dass die Richter Fahrverbote verhängen.

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