zum Hauptinhalt
Franz Kühmayer, ehemaliger Manager und heute Experte für das Thema New Work

© Zukunftsinstitut

New Work in Unternehmen: "Hierarchien haben ausgedient"

Die Arbeitswelt steht vor großen Umwälzungen und das hat Auswirkungen auf die Organisation unserer Arbeit. Warum es in Zukunft nicht mehr den einen Chef an der Spitze geben wird, weiß Franz Kühmayer, Experte für das Thema "Zukunft der Arbeit".

Franz Kühmayer ist Experte für das Thema "Zukunft der Arbeit". Er verfügt über jahrelange Erfahrung als Manager, ist heute Strategieberater und begleitet Firmen bei ihrem Kulturwandel. Er arbeitet auch mit dem Frankfurter "Zukunftsinstitut" zusammen, einem Thinktank, der sich mit Trendforschung befasst.

Herr Kühmayer, Unternehmensnachfolge ist vor allem dann ein Thema, wenn das Unternehmen klassisch, also hierarchisch, organisiert ist. Was für andere Formen sind denn möglich?
Mit dem Beginn der Arbeitsteiligkeit, also dem klassischen Taylorismus, hat man erkannt, dass es ziemlich schwierig ist, eine Firma als Ganzes zu leiten, und hat sie deswegen in kleinere Einheiten unterteilt. Daraus sind die klassischen Strukturen entstanden, wo an der Spitze eine Führungskraft steht – in der Vergangenheit meistens eine männliche Führungskraft – und darunter pyramidenartig die Abteilungsleiter. Heute erleben wir aber sehr häufig, dass in Unternehmen projektartige Strukturen entstehen, dass Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen oder Fachbereichen zusammenkommen, um bestimmte Aufgabenstellungen zu lösen, und sich diese Struktur nach einer bestimmten Zeit wieder auflöst.

Ist das, was wir gerade erleben, eine weitere Ausdifferenzierung der Arbeitsteiligkeit?
Heute erodieren massiv einige der Grundprinzipien, wie Unternehmen erfolgreich geführt werden können, und die Arbeitsteiligkeit gehört dazu. Ich erlebe sehr häufig, dass Führungskräfte zu mir kommen und sagen: "Ich habe hier zwei Abteilungen, die kommunizieren nicht gut miteinander, die arbeiten nicht gut miteinander, was kann ich tun?" Doch die Schlüsselfrage der Gegenwart ist nicht mehr, Arbeitsteiligkeit zu organisieren, in Abteilungen zu denken oder Arbeit aufzuteilen, sondern das Gegenteil, nämlich Zusammenarbeit herbeizuführen. Und das ist so schwierig.

Warum ist das so schwierig?
Weil man in der Vergangenheit eine bestimmte Arbeitsweise als bestmöglichen Arbeitsstil identifizieren und dann allen Arbeitseinheiten vorgeben konnte. Wenn ich am Fließband eine relativ einfache mechanische Tätigkeit habe, dann komme ich irgendwann mal drauf, wie ich diese Tätigkeit bestmöglich ausführe. Wenn es aber um Kreativität und Innovation geht, funktioniert das nicht mehr. Die Schwierigkeit ist heute: Wie bringe ich Menschen in ihrer Individualität, in ihrer Vielschichtigkeit, in ihren unterschiedlichen Arbeitsstilen dazu, zusammenzuarbeiten? Und daraus ergeben sich Herausforderungen, die ich nicht mehr mit pyramidenartigen oder hierarchischen Strukturen lösen kann, sondern wo ich neue Organisationsformen brauche.

Hat das auch ein bisschen was mit den Leuten zu tun, die nachwachsen?
Ich denke, die große Leistung der "Generation Y"-Diskussion ist, zu hinterfragen, was ein gelungenes Arbeitsleben ausmacht und wofür Menschen brennen, was sie begeistert und was sie aus intrinsischer Motivation langfristig begeistert hält. Es war in der Vergangenheit sehr einfach, diese Frage zu beantworten: Da ging es um Geld, ein Dienstauto oder um zwei Prozent Bonus am Jahresende. Es ist eine ganz menschliche Weiterentwicklung, zu sagen, ich möchte sinnstiftende Arbeit haben, ich möchte mich persönlich weiterentwickeln, ich möchte mein Familien- oder Privatleben mit meinem Arbeitsleben in Einklang bringen können. Und diese Fragen sind mittlerweile nicht mehr auf die wenigen hochtalentierten Jungen dieser Generation konzentriert, sondern haben das gesamte Unternehmen erfasst.

Glauben Sie, dass das traditionelle Modell aussterben wird, weil es zu unsexy ist? Zu wenig agil und flexibel?
Unsexy wäre der falsche Grund, warum es ausstirbt. Nicht agil genug finde ich schon eine richtigere Begründung dafür. Ich denke, dass es deswegen an Bedeutung verlieren wird, weil auch die besten Führungskräfte – top ausgebildet, welterfahren, in ihrer Branche Experte – anerkennen müssen, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche System, in dem sie agieren, so komplex geworden ist, dass man als einsamer Kapitän, der auf der Brücke steht, nicht mehr Deutungshoheit hat. Man kann die Probleme nicht mehr alleine lösen. Stattdessen brauchen sie die Intelligenz und Erfahrung von Teams und von den sehr unterschiedlichen Menschen, die darin arbeiten. Und das bedeutet, dass ich mehr Freiheitsgrade in die Organisation hineintragen und weniger an der Spitze konzentrieren muss.

Ist ein riesiges Schlachtschiff, wie etwa der Volkswagen-Konzern, in der Lage, sich so umzubauen?
Ich glaube, dass es gar keine Alternative dazu gibt. Wenn man sich etwa den Volkswagen-Konzern insgesamt anschaut, dann funktioniert der ja jetzt schon in dezentraleren Einheiten. Manche sind straffer, andere weniger straff geführt, aber dass eine Person oder ein Vorstandsteam in einem Zigtausend-Mitarbeiter-Konzern alle Entscheidungen treffen kann, das ist jetzt schon illusorisch.

Können Sie mir ein interessantes Modell nennen, auf das Sie bei Ihrer Arbeit gestoßen sind?
Interessante Modelle entstehen dort, wo sich Unternehmen mit der Kernfrage der Innovation auseinandersetzen. In der Vergangenheit fand Innovation im geheimsten Ort des Unternehmens statt. Das sieht man zum Beispiel in Filmen, irgendwelche Experten, die im weißen Arbeitsmantel mit Schutzbrille in weggeschlossenen Labors vor sich hin arbeiten, wo man Zutrittscodes eingeben muss, um überhaupt zu ihnen vordringen zu können. Doch heute erkennen auch große Organisationen, dass Innovation nicht im weggeschlossenen dunkelsten Labor stattfindet, sondern an den Außengrenzen – dort, wo die Interaktion mit Kunden, mit Partnern, mit Lieferanten stattfindet. Ein Beispiel wäre Ford, die sich in den USA sehr nahe an die sogenannte Maker-Community heranwagen. Ford arbeitet ganz gezielt mit Start-ups zusammen, wo neue Fertigungsabläufe, Fertigungsmethoden und Konstruktionsmethoden ausprobiert werden. Auch in Berlin gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die Forschungs- und Innovationszentren gründen, wie SAP oder Microsoft.

Gibt es Branchen, für die sich das Modell gut eignet, und andere, zu denen das weniger passt?
Das ist unabhängig von der Branche und von der Leistung, die man anbietet. Sei es eine Dienstleistung oder ein Produkt wie Babybrei: Der Erfolg der Zukunft wird sich ziemlich sicher über Innovation erschließen. Der Wettbewerb nach unten in Richtung von günstiger und effizienter ist einer, der auf Dauer nicht zielführend zu gewinnen ist. Dieser Wettbewerb kann nur zu gewinnen sein, indem man sich nach oben entwickelt, indem man wertvollere Produkte herstellt und besseren Brei anbietet. Der Breihersteller wird über die Zeit hinweg nicht dadurch gewinnen, dass er mehr Brei zu billigeren Preisen herstellt, sondern dass er den besseren Brei zu höheren Preisen herstellt. Und das führt uns zum Thema Innovation: Strukturen und Organisationsformen, die Innovation fördern, sind entscheidend.

Wenn oben nicht mehr der Chef sitzt, wer trifft dann unangenehme Entscheidungen, wenn es etwa darum geht, Mitarbeiter zu entlassen?
Es gibt Firmen, die damit bereits experimentieren, Entscheidungen aus der anderen Richtung zu treffen, nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Das bekannteste Beispiel ist die Firma Semco in Brasilien, die als erstes größeres Unternehmen vollkommen demokratische Strukturen eingeführt hat. Dort wählen die Mitarbeiter ihre Führungskraft, dort stimmen sie darüber ab, ob es Gehaltserhöhungen gibt oder nicht, sie haben auch Mitspracherecht beim Kurs des Unternehmens. Das muss man jetzt nicht gleich so extrem treiben, es ist aber ein Weg, und der funktioniert deswegen, weil hier ein anderes Menschenbild zum Tragen kommt: Meine Mitarbeiter sind grundsätzlich schlauer als ich glaube, und sie sind grundsätzlich auch in der Lage, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Es gibt aber auch Mitarbeiter, die Dienst nach Vorschrift machen. Wie kommt man an die ran?
Ich höre dieses Argument sehr häufig von Führungskräften: "Meine Mitarbeiter sind noch nicht bereit für so etwas." Das stimmt dann, wenn sie in der Vergangenheit auf eine Weise geführt wurden, wo man ihnen gar keine Verantwortung übertragen hat. Denn so eine Organisationsform erschüttert ja auch das tradierte Bild der Führungskraft. Was ist meine Rolle als Führungskraft in einem System, in dem immer mehr Entscheidungen von Mitarbeitern getroffen werden, in dem sie die Dinge mehr oder weniger selber organisieren? Das ist ja eine Identifikationsfrage. Meiner Meinung nach sind es letztendlich ganz wenige, die sagen: "Lasst mich mit dem Zeug in Ruhe. Ich möchte hier von neun bis 17 Uhr arbeiten und mich sonst um nichts kümmern."

Und wer trägt am Ende die Verantwortung, wenn es zum Beispiel um Haftungsfragen geht?
Am Ende muss es eine klar definierte Verantwortung geben. Es muss klar sein, woher die Entscheidung kommt und wer sie getroffen hat und auf welcher Basis. Möglich kann das sein, indem zwar kooperative Entscheidungen getroffen werden, es aber zum Beispiel rotierende Verantwortlichkeiten für bestimmte Fragen gibt. Teams entscheiden, es muss aber immer einer oder eine kleinere Körperschaft abzeichnen, aber das ist nicht immer konstant die gleiche, es könnten sich Gremien bilden und ähnliche Dinge.

Und wem gehört das Unternehmen?
Grundsätzlich ist die Leitung eines Unternehmens ja vom Eigentum des Unternehmens getrennt zu betrachten. Es macht allerdings absolut Sinn, diejenigen, die den Unternehmenskurs bestimmen, auch am Erfolg zu beteilgen. Finanzielle Mitarbeiterbeteiligung ist ja – auch in traditionell strukturierten und geführten – Unternehmen vielfach schon Alltag, etwa über Anteile oder Bonusprogramme. In einem “Bottom-Up”-Unternehmen macht das natürlich noch mehr Sinn.

Aber auch hier müssen ja Führungspersonen ersetzt werden, wenn sie ausscheiden. Wie funktioniert das?
Da würde ich unterscheiden: Nachfolge in der Führung des Unternehmens wird durch stärkere Mitarbeitereinbindung wohl eher organischer, sanfter vor sich gehen, weil eben tendenziell nicht mehr eine einzelne herausgehobene Person zu ersetzen ist, sondern sich die Verantwortung auf mehr Schultern verteilt. Die Nachfolge in der Eigentümerschaft bleibt unverändert, liegt das Unternehmen aber im “Streubesitz”, ist ebenfalls ein eher sanfterer Übergang zu erwarten.

Mit der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt wird auch vermehrt über eine ausgewogene Work-Life-Balance debattiert. Es sind ja sehr reale Ängste, die da geäußert werden. Wie kann man die Mitarbeiter schützen?
Das ist für die meisten Menschen eine sehr wichtige Fragestellung: Welchen Stellenwert räume ich dem Thema Arbeit in meinem Leben ein und was habe ich sonst noch für Interessen? Ich glaube, dass uns solche Arbeits- und Organisationsmodelle geradezu in die Lage versetzen, Privatleben und Berufsleben besser miteinander zu verschränken. Nachmittags frei zu haben, um die Kinder aus der Schule abzuholen, und dann abends noch einmal zu arbeiten, wenn sie im Bett sind, ist ja ein viel intelligenteres Modell als eines, das die Mitarbeiter dazu zwingt, sich an den Rhythmus des Unternehmens anzupassen.

Was sind denn rechtliche Fallstricke? Ein Beispiel: Zwischen Dienstschluss und Neudienstbeginn müssen laut arbeitsrechtlicher Bestimmungen elf Stunden liegen. Das bedeutet, wenn ich abends noch mal weiterarbeite, dann dürfte ich ja eigentlich am nächsten Tag gar nicht um acht wieder im Büro sein.

Ja, dieser Fall zeigt, dass unsere arbeitsrechtlichen Bestimmungen einer Adaption bedürfen. Arbeitnehmerschutzbestimmungen sind unglaublich wichtig. Ich bin keiner von denen, der sagt, dass das Arbeitsrecht uns im Weg steht, dass wir es abschaffen sollten, damit wir so flexibel wie möglich arbeiten können. Ich glaube aber, dass die Diskussionen, die wir im Moment führen, auch wieder so eine Art Rückzugsgefecht sind und dass wir einfach neue Zugänge brauchen. Wir brauchen eine dringende Überarbeitung und ein sehr intelligentes Nachdenken darüber, wie Arbeitnehmerschutz in der Zukunft aussehen kann.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false