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Bestrafung und Reinigung. In der ephemeren Skulptur „Shame“ von Rafael Ibarra hat das Wasser doppelte Funktion.

© Dietmar Bührer

Meisterschülerpreis 2017: Stetig sprudeln

An der Universität der Künste Berlin erleichtern diverse Preise und Stipendien den Sprung in das Leben als freier Künstler.

Als die Dekanin der Fakultät Bildende Kunst, Susanne Lorenz, die Verleihung des Meisterschülerpreises 2017 einleitet, hält sie eine Kopie des Selbstbildnisses „Self Portrait as a Fountain“ von Bruce Nauman in der Hand. Darauf zu sehen ist der Konzeptkünstler, wie er einen fontänenartigen Wasserstrahl aus seinem Mund schießt. Naumann mimt einen Brunnen. Eine Allegorie – der Künstler sprudelnd vor Ideen, als Quelle der Kreativität. Es ist Lorenz’ Ratschlag an alle Absolventinnen und Absolventen: nach dem Studium weiter sprudeln.

Nun tritt Martin Rennert, Präsident der UdK Berlin, aus den Reihen hervor und führt Lorenz’ Gedanken fort. Weiter zu sprudeln, nach dem Studium mit anderen im Austausch zu bleiben und Diskurse zu führen, ist auch für ihn Ausgangspunkt für weiteres künstlerisches Schaffen. Das ist das Konzept der Universität der Künste in Berlin: den jungen Künstlern weiter die Hand reichen, sie begleiten auf dem Weg vom beschützten Raum der Uni in den hart umkämpften Kunstmarkt. Dann verkündet Rennert die Preisträger des diesjährigen Meisterschülerpreises 2017. Es sind die Absolventen Lisa Peters, Gary Schlingheider und Rafael Ibarra, deren Arbeiten die Jury überzeugten.

Lisa Peters, Jahrgang 1989, studierte bei Christiane Möbus und Ina Weber Bildhauerei. Bei Weber absolvierte sie auch ihr Meisterschülerstudium. Peters interessiert sich für Video- und Audioarbeiten. Ihre prämierte 5-Kanal-Videoinstallation „wie es dir geht“ ist ein fragmentarisches Porträt ihres weiblichen Umfelds. Dafür holte sie 21 junge Frauen vor die Kamera. Auf fünf Monitoren erzählen sie aus ihrem Leben, bieten tiefe Einblicke in ihre Gefühle, Gedanken und Ängste, reflektieren existenzielle und gesellschaftliche Fragen. Teilweise überlagern sich ihre Geschichten, Leerstellen entstehen durch gesetzte schwarze Monitore, manchmal sind schweigende Frauen zu sehen. Peters bietet dem Betrachtenden so Zeit, sich für eine Geschichte zu entscheiden und sich auf sein Gegenüber einzulassen, sich zu identifizieren.

Gary Schlingheider, Jahrgang 1983, studierte Malerei bei Pia Fries und Gregory Cumins, absolvierte sein Meisterschülerstudium bei Christine Streuli. Schlingheider liebt es „zu sortieren, zu reduzieren, zu ordnen“. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich vor allem mit der Reduktion von Formen. Auffällig sind dabei seine geometrischen Konturen und die intensiven Farben. Bei der Arbeit „30 MM“, für die er den Meisterschülerpreis erhielt, spielt Farbe letztlich keine Rolle mehr. Sie zeigt fünf Objekte aus Stahl. „Sieht aus wie eine Wolke, die verpufft ist, ohne Aerosol“, phantasiert eine Besucherin. Nur dass sie nicht in der Troposphäre gleitet, sondern in der Hardenbergstraße steht. Schlingender lädt die Ausstellungsbesucher ein, Strukturen realer Dinge anhand von Umrisslinien in einem objektiven Zusammenhang zu sehen. „Durch die Farblosigkeit wird der Abstraktionsgrad der Objekte zu anschaulicher Neutralität gesteigert und richtet so das Augenmerk auf die ästhetische Dimension der Formen und ihren Umraum“, beschreibt der Künstler seine Arbeit.

Rafael Ibarra, Jahrgang 1986, hat bei Olafur Eliasson und Bildhauerei bei Gregor Schneider und Tilman Wendland studiert, bei dem er auch sein Meisterschülerstudium abschloss. Für seine Arbeit zum Meisterschülerpreis richtete Ibarra ein rundes Bassin auf dem Boden ein und füllte dieses randvoll mit Wasser. Eine Dusche ist an der Seite platziert, ihr Duschkopf ragt in die Mitte des Bassins. Ein paar Schuhe stehen im Wasser. Die ephemere Skulptur heißt „Shame“ und hat sich vom festen Schema der unbeweglichen Statue befreit. Das Wasser bricht mit der traditionellen Dauerhaftigkeit und lässt die Skulptur kurzweilig und vergänglich werden. Ibarra erweitert durch das von ihm eingesetzte Material Wasser das Spektrum bildhauerischer Praktiken. Als plötzlich ein Mann in das Bassin tritt, die Dusche aufdreht und das Wasser über seinen Kopf strömen lässt, entfaltet sich die prozessuale Arbeit. Der Duschende besitzt nun die Chance, sich mit Ereignissen seiner Vergangenheit, für die er sich schämt, auseinanderzusetzen. Das Wasser hat dabei doppelte Funktion: Bestrafung und Reinigung zugleich. „Shame“ ist eine zeitbasierte Skulptur, sie dauert 40 Minuten und ist von Ritualen und Zeremonien inspiriert.

Der Preis bietet einen guten Start in die berufliche Praxis

Bestrafung und Reinigung. In der ephemeren Skulptur „Shame“ von Rafael Ibarra hat das Wasser doppelte Funktion.
Bestrafung und Reinigung. In der ephemeren Skulptur „Shame“ von Rafael Ibarra hat das Wasser doppelte Funktion.

© Dietmar Bührer

Noch vor eineinhalb Monaten waren die prämierten Meisterschülerarbeiten der drei Gewinner in der Quergalerie der UdK installiert. Während des Rundgangs präsentieren sich nun die aktuellen Absolventen und Meisterschüler mit ihren künstlerischen Positionen. Einige von ihnen werden sich auf den Meisterschülerpreis 2018 bewerben und dann ebenfalls erste Schritte in die berufliche Praxis gehen. Dabei soll der Meisterschülerpreis behilflich sein.

An jeder der vier Fakultäten der UdK Berlin existieren Preise, Stiftungen und Stipendien, die Studierende unterstützen. Die Künstlerförderung an der UdK Berlin ist so vielfältig wie ihr Profil und ihre Studierenden selbst. In der Fakultät Bildende Kunst gibt es allein vier Preise und drei Stiftungen, die Studierende in ihrem Schaffen fördern.

Den Meisterschülerpreis des Präsidenten gibt es bereits seit 1997. Jährlich wird er an besonders talentierte Studierende aus der Bildenden Kunst vergeben. In diesem Jahr haben sich insgesamt 28 Meisterschülerinnen und Meisterschüler auf den Preis beworben. Zwölf wurden nominiert und haben in einer Auswahlausstellung ihre Arbeiten der Jury präsentiert. Die Gewinner erhalten jeweils einen monographischen Katalog sowie eine gemeinsame Ausstellung in einem etablierten Kunsthaus der Stadt. Seit 2016 ist es das Haus am Lützowplatz.

Den Schritt rein in den Markt haben zahlreiche Alumni gemeistert

Die Auszeichnung mit dem Meisterschülerpreis markiert auch das Ende der Studienzeit für Lisa Peters, Gary Schlingheider und Rafael Ibarra – den Wechsel in neue Räume. Von dem einst geschützten Raum der Universität mit all ihren Werkstätten und Ateliers, in denen man experimentieren und sich ohne Folgen „verzetteln“ kann, geht es nun raus in den freien Markt, auf dem andere Mechanismen herrschen. Eine erste Hilfestellung, sich dort zu behaupten, bietet dieser Preis. Einst wurde er nicht nur initiiert, um besondere künstlerische Leistungen zu würdigen, sondern auch um eine Brücke zwischen der Ausbildungsinstitution und dem Kunstbetrieb zu schlagen. „Es ist ein schönes Gefühl für seine Arbeit geehrt zu werden, jedoch heißt es auch mit der Auszeichnung konzentriert weiterarbeiten, Entscheidungen treffen, fokussieren“, formuliert Schlingheider.

Den Schritt raus aus der Uni und rein in den Markt haben bereits zahlreiche Alumni der UdK Berlin gemeistert. Der Gewinn des Meisterschülerpreises und die damit verbundene Ausstellung bot dabei immer einen guten Start in die berufliche Praxis. Der Bildhauer Axel Anklam gewann den Meisterschülerpreis 2006. Heute ist der Meisterschüler von Tony Cragg umtriebig, realisiert bis zu 14 Ausstellungen im Jahr. Seine organischen Skulpturen sind in acht Sammlungen vertreten. Neben dem Meisterschülerpreis gewann er zehn weitere Kunstpreise, zuletzt den Kunstpreis Berlin Jubiläumsstiftung 1848/1948 in der Sparte Bildende Kunst. Seit 2010 hat Anklam eine Gastprofessur für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart inne. Ob der Meisterschülerpreis mit seinem heutigen Erfolg zu tun hat, kann nur hypothetisch beantwortet werden. Eine erste Chance, sich als Künstler zu etablieren, bot er allemal. Anklam sprudelt weiter: Bis Ende August laufen noch zwei Ausstellungen von ihm.

Stetig zu sprudeln, wie Bruce Naumann in seinem Selbstporträt, ist auch Lisa Peters, Gary Schlingheider und Rafael Ibarra zu wünschen. Einen Auftakt bildet ihre Ausstellungseröffnung am 30. November im Haus am Lützowplatz.

Die Arbeiten der aktuellen Absolventen und Meisterschüler sind beim Rundgang in der Quergalerie der Hardenbergstraße 33 zu sehen.

Karoline Köber

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