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Anna Dombrowsky meint: "Gendern ist Gewöhnungssache"

© privat

Wie richtig gendern und warum überhaupt?: Seid gegrüßt, liebe Salzstreuer*Innen

Unter dem ersten Artikel unseres neuen Jugendmagazins kam eine Diskussion über die Genderkorrektheit des Namens "Der Schreiberling" auf. Wir halten "Schreiberling" für ein neutrales Wort, wollen Ihnen zwei Standpunkte unserer Jugend-Autorinnen zur Genderdebatte allerdings nicht vorenthalten.

In letzter Zeit diskutiere ich immer wieder mit Freunden und Freundinnen über sprachliche Gleichberechtigung. Meistens gibt es mindestens eine Person, oft eine Frau, die der Meinung ist: „Warum brauche ich denn eine Extra-Nennung als Studentin? Darf ich mich denn nicht einfach bei Studenten mit angesprochen fühlen? Gendern ist so umständlich!“ Für sie ist Gendern ein unnötiger Aufwand, der zu halsbrecherischen Satzungetümen und Sprachverwirrungen führt. Stattdessen nehme man das generische Maskulinum (deutsch: die männliche Form) und schließe damit alle ein. Dann gäbe es nur noch Schüler, Helfer, Lehrer und Informatiker. Wenn doch alles so einfach wäre.

Gendern ist nicht gleich gendern

Oberflächlich betrachtet, mag das wie die simpelste Lösung wirken. Wer einen Schritt weiterdenkt, stellt aber fest, dass dieser Weg in die falsche Richtung führt: Wenn die männliche Form als allumfassend gesehen wird, verdeutlicht gerade das die (leider immer noch an vielen Stellen) vorherrschende Dominanz des Mannes in unserer Gesellschaft. Das Männliche ist die Regel, alle anderen sind die Ausnahme. Zahlreiche Studien belegen außerdem, dass sich Frauen deutlich weniger angesprochen fühlen, wenn in Texten nur das generische Maskulinum verwendet wird.

Wer für die Gleichberechtigung der Geschlechter ist, muss also gendern. Der Begriff kommt aus dem Englischen. Um zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. sex) und dem sozialen, gesellschaftlich konstruierten Geschlecht zu differenzieren, wurde der englische Begriff Gender ins Deutsche übernommen. Während die Geschlechtsorgane aus biologischer Sicht als männlich oder weiblich eingestuft werden, sind die sozialen Geschlechterrollen – Genderrollen – gesellschaftlich entstanden. Gendern oder Gendering bezeichnet die Berücksichtigung des Geschlechteraspekts, insbesondere im Sprachgebrauch.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das Gendern zu erleichtern: Studentinnen und Studenten lassen sich leicht unter Studierende zusammenfassen. Diese substantivierten Partizipien sind allerdings nicht immer möglich, besonders Berufsbezeichnungen sind schwierig. Es existiert kein Adjektiv elektrikernd, also auch keine Elektrikernden. Alternativ bietet sich das große I bei VerkäuferIn. Leider wird es kritisiert für seine eindeutige Zuteilung von männlich und weiblich, bei der die Menschen, die sich nicht auf ein Geschlecht festlegen wollen, ausgeschlossen werden. Dem sollen der Asterisk (*) und der Unterstrich mit der Aussage „alle von männlich bis weiblich“ entgegenwirken.

Gibt es weitere Vorschläge? Ja, jede Menge!

Lann Hornscheidt, Professx für Gender Studies an der HU Berlin, möchte ihr (oder sein?) vieldiskutiertes und oft belächeltes Angebot, Personengruppen geschlechterunabhängig mit der Endung –x zu versehen, niemandem aufzwingen. Die x-Form (gesprochen wie –ix), sagt Lann Hornscheidt in einem Interview mit SPIEGEL ONLINE, sei als Alternative gedacht, „[W]enn sich Personen zum Beispiel nicht als männlich oder weiblich verstehen und durch die tradierte Sprache nicht angesprochen fühlen.“ An der Uni „[würde es] schon viel helfen, wenn zu Semesterbeginn gefragt würde, wie Personen angesprochen werden wollen – und dies dann respektiert und nicht hinterfragt würde.“

Ein Diskussionspunkt ist immer wieder das unbestimmte Pronomen "man". Wie zu vermuten, kommt man von Mann. Die Variante, man durch mensch zu ersetzen, ist vielleicht nach dem ersten Schreck gar nicht so unklug. Wer über Wörter nachdenkt, stellt fest, dass unsere Sprache dank ihrer historischen Entwicklung alles andere als geschlechtergerecht ist und wir sie eigentlich neu erfinden müssten. Es heißt zwar, dass die Genera, also die grammatischen Geschlechter "der", "die", "das", nicht unmittelbar mit ihrem biologischen Geschlecht verbunden sind (sofern sie eins haben), aber eine Rangordnung zeigt sich auch hier: der Mann und der Junge, aber das Mädchen (ein Diminutiv!) und das Weib – die Frau war weiblichen Personen der höheren Stände vorbehalten. Auch unter soziologischen Gesichtspunkten stoßen wir auf Ungenauigkeiten: Ein Freund von mir spricht nicht mehr von Männern und Frauen, sondern von weiblich oder männlich gelesenen Personen.

Okay, ihr Nörgler*Innen habt Recht!

Anna Dombrowsky meint: "Gendern ist Gewöhnungssache"
Anna Dombrowsky meint: "Gendern ist Gewöhnungssache"

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Seiner Auffassung nach ist Gender nicht von Anfang an vorhanden, sondern von der Gesellschaft konstruiert und anerzogen. Da wir in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind, ordnet unser Gehirn jedem Menschen automatisch ein Geschlecht zu. Es interpretiert, ohne zu wissen, ob sich dieser Mensch den sozialen Werten angepasst verhält oder nicht. Wenn mein Freund mir erzählt, er habe „kürzlich eine männlich gelesene Person mit einem interessanten Hut an der Bushaltestelle gesehen“, verleiht er seiner Subjektivität Ausdruck – er weiß ja nicht, ob dieser Mensch, den er als Mann einstufen würde, sich selbst als Mann definiert.

Allerdings ist weiblich gelesene Person allein bezüglich der Wortmenge viel umständlicher als Frau. Tatsache ist: Gendering ist fester Bestandteil einer gleichberechtigten Welt. Wer in ihr leben will, kommt nicht umhin, sich damit auseinanderzusetzen. Die Ansprache „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ stört den Textfluss nicht und ist eine gute Alternative zum generischen Maskulinum. Oder mensch weist am Anfang eines Textes darauf hin, dass zur besseren Lesbarkeit nur eine Form, entweder die weibliche oder die männliche, verwendet wird – und wechselt je nach Text ab. Oder schließt das dann wieder diejenigen aus, die sich nicht mit der Zwei-Genderung identifizieren?

Sternchen sind Gewöhnungssache

Okay, ihr Nörgler*innen habt Recht! Geschlechtergerechte Sprache nervt. Es nervt aber auch, dass ich arbeiten muss, um Geld zu bekommen oder atmen muss, um zu überleben. Ich sehe Gleichberechtigung als essentiellen Wert unserer Gesellschaft. Meine Lieblings-Gendervariante ist der Asterisk – klein, aber auffällig. Man kann ihn sogar sprechen, indem man an seiner Stelle im Wort absetzt: Journalist-in. Versucht es! So groß, wie ihr denkt, ist der Aufwand nicht. Man gewöhnt sich schnell daran. In fünfzig Jahren wird kein Mensch mehr nach Gendering schreien - weil es dann normal ist. Dann spricht man aus Versehen von Mitgliederinnen, Gästinnen und Salzstreuerinnen.

Auf der nächsten Seite meint eine andere Autorin: "Gendern ist nicht Gleichberechtigung"

Leonie Beer meint: "Gendern ändert nichts an der Benachteiligung der Frau."
Leonie Beer meint: "Gendern ändert nichts an der Benachteiligung der Frau."

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„Ein*e Bauer*in verkauft einen Sack Kartoffeln für 50 Mark. Die Erzeuger*innenkosten betragen 40 Mark. Wie hoch ist der Gewinn des Bauern*der Bäuerin, wenn er*sie der Bäuerin*dem Bauern 15 Mark abgibt? (Bitte keine Taschenrechner*innen verwenden)“ Dieser Witz zur PISA-Studie bringt das Gendern auf den Punkt. Ein geschlechterfairer Sprachgebrauch ist erstmal lobenswert – führt aber nicht automatisch zu einer gleichberechtigten, heilen Welt.

Ich fühle mich nicht mehr von der Aufgabe angesprochen, weil ein paar Sternchen (*) vorhanden sind. Ich weiß auch so, dass die Aufgabe nicht nur für männliche Personen gilt und auch Frauen sie lösen müssen und das lässt sich meiner Meinung nach auf sämtliche Texte übertragen. Das Einzige, was sich beim Gendern ändert, ist, dass es doof klingt, doof aussieht und viel umständlicher ist. Ein Satz ist plötzlich doppelt so lang. Es führt dazu, dass ich den gegenderten Teil überlese, denn ich blende das „innen“ und den ganzen Blödsinn aus. Wer kann sich da noch auf den Inhalt konzentrieren?

Gendern ist kein Freifahrtschein, um als emanzipiert zu gelten

Außerdem könnte ich einen perfekt gegenderten Text schreiben und trotzdem der Meinung sein, dass Frauen weniger wert sind. Die Sprache spiegelt nicht, wie immer behauptet wird, was die Gesellschaft für Ansichten hat, sondern nur, welche Ansichten sie haben soll. Gendern wird mit Gleichberechtigung gleichgesetzt, und das ist meiner Meinung nach ein großer Fehler. Aus der Sicht mancher männlicher Personen, so scheint es mir, ist Gendern ein Art Freifahrtschein, um als emanzipiert zu gelten.

Außerdem wird Gendern immer mehr zum Automatismus. Ist das der Sinn? Einige werden meinen: „Natürlich, das zeigt, dass die Gleichberechtigung der Frauen selbstverständlich geworden ist.“ Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Es geht nicht darum, irgendeine blöde Sprachreform brav zu befolgen, sondern etwas an der Sichtweise zu ändern, dass Männer Frauen überlegen sind.

Denn in unserer aufgeklärten Gesellschaft, im 21. Jahrhundert, werden sehr wohl noch Männer bevorzugt. Ändert das Gendern etwas an diesem Zustand? Nein, denn es zeigt nur den schwachen Versuch, Einfluss auf die Meinungen, Gedanken und Ansichten der Menschen zu nehmen. Allein der Fakt, dass so etwas wie Gendern oder auch die Frauenquote nötig ist, zeigt schließlich, wie unemanzipiert unsere Gesellschaft noch ist, denn wenn alle emanzipiert wären, würde uns die Sprache nicht stören.

Mir persönlich reicht es zu wissen, dass die Menschen, mit denen ich zu tun habe, nicht frauenfeindlich sind, ob sie gendern oder nicht. Wer der Ansicht ist, Frauen seien weniger wert, mit dem habe ich unabhängig vom Gendern ein Problem. Vielleicht mache ich es mir damit zu einfach – aber das kann ich Gender-Anhängern genauso vorwerfen. Wer sich damit zufrieden gibt, dass gegendert wird, achtet nur auf den äußeren Schein.

Das ist ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Der Schreiberling". Lust auf mehr? Folgt uns doch unter www.facebook.de/Schreiberlingberlin.

Anna Dombrowsky, Leonie Beer

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