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9.9.2012, Poststadion (Seydlitzplatz): BAK 07 II gegen SC Westend 01 II (Pokal 2. Herren)

© Ian Stenhouse/No Dice Magazine

Saisonstart nicht nur in der Bundesliga: Support your local Fußballklub!

Teure Tickets, miese Wurst und ameisengroße Akteure? Nicht im Amateurfußball. Wer die Bundesliga mal links liegen lässt, findet in Berlins unteren Spielklassen eine Welt, die vielleicht sportlich nicht perfekt ist. Aber grad darum umso besser.

Wann haben Sie das letzte Mal ein packendes 7:7 im Spitzenspiel um den Aufstiegsplatz gesehen? Oder ein 16:1, bei dem ein Spieler alle 16 Tore seiner Mannschaft erzielt? Ich neulich erst, und zwar an einem einzigen Wochenende. Eigentlich nichts Besonderes, in Berlin passiert so was ständig.

Das Beste daran: Ich musste mich nicht in eine völlig überfüllte U-Bahn quetschen, um zum Stadion zu kommen, dort dann 15 Minuten lang anstehen, um mich für einen stattlichen Preis irgendwo auf den Oberring zu setzen, noch mal drei Euro für eine bestenfalls mittelmäßige Bratwurst blechen und aus meilenweiter Entfernung das Treiben der ameisengroßen Akteure bestaunen.

Nein, ich schlenderte spontan zum Kunstrasenplatz bei mir im Viertel, zahlte vier Euro Eintritt und stand mit einer kühlen Flasche Bier nur einen knappen Meter von der Seitenlinie entfernt. Ich hörte jedes gebrummte „So eine Scheiße …“ des Torwarts und jedes „Schiri, das kann doch nicht dein Ernst sein, du Pfeife“ von den Pöblern auf der gegenüberliegenden Seite. Ich sah die Schmerzen im Gesicht des direkt vor mir niedergegrätschten Stürmers und die Wut in den Augen des an der Seitenlinie auf und ab tigernden Trainers. Und das alles bei einem gemütlichen Plausch mit einer Handvoll zufällig neben mir stehender älterer Herrschaften, die Sätze sagten wie: „Die spielen schon seit Wochen so eine Grütze.“ Willkommen im Amateurfußball.

Wenn an diesem Wochenende die Bundesliga wieder losgeht und zahlreiche Fans in die großen Bausatz-Arenen Deutschlands pilgern, findet auf unzähligen anderen Sportplätzen im Lande ein nicht minder abwechslungsreiches Spektakel statt. Nur scheint das kaum jemand zu wissen. Immer wieder erlebe ich Bekannte, auch Fußballfans, die auf meine Ankündigung, am Wochenende ein paar Spiele in der siebten Liga anzuschauen, mit einem mitleidigen Lächeln reagieren. „Das ist doch kein richtiger Fußball“, heißt es dann, oder: „Boah, so was tust du dir an? Das ist doch megalangweilig.“ Von wegen!

Denn genau in den Schwächen liegt ein Reiz, den der auf Perfektion getrimmte Profifußball lange nicht mehr bieten kann. Wenn der Spielmacher zwar ein genialer Techniker ist, aber mindestens 15 Kilo zu viel auf den Rippen hat, wenn der kleine Außenbahnspieler voller Elan über den gesamten Platz sprintet, aber keinen einzigen Pass an den Mann bringt, wenn der Schiedsrichter bei jeder Einwurf-Entscheidung konsequent in die falsche Richtung zeigt und damit Spieler, Trainer und Zuschauer zum Ausrasten bringt, dann ist das erstklassige Unterhaltung.

Axel Gustke berichtet für den Tagesspiegel über den Berliner Fußball jenseits von Hertha und Union.
Axel Gustke berichtet für den Tagesspiegel über den Berliner Fußball jenseits von Hertha und Union.

© Kai-Uwe Heinrich

Nichts gegen Fans höherklassiger Vereine, ihnen sei ihr Stadionritual gegönnt. Gerade von ihnen gehen einige mit gutem Beispiel voran und suchen sich einen „Zweitverein“. So staunte man beim Neuntligisten Blau-Weiß Hohenschönhausen nicht schlecht, als vor ein paar Jahren plötzlich ein paar junge Männer auf der Matte standen und fragten, ob sie künftig ein bisschen Stimmung machen dürften. Seitdem stehen bei Heimspielen neben der üblichen Handvoll Freunde und Verwandte auch knapp zwei Dutzend Schlachtenbummler auf der Aschenbahn am Breiten Luch und grölen 90 Minuten lang in bester Fankurvenmanier. Die Gegner gucken neidisch, der hinterm Grill stehende Trainer der zweiten Mannschaft findet’s „klasse, aber irgendwie verrückt“. Und die Fans selber haben einen Riesenspaß.

Wer also das nächste Mal nach einem 0:0 auf dem überfüllten S-Bahnhof Olympiastadion steht, kann ja mal drüber nachdenken: ob er nicht stattdessen einfach mal für einen schmalen Taler beim Kiezklub um die Ecke vorbeischauen könnte. Beim 1. FC Wilmersdorf in der „Blisse-Ritze“, bei Einheit Pankow auf dem „Zobel“, im wunderschönen Stadion Rehberge oder auf dem Dach der Metro am Ostbahnhof bei Blau-Weiß Friedrichshain.

Und wer dann hautnah die Dramatik eines 5:5 nach 5:0 Pausenstand trotz Überzahl miterlebt hat, wird hoffentlich wiederkommen. Die finanziell oft klammen Vereine sowie die leidenschaftlich kämpfenden Hobbykicker würden sich freuen.

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