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Was ist bloß mit den jungen Feministinnen los? Hannah Lühmann findet sie ziemlich humorfrei.

© dpa

Geschlechterdebatte: Warum der neue Feminismus so humorlos ist

Viele junge gebildete Menschen vertreten feministische Positionen. Schön. Aber müssen sie so humorlos wie ein Teekränzchen sein? Über die neue Ästhetik einer Bewegung.

Malu Dreyer, die erste Ministerpräsidentin des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, wurde neulich gefragt, warum so wenige Menschen Feministen und Feministinnen seien. Sie antwortete, das liege wahrscheinlich daran, dass es noch immer so sei, dass die Leute, wenn sie das Wort Feminismus hören, an "Frauen in lila Klamotten und irgendwelchen komischen Schuhen denken".

Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube, wenn die Leute das Wort Feminismus hören, dann denken sie an Harald Martenstein. Der hat nämlich schon lange die Geschlechterdebatte für sich entdeckt, und seitdem macht er sich gefühlt im Wochentakt über Dinge lustig, die er albern findet, zum Beispiel das Wort "Talibankämpfer*innen" (weil es bei den Taliban nur Männer gibt und queere Talibankämpfer nach ihrem Outing sofort kalt gemacht würden).

"Kommen Sie, lachen Sie doch auch mal.", schrieb er neulich in seinem punktuell ziemlich witzigen Text an die feministischen ZEIT-Autorinnen Christina Schildmann und Anna-Katharina Messmer, die sich in einem Essay über den teils gewalttätigen Ton von Onlinekommentaren und die angebliche Wut des "weißen alten Mannes" geärgert hatten.

Jemandem vorzuwerfen, dass er keinen Humor habe, ist fies, vor allem, wenn es stimmt. Nahezu jeder Mensch ohne Humor wäre lieber ein Mensch mit Humor. Es sei denn, er ist so wütend, dass er wirklich keinerlei Anlass zu humorvollem Verhalten sieht. Das wäre dann sozusagen freiwilliger Humorverzicht. Man findet ihn weniger bei Individuen als in politischen Bewegungen.

Der zeitgenössische Feminismus, wie er derzeit als Diskursgespenst durch die unglaublich angestrengten und anstrengenden Auseinandersetzungen zwischen feministischen und weniger feministischen oder "feminismuskritischen" (was genau ist das eigentlich?) Autoren und Autorinnen wabert, ist leider eine solche weitgehend unlustige Bewegung. Das sehen die Protagonistinnen des sogenannten Netzfeminismus natürlich nicht so.

Netzfeminismus, hier muss man kurz ausholen, meint einen "zeitgemäßen" Feminismus, der sich strategisch der Mittel des Internet zu bedienen weiß. Das Hashtag #aufschrei ist natürlich das Paradebeispiel. Damit ist es tatsächlich gelungen, über eine scheinbar sehr einfache Aktion eine Vielfalt an Stimmen zusammenzutragen und eine gesellschaftliche Diskussion auszulösen, die fast zwei Jahre später nichts von ihrer ursprünglichen Relevanz und Aufgeregtheit verloren hat.

Man möchte das Diskursgespenst nicht direkt zurück in die Flasche pfropfen, aber man möchte ihm doch über den rauchenden Kopf streichen und es bitten, sich erst mal wieder zu sortieren, bevor es weiter umgeht. Ich muss hier kurz persönlich werden: Nahezu jeder Mensch in meinem Alter, den ich kenne, ist irgendwie für die Frauenquote. Klar, keiner will sie so richtig, aber so wie die Verhältnisse nun mal sind, ist sie wohl nötig, und wer will, kann sie auch als "temporären Hack des Systems" oder als "Adrenalinspritze" bezeichnen, wie die #aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek das immer tut.

Nur mutige junge Frauen?

Nahezu jeder Mann, den ich kenne (und ja, ich bin weiß, jung, habe keinen sogenannten Migrationshintergrund und eine akademische Bildung genossen, auch lebe ich nicht in Maseru oder Rio de Janeiro oder Kerzendorf, sondern in Berlin, wo angeblich jeder machen darf, was er will) ist durch und durch durchgegendert, malt brav seine Anführungsstriche in die Luft, wenn er "Mann" oder "Frau" oder "biologisches Geschlecht" sagt. Die Reflektionsbereitschaft ist prinzipiell total gut und richtig. Die Anführungsstriche sind es nicht.

Der Feminismus hat ein massives Imageproblem

Aber niemand von diesen Menschen würde sagen, dass er Feminist ist. Woran liegt das? Wer sich einmal in die Diskussionsmaschinerie des Internets hineinbegibt, wer Anne Wizorek und ihren Mitstreiterinnen auf Twitter folgt, der hat bald das Gefühl, dass es nichts anderes gibt als mutige junge Frauen, die sich über "rape culture", "victim blaming" und die Pille danach unterhalten, die sich die Bälle zuspielen und sich ausdauernd unter dem Hashtag #wiesmarties über Jens Spahn, den sehr katholischen gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, lustig machen, der vor Ewigkeiten mal den Fehler gemacht hat, im Bezug auf die "Pille danach" zu bemerken: "Das sind keine Smarties." Es zeugt schon von einiger Langmut, dass Tweets wie "Na, Mädels, demnächst Pillenparty bei mir?" noch immer ziemlich gut ankommen.

Wer sich also aus dieser Welt der Einheitsstichelei hinausbegibt und sich mit seinen Freunden und Freundinnen (immer noch Berlin, immer noch alle privilegiert und größtenteils weiß) unterhält, beginnt sich bald zu fragen: Wo sind die denn alle, die Menschen, für die Geschlechterfragen und Körperpolitik auf solch brennend kämpferische Weise relevant sind? Der Feminismus ist einerseits ein Modephänomen, andererseits hat er ein massives Imageproblem. Und das hat natürlich längst nichts mehr mit lila Klamotten und komischen Schuhen zu tun.

Hier wären wir wieder bei der Frage nach dem Humor, der nun einmal so unendlich wichtig ist, wenn man auch Menschen für etwas gewinnen will, die sich originär, von sich aus, nicht mit dem Thema befassen würden, für das man sie einnehmen will.

Wie zur Hölle soll der angry old man für den Feminismus oder auch nur für die Frauenquote gewonnen werden, wenn ihm schon im Teaser entgegen geschleudert wird, dass jede Kritik an der Frauenquote eine "diskriminierende männliche Anspruchshaltung" enthüllen würde? 

Die Infantilisierung des Diskurses

Ganz ehrlich, da hätte ich, wäre ich ein Mann, egal welchen Alters und welcher politischen Couleur, keine Lust mehr, weiter zu lesen. Wir sind aber nun mal eine Gesellschaft und wir brauchen so viele Bürger und Bürgerinnen wie möglich, wenn wir etwas verändern wollen.

Man kann jetzt sagen, dass eine politische Bewegung die Strategien ihres Handelns nicht nach der antizipierten Reaktion der Massen richten kann. Wahr. Aber realpolitisch wenig effektiv, zumal es hier nicht um Ferguson geht, sondern um einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess in einem reichen Land, in dem all diese diskursreflektierten Jungs wohnen, die sicher Lust hätten, für Lohngleichheit auf die Straße zu gehen, würde man sie nur begeistern. Warum gelingt genau das den Netzfeministinnen nicht?

Der Anspruch des Netzfeminismus ist es, modern zu sein. Und locker. Und lustig. Zumindest manchmal. Er ist es aber nicht. Er ist nicht lustig, sondern nerdig und selbstreferentiell. Zumindest in Deutschland. Wenn Anne Wizorek in ihrem Buch Weil ein #aufschrei nicht reicht auf die Frage, warum der Feminismus eigentlich "Feminismus" und nicht "Humanismus" heiße, antwortet, das sei egal, man könne ihn auch "Wir-überbacken-alles-mit-Käse-Bewegung" nennen, dann ist das nicht witzig, sondern infantil. Wenn Argumente durch Katzen-Memes (nichts gegen Katzen-Memes!) ersetzt werden, dann ist das nicht witzig, sondern infantil. Es ist Ausdruck der Verweigerung von intellektueller Anstrengung, Verweigerung dem anderen gegenüber, es ist ein strategisch fehlgeleiteter Ätschibätsch-Gestus, der sich von Anfang an im Recht sieht.

Argumentationen mit der "Penisquote"

Natürlich kann der Maßstab von Intellektualität nicht das sein, was über Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende größtenteils von Männern gedacht und produziert wurde. Wer etwas in der Geschlechterpolitik ändern will, kann nicht klingen wie Jürgen Habermas. Es muss junge, queere, verrückte Menschen geben, die ihr Ding machen und die weniger junge, weniger queere und weniger verrückte Menschen schockieren.

Vielleicht sollte man mal wieder gründlich und kritisch feministische Theoretikerinnen wie Judith Butler oder Kimberlé Crenshaw lesen, um zu verstehen, dass es "den Gender Studies", wie von diversen Journalisten ständig behauptet, nicht darum geht, die Existenz von Geschlecht zu leugnen oder zu behaupten, dass "alles sozial konstruiert" sei? Wer hat eigentlich wann behauptet, dass "konstruiert" so viel bedeutet wie "ausgedacht"? Das ist doch Quatsch. Dass der Mensch von Natur aus künstlich ist, wusste nicht erst Plessners Anthropologie. Und wenn das so ist, dass unsere Natur die Künstlichkeit ist, dann können wir kreativ sein, verhandeln, verändern, wir müssen es halt nur mit Lust machen und irgendwie so, dass andere Leute auch mitkommen.

Frauen finden sich toll, weil sie Frauen sind

Aber es gelingt den Aktivistinnen nicht, das den Leuten zu erklären, insofern sie es denn selbst verstehen. Wer die ganze Zeit mit Smarties und Käseauflauf (oder mit der "Penisquote", auch das tut Wizorek, wie geschmacklos) argumentiert, der nimmt sich selbst und sein Gegenüber nicht ernst. Es geht nur noch darum, die Position des anderen als absurd zu entlarven. Der Feminismus leidet an einer schleichenden Entintellektualisierung seiner selbst. Das hat mitunter dramatische Konsequenzen.

Die britische Feministin Julie Bindel hat kürzlich in einem Artikel auf den absurden und tragischen Fall des Wissenschaftlers Matt Taylor hingewiesen, der einen gewaltigen feministischen Shitstorm auf sich zog, weil er ein ziemlich hässliches Hemd mit Comic-Darstellungen nackter Frauen getragen hatte.

Taylor brach weinend zusammen, während eines Treffens, bei dem er eigentlich Auskunft zum Fortschritt der Rosetta-Mission geben sollte und sagte, er habe einen großen Fehler gemacht, viele Leute beleidigt und es tue ihm sehr leid. Bindel bemerkte, es ginge derzeit nur noch darum, Individuen wie Taylor oder den zweifellos ziemlich widerlichen Anmachtrainer Julien Blanc zu verunglimpfen, anstatt sich dem langwierigen Ringen um feministische Politik in gesellschaftlichen Institutionen auszusetzen.

Das rhetorische Äquivalent zum "Wir-können-es-auch-irgendwas-mit-Käse-nennen"-Argument auf antifeministischer Seite stellt natürlich die "Seid-doch-nicht-so-weinerlich-ist-doch-alles-gut"-Haltung dar. Nee, es ist überhaupt nicht alles gut. Und ja, es gibt Alltagssexismus und nein, ich möchte mich nicht auf Ihren Schoß setzen, danke (und jetzt auch gerade nicht lächeln).

Aber wir müssen wegkommen von dieser Haltung, die Missverständnisse förmlich erzwingt. Ein Beispiel für einen in meinem Empfinden fehlgeleiteten Versuch,  Feminismus als eine Art alternative Mainstreamkultur zu etablieren, ist das Missy Magazin, eine vierteljährlich erscheinende Publikation, die einen zeitgemäßen, "popkulturellen" Feminismus transportieren will.

Das sieht dann so aus, dass zum Beispiel der Film Talea mit der österreichischen Schauspielerin Nina Proll so angekündigt wird: "Eine tolle Schauspielerin in einem tollen Film von einer tollen Regisseurin". Was soll das denn für ein Film sein? Das gibt es doch gar nicht, so einen Film, in dem alle toll sind. Der Vorspann "Ein toller Schauspieler in einem tollen Film von einem tollen Regisseur" wäre ein journalistisches Armutszeugnis, nichts weiter. Das ist Teekränzchenfeminismus, alle finden sich toll, weil sie Frauen sind.

Und nein, das ist nicht das gleiche wie eine vielleicht weniger explizite, aber trotzdem vorhandene Bevorzugung patriarchalischer Rollenmodelle. Das ist nämlich auch so ein Standardargument des Feminismus. Dass man Dinge "umdrehen" wolle, dass es sowieso immer ums Geschlecht gehe, nämlich um den weißen Mann, aus dessen Perspektive alles geschrieben und gedreht und produziert sei. Dass das nur niemand merke. Das ist ein Fehlschluss. Dem Kapitalismus ist vieles vorzuwerfen, aber es ist doch etwas anderes, ob Positionen in einem neoliberal und, ja, männlich geprägten Diskussionsraum erscheinen und in diesem eben auch subversierbar sind oder ob alles auf eine Perspektive verengt wird, die fortan "Geschlecht" genannt wird.

Klischees über prämenstruierende Frauen

Nach dem tollen Film mit der tollen Regisseurin und der tollen Schauspielerin im Missy Magazin geht es weiter. Auf Seite 86 werde ich, also die Leserin, mit folgendem Teaser konfrontiert, der mich auf die Themen "Pille danach" und "Sexualität trotz Mutterschaft 40+" vorbereiten soll: "12 Uhr mittags in Deutschland: Manch eine ist da schon ganz feucht und spitz." Nee, bin ich nicht. Also schon, aber nicht so. Sorry, das ist kein Diskurs über weibliche Sexualität, die es natürlich gibt und die ihren Raum braucht.

Finstere Mächte des Patriarchats?

Und auf der letzten Seite gibt es einen Comic, der auf humorvolle Weise Menstruationsbeschwerden illustrieren soll, indem er eine Frau zeigt, der es sehr schlecht geht, sie fühlt sich fett, pöbelt Verkehrsteilnehmer an, und die Pointe ist, dass nur "ein mehrtägiges Blutopfer dem Spuk ein Ende bereiten kann" – das hässliche Comicmädchen schaukelt auf einem blutigen Tampon. Das ist nicht "lustvoll", das ist eklig (und davon abgesehen eine totale Reproduktion von Klischees über prämenstruierende Frauen und deren Irrationalität). Soll das denn Feminismus sein?

Man wünscht dem Neofeminismus einen strategischen Berater. Das ginge dann etwa so.

Strategieberater: "Lieber Netzfeminismus, bitte sei etwas lustiger."

Netzfeminismus: "Niemand schreibt uns vor, wann wir lustig zu sein haben. 'Lach doch mal' ist der Reflex einer patriarchalischen Unterdrückungsstrategie."

Strategieberater: "Hm, ja, da hast Du natürlich schon irgendwie recht, aber wir müssen uns doch strategisch verhalten, wir wollen ja schließlich Leute überzeugen, die sich bisher nicht mit Dir beschäftigt haben."

Netzfeminismus: "Ich bin aber nicht stra... Warte, was soll das überhaupt? Ich habe doch total viel Humor, guck Dir doch mal die ganzen Katzen an."

Zwar gibt es keine einheitliche Theorie des Feminismus, aber die Positionen, die uns, zumeist über das Internet, als feministisch angetragen werden, haben einen grundsätzlichen Fehlschluss zur Grundlage. Und zwar die Idee einer prinzipiellen Austauschbarkeit von allem, der meist nur der Veranschaulichung dienen soll, aber trotzdem fatal ist. Anne Wizoreks Lieblingsbeispiel für das sogenannte Gender Swapping, also des Austauschs von Geschlechterrollen, ist der fiktive Internetheld "Hawkeye".

Ein bisschen Humor

Wann immer sich jemand von der sexistischen Darstellung einer Actionheldin (herausgestreckte Brüste, kampfuntaugliche Outfits und so weiter) betroffen fühlt, kann er seinem Frust Ausdruck verleihen, in dem er "Hawkeye" dasselbe tun lässt. Das Ergebnis: Hawkeye streckt als Batman verkleidet seinen Arsch im Lederoutfit raus.

Ja, das ist irgendwie ein bisschen lustig, aber es sagt einfach nichts darüber aus, wie Frauen objektiviert werden, weil es nichts darüber aussagt, wie irgendetwas in der Welt ist. Es ist eben nicht genauso absurd, Frauen im BH und stöhnend und nach dem Leeren einer Bierflasche lasziv-erfrischt (auch ein Beispiel von Wizorek) zu zeigen, wie einen Mann auf diese Art zu zeigen. Das heißt nicht, dass es toll ist, aber es ist nicht absurd.

Und zwar daher, weil kulturell durchformte Körperdarstellungen nichts sind, was die finsteren Mächte des Patriarchats über Nacht über uns gebracht haben. "Stell Dir mal vor, xy würde für Männer auch gelten" ist manchmal ein Argument, aber nicht immer. Es ist nicht überall alles gleich. Eine von Wizoreks Freundinnen nennt sich auf Twitter "Tugendfurie", in ihrer Selbstbeschreibung schreibt sie, sie sei eine "garstige Nörglerin". Schon klar, das ist der Versuch, eine vom Patriarchat als negativ konnotierte Gestalt positiv zu bewerten und somit die Verhältnisse zu unterlaufen. Aber ich meine, wie kann man sich freiwillig als "garstige Nörglerin" bezeichnen? Was der Feminismus braucht, sind keine garstigen Nörglerinnen, keine Tugendfurien, sind nicht noch mehr Katzen und Comics. Was der Feminismus braucht, ist eine weise Frau, eine Führungsgestalt, sagen wir: eine Intellektuelle.

Dieser Text ist zuerst bei Zeit Online erschienen.

Hannah Lühmann

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