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Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Sie versucht es trotzdem.

© dpa

Frühere EKD-Chefin: Der selbstgerechte Pazifismus der Margot Käßmann

Stell dir vor, Margot Käßmann predigt Pazifismus - und die EKD widerspricht. Die evangelische Theologin und 67 ostdeutsche Pfarrer kritisieren Bundespräsident Joachim Gauck. Damit verhöhnen sie das UN-Prinzip der Schutzverantwortung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wer hätte Hitler gestoppt, wenn die Alliierten nicht in der Normandie gelandet wären? Gäbe es einen Staat Israel, wenn dieser sich im Juni 1967 nicht gegen eroberungswütige arabische Nachbarn zur Wehr gesetzt hätte? Waren es nicht Nato-Bomben, die das mörderische Treiben von Slobodan Milosevic, Radovan Karadzic und Ratko Mladic beendeten? Aktuell wiederum sind es die USA, die mit Luftschlägen einen Völkermord im Nordirak verhindern wollen. Soll man sie dafür kritisieren?

Margot Käßmann tut es. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) lässt kaum eine Gelegenheit verstreichen, Pazifismus zu predigen. Ausgerechnet zum D-Day-Jahrestag meinte sie, auch gegen Hitler-Deutschland sei ein Krieg nicht gerechtfertigt gewesen – was in den Ohren der betagten Veteranen, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus riskiert hatten, wie eine Verhöhnung geklungen haben musste. Im Schulterschluss mit 67 ostdeutschen Pfarrern kritisiert sie Bundespräsident Joachim Gauck, weil dieser Militäreinsätze als letztes Mittel der Politik nicht ausschließen will. Und sie träumt von der Abschaffung der Bundeswehr. „Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eine Armee verzichten könnte wie etwa Costa Rica.“

Margot Käßmann und die Kollateralschäden der Gesinnungsethik

Neu oder originell ist eine solche Position nicht. Auch verdient Anerkennung, dass die Theologin bereit ist, die Konsequenzen daraus in Kauf zu nehmen: Genozid, Mord, Leid und Elend müssen hingenommen werden, wenn ihnen nicht anders als durch Waffengewalt Einhalt geboten werden kann. Die Kollateralschäden einer solchen Gesinnungsethik sind freilich jene Tote, deren Tod hätte verhindert werden können. Wer für das Leben anderer verantwortlich ist, kann sich der Pflicht zur Notwehr nicht ganz so einfach entziehen.

Neu aber ist die Wucht des Widerspruchs, der Käßmann aus eigenen Reihen entgegenhallt. Ihr Nachfolger im Amt, Nikolaus Schneider, verteidigte Gauck. Ein Militäreinsatz könne gerechtfertigt sein, wenn dadurch „massive gewalttätige Auseinandersetzungen gestoppt werden“, sagte er und begründete dies mit Eindrücken aus dem Südsudan. „Wenn man die Lage in einem solchen Land erlebt, dann begreift man, dass es so etwas wie ein Wüten des Bösen und der Gewalt gibt – und dass man auch militärische Kraft braucht, um für einen Raum zu sorgen, in dem sich anderes entwickeln kann.“ Käßmanns Vorgänger, Wolfgang Huber, stellte sich ebenfalls vor Gauck. Der Militärpfarrer von Speyer, Ulrich Kronenberg, warf Käßmann gar eine vor „Selbstgerechtigkeit triefende Hybris“ vor.

Im Jahre 2005 formulierten die Vereinten Nationen das Prinzip der „responsibility to protect“ (Schutzverantwortung). Es verpflichtet die internationale Gemeinschaft zur militärischen Intervention, wenn ein Staat die eigene Bevölkerung vor Massenverbrechen nicht schützen kann. Lediglich darauf hatte sich Gauck bezogen, hielt der Berliner Historiker Heinrich August Winkler, seit mehr als 50 Jahren SPD-Mitglied, Käßmann und den ostdeutschen Geistlichen vor. Deren „fundamentalistischer Protest“ trage „in seinem Innerlichkeitspathos sehr deutsche Züge und macht sie den national gesinnten Pastoren der wilhelminischen Zeit ähnlicher, als ihnen bewusst ist“. Klarer und wahrer geht’s kaum.

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