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Das Internet leistet der Gedankenlosigkeit Vorschub, mit der Millionen Kinderbilder durch die Netze schießen.

© dpa

Debatte um Fall Edathy: Die Kinder sind die eigentlichen Opfer

In der Affäre um Sebastian Edathy gebe es „nur Verlierer“, ist zu lesen, und gemeint sind Gabriel, Friedrich oder Oppermann. Die wahren Opfer kommen bei der ganzen Diskussion jedoch viel zu kurz. Die Sicherheit der Kinder sollte im Mittelpunkt stehen.

Von Caroline Fetscher

Absolut erstaunlich, wie sich die Causa Edathy entwickelt hat. Sie erweist sich als ein Fall unter Männern, die außer Edathy noch Gabriel heißen, Friedrich, Oppermann, Ziercke und, und, und. Die Herren werfen einander politische Fehler vor. Von Geschwätzigkeit ist die Rede, von Geheimnisverrat, von Regierungskrise gar. Zu all dem zeigen die Medien Bilder von Männern mit gewichtigen Mienen, Leute in Anzug und Krawatte. Gut angezogene, gutbürgerlich angezogene Leute in hohen Positionen.

In der Affäre gebe es „nur Verlierer“, ist zu lesen, und gemeint sind die besagten Männer. Am Ursprung der ganzen Geschichte standen jedoch andere Verlierer: nicht angezogene Kinder, Jungen um das zehnte Lebensjahr, denen man die Kindheit raubt. Offenbar handelt es sich vor allem um Kinder aus der Ukraine und aus Rumänien, deren Körper gegen ihren Willen dafür benutzt werden, Fotografien und Filme für erwachsene Konsumenten von Kinderpornografie zu produzieren. Diese milliardenschwere Branche agiert global. Fotos aus Osteuropa wurden tausende Kilometer entfernt in Kanada von Händlern vertrieben, deren illegale Ware ins Visier von Fahndern geriet. Auf einer Kundenliste stand dort der Name des Abgeordneten, mit dem die Causa anfing.

Kinder werden zur Ware

Über die spezifischen Bilder, die der Mann offenbar stimulierend fand, war inzwischen zu hören, sie seien eher „harmlos“, also ohne explizit sexualisierten Inhalt. Es handle sich um Abbildungen aus der „Grauzone“ des Genres. Mit Recht wurde schon darauf hingewiesen, dass dieselben Kinder von den Tätern auch für das explizite „Material“ missbraucht werden. Sie werden Mittel zum Zweck, sie werden verdinglicht, wie Sachen behandelt, zu „Ware“ gemacht.

Das geschieht zigtausendfach und wird mit derartig inadäquaten personellen und finanziellen Mitteln verfolgt, dass Staatsanwalt Peter Vogt, einer der exzellentesten deutschen Fahnder, 2009 sein Amt niederlegte. „Unhaltbare Zustände“ hatte er beklagt. Die eine relevante Frage ist mithin die nach dem gesellschaftlichen Willen, die Täter wirksam zu verfolgen und den Taten ein Ende zu bereiten, eine politische wie juristische Frage.

Die andere Frage lautet: Wie unschuldig ist der Blick auf die Unschuld? Ist das messbar? Ab wann und wie werden Würde und Integrität eines Kindes verletzt? Auch dann schon, wenn Erwachsene Kinder beim Herumtollen im Planschbecken filmen? Oder wenn Mädchen im Kleinkindalter die Ohrläppchen für Schmuck durchstochen werden? Hier öffnet sich ein vom Gesetz kaum zu regelnder Raum, in dem andere Parameter Geltung entfalten müssen: Respekt, liebevolle Distanz, soziales Gespür, Taktempfinden, entwicklungspsychologisches Wissen, reifes, erwachsenes Gewissen.

Millionen Kinderbilder im Internet

Mit der mobilen Elektronik ist das Verbreiten auch privater Fotos und Filme so einfach wie ubiquitär geworden, die Geschwindigkeit des Mediums leistet der Gedankenlosigkeit Vorschub, mit der Millionen Kinderbilder jetzt durch die Netze schießen. Angemessen ist es, sich zu fragen: Würde ich selber wollen, dass von mir solche Kinderbilder zirkulieren? Und: Welches Interesse hat hier der eigene Blick auf das Kind, welches Interesse kann er bei anderen wecken?

Die Warenikonografie gegenwärtiger Industriegesellschaften preist Kinder oft als sexualisierte Objekte an – in einer paradoxen Volte, die dicht bei der Kinderpornografie siedelt. Gerade indem nämlich die „niedliche Unschuld“ eines Jungen oder Mädchen als Reiz verkauft wird, wird ebendiese angegriffen und der Angriff bagatellisiert. Hautenge Jeans, Bikinis für Neunjährige, knapp bekleidete kleine Reklamedarsteller, Modelwettbewerbe mit Minderjährigen liefern allen Generationen Bilder, die teils aus Grauzonen kommen, teils auf solche verweisen. Der Fall Edathy legt mithin eine Perspektive nahe, aus der heraus tatsächlich das „Kind im Zentrum“ steht, wie der Name einer der besten Beratungsstellen zum Thema Missbrauch lautet. In der derzeitigen Debatte stehen die von Pädokriminellen missbrauchten Kinder an der Peripherie. Da waren sie auch schon, als die Täter sie instrumentalisiert haben.

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