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Der Energieträger Steinkohle trug 2014 noch 18 Prozent zur Stromerzeugung in Deutschland bei. Der Anteil aber fällt.

© imago/CHROMORANGE

De-Karbonisierung der Volkswirtschaften: Raus aus der Kohle – um Kohle zu machen

Der Anfang vom Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe ist nah: Die Bank of England fürchtet einen Klima-Crash. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Harald Schumann

Anleger, die ihr Geld in Aktien oder Anleihen des Volkswagen-Konzerns investiert haben, erleben gerade eine harte Zeit. Bis zu 50 Prozent des Marktwerts sind verloren, und die Kurse fallen weiter. Dabei erscheint der dreiste Abgasbetrug zunächst als singuläres Ereignis. Doch vieles spricht dafür, dass der Absturz des deutschen Autogiganten nur der Vorbote einer sich anbahnenden Wende auf den Kapitalmärkten ist. Schließlich geht es um Brennstoffe und Abgase. Und genau das ist es, was zusehends für Unruhe unter Kapitalanlegern führt.
Denn mit dem eskalierenden Klimawandel wächst die Furcht vor den notwendigen Gegenmaßnahmen. Würden die Regierungen der G-7-Staaten Ernst machen mit ihrem im Juni abgegebenen Versprechen, die „De-Karbonisierung“ ihrer Volkswirtschaften zu betreiben, dann träfe dies alle Branchen, die von der Nutzung der Atmosphäre als Abgasdeponie abhängig sind, auch die Autoindustrie. Darum warnen Aktivisten und Analysten schon seit Langem vor der „Carbon Bubble“, der Überbewertung der Öl- und Kohlekonzerne sowie anderer kohlenstoffintensiver Unternehmen.

Klare Worte beim Beim traditionellen „Lloyds-Dinner“

Aber ihre Kampagne für das „Divestment“, den Ausstieg der Kapitalverwalter aus der Nutzung fossiler Rohstoffe, galt vielen Finanzern nur als politischer Trick. Zwar haben schon hunderte Stiftungen und Fonds ihre Anteile an besonders klimaschädlichen Firmen verkauft. Aber den Börsenwerten der betroffenen Unternehmen tat das keinen Abbruch.
Doch nun hat sich kein Geringerer als Mark Carney, der Chef der Bank of England und einstige Manager von Goldman Sachs, das Argument zu eigen gemacht. Beim traditionellen „Lloyds-Dinner“ der Versicherungsbranche, die allein im Vereinigten Königreich 2,5 Billionen Euro verwaltet, warnte er die Top-Manager der Assekuranz vor den „potenziell riesigen“ Verlusten, die ihnen mit dem Klimawandel drohen. Dabei bezog sich Carney auf das Konzept des Kohlenstoffbudgets, das die Wissenschaftler des UN-Klimarats entwickelt haben, um der Politik ein klares Ziel zu setzen. Demnach dürfen bis 2050 nur noch maximal ein Drittel der Ölreserven und nur ein Fünftel der verfügbaren Kohle verbrannt werden, um die Chance zu wahren, dass die globale Durchschnittstemperatur nicht über die als noch beherrschbar geltenden zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigt.

Der überwiegende Teil der Lagerstätten könne sich daher als nicht nutzbar erweisen, sagte Carney. Allein von den im britischen Leitindex FTSE gelisteten Unternehmen seien aber fast ein Drittel mit der Förderung oder Verarbeitung fossiler Rohstoffe verbunden. Komme es da zu „einer umfassenden Neubewertung, könnte das die Märkte destabilisieren“, mahnte er. Carney, der auch dem Rat für Finanzstabilität der G-20-Staaten (FSB) vorsitzt, kündigte daher an, dass er und seine G-20-Kollegen einen globalen Standard zur Bewertung der Klimaschädlichkeit von Unternehmen schaffen werden, anhand dessen Investoren das Risiko ihrer Anlagen neu bewerten können.

Auch die bisher notorischen Verweigerer haben Maßnahmen angekündigt

Ob das genügt, um einen Klima-Crash zu verhindern, ist aber alles andere als gewiss. Bisher konnten sich Rohstoffkonzerne, Kraftwerksbetreiber und Autoindustrie noch stets darauf verlassen, dass ihre Geschäfte nicht mit allzu viel Klimaschutz gestört werden. Beispielhaft ist die Bundesregierung, deren Chefin sich zwar gerne als Klimakanzlerin geriert, aber nicht so handelt. Die laxe Prüfung der Abgaswerte bei Autos ist da nur eine der vielen Verfehlungen. Zuletzt mochten Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nicht mal ein paar überflüssige veraltete Kohlekraftwerke stilllegen, sodass nun ausgerechnet Deutschland sein selbst erklärtes Klimaziel zu verfehlen droht.

Gleichzeitig kommen jedoch die Einschläge an der Klimafront immer näher: Nach der verheerenden Dürre in Kalifornien, Andra Pradesh und Nordchina und dem seit Beginn der Aufzeichnungen heißesten Sommer haben auch die bisher notorischen Verweigerer in USA, China und Indien für die im Dezember anstehende Klimakonferenz in Paris weitreichende Maßnahmen angekündigt. Der Anfang vom Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe ist nah. Da ist es besser, man steht mit seinem Geld auf der richtigen Seite. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio hat nach der Überflutung durch Hurrikan „Sandy“ seine Lektion jedenfalls gelernt. Es werde Zeit, „unsere Investitionen auf den neuesten Stand zu bringen“, erklärte er für die städtischen Pensionsfonds. „Und mit dem Kohle-Divestment fangen wir an.“

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