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Berghain.

© Mike Wolff

Berlin und seine Trends: Substanz ist einen Hype wert

Berlin ist angeblich nicht mehr der coolste Ort der Welt? Sei's drum: Der Stadt täte etwas weniger Selbstzufriedenheit mit der Hipness, etwas mehr Ehrgeiz beim Problemelösen gut.

Jeder Hype ist irgendwann vorbei, jeder Trend schwächt sich ab – so lautet das Trendgesetz. Dass der Berlin-Hype vorbei wäre, meint jetzt mancher Trendanalytiker feststellen zu können. Wäre es so, verlöre die Stadt ihren weltweit vernommenen Ruf als Hipstermetropole, Künstlerkarrierenbeschleuniger und Kreativen-Biotop. Das hätte Folgen für viele junge Europäer und Amerikaner. Die fänden die Stadt weniger spannend, geradezu glatt im Vergleich zu, sagen wir, Bukarest oder Ulan Bator, und würden alsbald dort versuchen, preiswert ein spannendes Jahr und 365 abwechslungsreiche Nächte zu verbringen.

Über 11 Millionen Touristen

Das Ende des Kults um Berlin, seine Backstein-und-Sichtbeton-Locations und seine billigen Wohnungen würde wohl außer dem Zuzugs- auch den Tourismusboom abschwächen. Indes kommen von den 11,3 Millionen Stadttouristen nicht alle, um sich hier kostengünstig durch das Wochenende zu zechen. Ein Gang durch Mitte entlang der Museumsinsel zeigt, wie massiv ein älteres, weniger hypehöriges, kulturinteressiertes Publikum die Stadt für sich in Anspruch nimmt, um Schinkelberlin, Nofretete und die Schlossbaustelle anzugucken – und davor und danach pro Person ein bisschen mehr Geld ausgibt als der Durchschnittshipster aus Liverpool oder Portland, Oregon. Was zu der Frage führt, wie die Stadt nach dem Hype dastehen wird – wenn die normalen Zeiten kommen.

Kapital für Start-Ups

Um es positiv zu sagen: so schlecht vermutlich nicht. Noch positiver: Es war schon schlimmer – in den ersten Jahren nach dem Mauerfall, als die letzten Reste von Industrie in Ost-Berlin zusammenbrachen und ein stadtweit hochadipöser öffentlicher Dienst, in Teilen Stasi-befallen, vor der existenziellen Abmagerungskur stand. Genau das waren die Jahre, in denen der Hype entstand: als Berlin krude war, sehr ungepflegt, in Teilen rott, und auf junge Leute wie ein urbaner Abenteuerspielplatz wirkte. Heute dagegen berichtet die Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer von einer „robusten Aufwärtsentwicklung“, getragen vom Tourismus, vom Einzelhandel, vom Dienstleistungsgewerbe. Industrie und Baubranche entwickeln sich dem Konjunkturbericht zufolge „uneinheitlich“. Was bedeutet: kein Grund zum Jubeln. Es bleiben die Start-ups, wichtiges Kennzeichen der Kreativen-Metropole, für die Berlin sich gerne ausgibt: Da fehlt es vielen, wie Yzer mitgeteilt hat, an Kapital. Doch um mehr Wagniskapital nach Berlin zu holen, müssen Bundesrecht und Steuervorschriften geändert werden. Das wird dauern.

So etwas wie einen durchkomponierten Plan B für die Zeit nach dem Boom gibt es nicht. Hätte die Stadt also mehr tun sollen, damit der Hype dauert? Mehr billige Freiräume für Künstler, Musiker, Bohemiens, damit die noch lange verkünden können, wie wunderbar Berlin doch ist? 60 Milliarden Schulden – aber Berlin hegt die Szene in Mitte oder an der Spree, statt Flächen an Unternehmer zu verkaufen? Dass sie versucht, Geld in die Stadt zu holen, kann man der Politik im Ernst nicht vorwerfen, auch wenn sie damit das Arm-aber-sexy-Image zerstört.

Wichtiger wäre, dass die Berliner Politik wieder mehr Substanz bekommt: in Sachen Flughafen, in Sachen Schule, damit Berlin bei den Bildungsrankings mal nicht auf dem hinteren Plätzen zu finden ist. Etwas weniger Selbstzufriedenheit mit der Hipness, etwas mehr Ehrgeiz beim Problemelösen: Das täte der Stadt gut, vor allem ihren Regierenden.

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