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Angela Merkel und das Neuland Internet: Die Kanzlerin will uns für dumm verkaufen

"Das Internet ist für uns alle Neuland", sagt Angela Merkel. Dieser Satz ist erschreckend, findet Ingrid Müller. Wer soll solch grenzenlose Naivität eigentlich glauben?

Will uns die Bundeskanzlerin eigentlich für dumm verkaufen? Das Internet ist Neuland? Die Queen of SMS, die Chefin einer Regierung, die sehr genau darauf achtet, welches Smartphone die Mitarbeiter nutzen, gibt sich ahnungslos, was das Netz betrifft. Die Kanzlerin, die ach so modern Podcasts für die Bürger bereithält, deren Sprecher per Twitter auf sich und die Chefin aufmerksam machen will. Diese Frau tritt auf wie Klein Erna, die über die schöne bunte Kommunikationswelt staunt? Sorry, aber wer soll solch grenzenlose Naivität glauben?

Dass Daten abgegriffen werden, wo immer man ihrer habhaft werden kann, ist wohl so alt wie die Menschheit – und Geheimdienste werden sie zu nutzen suchen, was immer uns freundlich lächelnde Politiker erzählen. In jüngerer, noch eher analoger Zeit hat dieses Land sich heftige Debatten geliefert, ob und welche Daten jeder von sich preisgeben will – das Wortmonster der informationellen Selbstbestimmung stammt daher. Nach 9/11 haben die Deutschen den Otto-Katalogen zugestimmt, die so vieles erlaubten, aus Angst vor Terror und weil viele meinten, dass „der Staat doch nicht mehr böse ist“. Nicht nur für ihn sind Daten prima Beute.

Doch das Internet umfasst viel mehr. Es ist nicht nur das Medium der sogenannten Netzgemeinde, die sich vor Lachen über Merkels Neuland ausgeschüttet hat. Kleinkinder wachsen mit iPads auf, mit E-Mail, Skype, Facebook, Twitter, Tumblr, Instagram. Eltern und Großeltern nutzen den Komfort. Väter hören beim Joggen Musik per Smartphone, Mütter buchen den Familienurlaub übers Web, führen das Konto am Bildschirm daheim, Omas kaufen Bücher bei Amazon und Schuhe bei Zalando und Co. Zu Partys und Protesten verabredet man sich elektronisch. Deutsche Firmen liefern Überwachungssoftware nach Iran, die dort gegen Kritiker eingesetzt wird. Das Internet ist überall. Es betrifft längst unser ganzes Leben. Kulturell, wirtschaftlich, juristisch. Die Politik diskutiert über Netzsperren, Staatstrojaner, Cyberkrieg. Und da guckt die Kanzlerin mit großen Augen nach dem Motto: Ich dachte, Strom kommt aus der Steckdose? Also: Ich verstehe das System nicht? Oh nein.

Mag sein, dass sich mancher Wähler verstanden fühlt, dem das Leben zu kompliziert erscheint, wenn Angela Merkel volksnah staunt – und die Kanzlerin am Ende vom Mutti-Faktor profitiert. Obwohl heute jedes Kind wissen kann, dass man die IP-Adresse eines Computers zurückverfolgen kann, selbst wenn unsere Datengiganten uns vorgaukeln, sie würden uns gegen Tracking vor sich selbst schützen. Mag sein, dass sich mancher in der freien Welt der Daten in Clouds erst wundert, wenn ihm der smarte Officer in New York die Einreise verweigert.

Doch es geht nicht nur um technische Möglichkeiten. Das Internet wirkt in unser Leben weit jenseits von Mails. Stadtplaner machen sich nicht von ungefähr Gedanken, was der Online-Einkauf für Innenstädte bedeutet. Ja, auch im Netz möchten wir die demokratischen Grundrechte geschützt wissen. Das ist kein rechtsfreier Raum, nur weil wir das nicht anfassen können. Diese Debatte ist nicht mit dem Niedergang der Piraten erledigt. Bei den Auswirkungen des Internets geht es um große, um gesamtgesellschaftliche Fragen, die nicht in einem Shitstorm wegzufegen sind. Es geht darum, das Miteinander zu gestalten. Rahmen zu finden, die den Bürgern gerecht werden, ist die Aufgabe von Politikern. Erschreckend, wenn das Neuland für die Kanzlerin ist.

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