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30 Jahre „Deutscher Herbst“: Von der APO zur RAF?

Gedenken als Kulturkampf: Warum die RAF so viele Anhänger fand und warum es falsch ist, rückblickend die 68er-Bewegung und linksliberale Strömungen mit der Terrororganisation in Verbindung zu bringen.

Dieser Tage wurde in Berlin mit Unterstützung der Bundesregierung eine Gedenkfeier für die 36 Menschen ausgerichtet, die der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) zum Opfer gefallen sind. Das war überfällig und ein beklemmendes Ereignis. Man spürte nahezu körperlich, wie gegenwärtig die Verletzungen, Ängste und Aggressionen des „Deutschen Herbstes“ noch sind. Justizministerin Brigitte Zypries kritisierte, wie andere Redner auch, die schwer erträgliche Weigerung der ehemaligen Untergrundkämpfer, an der Aufklärung ihrer Taten mitzuwirken oder Gesten des Bedauerns zu äußern, die es den Familien der Getöteten leichter machen könnten, ihren Groll zu verarbeiten. Sie nannte es einen Skandal, dass ehemalige RAF-Mitglieder wie Rolf Clemens Wagner ihre Killeraktionen noch heute rechtfertigen. So weit konnten wohl alle im Saal folgen.

Es blieb dem Bundestagspräsidenten vorbehalten, aus der Gedenkveranstaltung eine Generalabrechnung sowohl mit der RAF als auch mit der kompletten 68er-Bewegung und weiten Teilen der linksliberalen Öffentlichkeit zu machen. Als Norbert Lammert sprach, wehte mehr als nur ein Hauch von Kulturkampf durchs Deutsche Historische Museum.

Sein zentraler Punkt war, dass die RAF der radikale Ausläufer, wenn nicht die logische Konsequenz der „Außerparlamentarischen Opposition“ war. In der Tat verlief keine chinesische Mauer zwischen der RAF der frühen Jahre und anderen Fraktionen der radikalen Linken. Allerdings unterschied sich die RAF durch die Selbstermächtigung zum Töten und durch den Glauben, eine revolutionäre Situation gewaltsam herbeiführen zu können. Mit anderen Worten: durch einen bis ins Pathologische gesteigerten Realitätsverlust.

Zur Paranoia, es stünde ein neuer Faschismus ins Haus, gesellten sich Allmachtsfantasien. Um die Tötungshemmung außer Kraft zu setzen, mussten die führenden Köpfe der RAF alles Bürgerliche in sich abtöten.

Lammert hat recht, wenn er auf die Grauzonen zwischen der RAF und der radikalen Linken dieser Jahre hinweist. Aber er überspitzt seine These bis zur Absurdität, wenn er in einem teleologischen Rückschluss die ganze 68er-Bewegung zur Vorgeschichte der RAF erklärt. Er will oder kann die emanzipatorischen, libertären Seiten dieser Bewegung nicht sehen: den Drang nach Selbstbestimmung, den Ausbruch aus der stickigen Luft der Nachkriegszeit, die Auseinandersetzung mit der Nazigeneration, den Kosmopolitismus.

Was für Hunderttausende ein großer Aufbruch war, ist für Lammert nur eine große Verirrung. Sein Unverständnis geht so weit, dass er der Protestbewegung nachträglich jeden Grund zur Rebellion abspricht. Natürlich war die Bundesrepublik damals kein „Unrechtsstaat“, gegen den bewaffneter Widerstand notwendig gewesen wäre. Aber sie war mehr Obrigkeitsstaat als liberale Demokratie.

Der Bruch mit dem Nationalsozialismus war institutionell vollzogen, aber die Alltagskultur atmete einen repressiven Muff, an dem sich das Aufbegehren entzündete. Das galt für die Ordinarienuniversität wie für die verlogene Sexualmoral, die Diskriminierung von Homosexuellen, die rassistischen Vorurteile, die Zwanghaftigkeit der Ordnungsvorstellungen wie für die Intoleranz gegenüber allen, die aus der Reihe tanzten. Und in zahlreichen Institutionen waren noch jene am Werk, die Parteigänger der Nazis gewesen waren: in Politik und Verwaltung, in der Justiz, der Wirtschaft und den Medien. War es illegitim, sich darüber zu empören? Der Fehler war, die Allgegenwart der Ex- Nazis als Beweis für den präfaschistischen Charakter der neuen Demokratie zu nehmen.

Die Gewalterfahrungen, die die protestierenden Studenten machten, trugen zur Radikalisierung der Bewegung bei. Nachdem Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin bei den Protesten gegen den persischen Schah von einem Polizisten erschossen wurde, gab es eine spontane Versammlung im SDS-Zentrum am Kurfürstendamm. Eine Teilnehmerin rief: „Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz, mit denen kann man nicht argumentieren.“ Die Rednerin war Gudrun Ensslin. Das war natürlich durchgeknallt. Aber wer die Prügelarien der Polizei, die Wasserwerfer, die Hetze der „Bild“-Zeitung und das Attentat auf Dutschke erlebte, wurde empfänglich für solche paranoid-aggressiven Töne. Wie massiv das Gefühl der Bedrohung durch den Sicherheitsstaat und die Kampfpresse auch für viele friedliebende Zeitgenossen war, erschließt sich bei der Lektüre von Heinrich Bölls „Katharina Blum“.

Zudem war die RAF kein rein deutsches Phänomen. Der amerikanische Bombenkrieg in Vietnam, das Apartheidsregime in Südafrika, der Militärputsch gegen Salvador Allende in Chile waren Katalysatoren für die Radikalisierung des Protests. Die Gleichzeitigkeit antikolonialer Bewegungen in der Dritten Welt und außerparlamentarischer Opposition in den Metropolen ermöglichte den linken Gruppen hierzulande, sich als Teil einer weltweiten revolutionären Bewegung zu verstehen. Das war zwar eine Fiktion, aber eine höchst wirkungsvolle.

Die RAF war der zugespitzte Beweis, dass linker Antifaschismus ins Totalitäre und Menschenverachtende abkippen kann. Das Erschrecken über diese Perversion hat zum Neubeginn einer demokratischen, gewaltfreien, reformatorischen Linken beigetragen. Es wäre gut, wenn auch konservative Vordenker wie Norbert Lammert die Schützengräben verließen.

Der Autor ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ralf Fücks

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