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Theresia Enzensberger im Gespräch mit Fred Terna, dem Hauptgast ihrer Charlottenburger Wohnzimmerlesung.

© Davids/Boillot

Wohnzimmerlesung mit Enzensberger: Wiederentdeckung der Langsamkeit

Die 28-jährige Theresia Enzensberger glaubt nicht ans Digitale – und macht ein Magazin. Zum Austausch über die Zukunft des guten Journalismus lädt die Tochter von Hans Magnus Enzensberger ins Wohnzimmer.

Von Barbara Nolte

Als Hans Magnus Enzensberger erfuhr, dass sich seine Tochter selbstständig machen wollte, drückte er ihr einen Businessplan in die Hand, den er einmal selbst für eine Zeitschrift geschrieben hatte, die nie erschienen ist. Der Plan stammte von 1971. Bei der Lektüre stellte die Tochter fest, dass das Geschäftskonzept des Vaters weniger zeitlos ist als dessen Lyrik. „Da waren Etatposten drin, die heute kein Mensch mehr braucht“, sagt Theresia Enzensberger lachend. Auf sich selbst gestellt, griff sie auf ein noch älteres Modell zurück: Subskription, was so viel heißt wie Bestellung. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden so Bücher vertrieben. Seit vergangenem Jahr finanziert Theresia Enzensberger ihr Magazin namens „Block“ auf diese Weise. Nachdem 1000 Hefte geordert waren, wurde die erste Nummer gedruckt.

In der vergangenen Woche hat Theresia Enzensberger, 28, zu einer Wohnzimmerlesung in die Altbauetage einer Freundin nahe dem Ku’damm eingeladen. Enzensberger ist eine große, freundliche Frau mit mittelblonden langen Haaren. Die New Yorker Künstler Daniel und Fred Terna sollen ihre E-Mail-Korrespondenz vortragen. Sie ist Teil eines Kunstprojektes, das in der Auftaktausgabe von „Block“ dokumentiert ist.

Die zweite Nummer ist auch schon eine Weile fertig, aber die Bestellungen stagnieren bei 988. Die Subskriptionsmethode verlangt von den Lesern Geduld. Das ist ihr Nachteil: Man bekommt den Lesestoff, der einen interessiert, irgendwann. Der große Vorteil aber sei, sagt Enzensberger, dass ihr das Geld nicht ausgehen könne. Die Leser leisten Vorkasse. „Mir geht es darum, lange durchzuhalten.“

Ungefähr 20 000 Zeitschriften soll es in Deutschland geben. „Block“ hat also viel Konkurrenz. Doch keine Publikation, die sie kennt, habe sie richtig begeistert, sagt Enzensberger. Vor zwei Jahren hat sie sich umgeschaut, als sie in den USA das Bard College beendet hatte und in Deutschland als Autorin arbeiten wollte. Die 20- bis 30-Jährigen seien bei den Verlagen zwar eine beliebte Zielgruppe, sagt sie. Doch die ihnen zugedachten Produkte würden in der Regel von Älteren gemacht. „Die einzigen Stellen, auf denen Leute meines Alters sitzen, sind die in den Social-Media-Abteilungen.“

Viele verlegerische Erfindungen

Im Autorenverzeichnis von „Block“ dominieren die in den 1980er-Jahren Geborenen. Enzensberger hat Bekannte, die sie schätzt, um Beiträge gebeten: Essays, Reportagen, freie Formen. Außerdem fragte sie bei Schriftstellern an, zum Beispiel bei Olga Grjasnowa, deren Romandebüt ihr gefiel. Sie hat auch selbst geschrieben: einen fiktiven E-Mail-Dialog, in dem eine Frau Charakteranalysen eines Ex-Freundes betreibt und ein Mann den Ex-Freund unter Aufbietung von Luhmann und Roland Barthes in Schutz nimmt. Wie Enzensberger den Schriftwechsel ihrer Protagonisten zwischen Banalität und moderner Bildungshuberei schwanken lässt, ist lustig und zugleich programmatisch für „Block“. Das Persönliche wird theoretisch und das Theoretische persönlich genommen.

Enzensberger wollte ihr Heft zunächst bei einem Verlag unterbringen. Sie ließ hundert Exemplare drucken und verschickte sie an Zeitschriftenhäuser. Sie bekam sogar Termine. Dazu hat sicher auch ein wenig ihr Name beigetragen; Hans Magnus Enzensberger ist bekannt für seine verlegerischen Erfindungen wie das „Kursbuch“, „Die Andere Bibliothek“, „TransAtlantik“. Doch zu den „monetarisierbaren Ideen“, die in den Zeiten der Anzeigenkrise gefragt sind, zählen keine auf teurem Papier gedruckten Essays. „Einer bot mir an, ich solle eine iPad-Version machen“, sagt Enzensberger. Jetzt lacht sie wieder.

„Alle arbeiten umsonst. Das stört mich“

Theresia Enzensberger im Gespräch mit Fred Terna, dem Hauptgast ihrer Charlottenburger Wohnzimmerlesung.
Theresia Enzensberger im Gespräch mit Fred Terna, dem Hauptgast ihrer Charlottenburger Wohnzimmerlesung.

© Davids/Boillot

Anders als viele Verlagsmanager glaubt sie nicht, dass ihre Generation digital geprägt und für Print verloren sei. Manches, was angestrengt von den USA adaptiert werde, sagt sie, sei dort bereits wieder im Verschwinden begriffen. Zum Beispiel die Spezies der „Bloggermädchen“. In Deutschland habe eine große Zeitung gerade eines eingestellt. In Amerika sei die naiv-subjektive Form schon fast wieder in die Bedeutungslosigkeit versunken.

Es ist neun Uhr vorbei. In der Charlottenburger Wohnung drängen sich jetzt junge Menschen mit Weingläsern in der Hand. Es wird meist Englisch gesprochen. Die Akzente sich schwach, aber vielfältig. Über den Tisch mit der Käseplatte hinweg unterhält sich eine Gruppe darüber, ob es sich in Los Angeles besser lebt oder in Kiew.

Fred Terna, 91, Hauptact des Abends, sitzt auf einem Sofa. An die Wand dahinter ist ein Dia geworfen, das ihn und seine erste Frau in dem Alter zeigt, in dem sich die übrigen Gäste des Abends befinden. Das Bild sei in einem Fotoautomaten entstanden, sagt Terna. „Gewissermaßen ein Selfie. Damals war ich gerade aus dem Krankenhaus gekommen, wo ich nach der Befreiung aus dem KZ eine Weile war.“ Auch seine Frau war in Konzentrationslagern. Sohn Daniel war gebannt von dieser und anderen alten Aufnahmen des Paares, zumeist Urlaubsfotos. Er bereiste die Schauplätze und fotografierte sie erneut.

Selbst die Herausgeberin ist ungeduldig geworden

Der Block.
Der Block.

© Promo

Vielleicht ist es Zufall, dass an diesem Abend gleich mehrere junge Menschen zusammengekommen sind, die das Werk ihrer Eltern in gewisser Hinsicht fortführen. Emily Dische Becker, die ihre Wohnung zur Verfügung gestellt hat, ist die Tochter der Schriftstellerin Irene Dische. Hans Magnus Enzensberger hat Irene Dische als Autorin für „TransAtlantik“ engagiert. „Ich bin nie wieder so gut bezahlt worden“, lobte sie einmal im „Spiegel“. Tochter Emily hat jetzt für Theresia Enzensberger geschrieben, allerdings ohne Honorar. „Alle arbeiten umsonst. Das stört mich“, sagt Enzensberger, „meine Generation leidet ohnehin darunter, dass ihre Arbeit nichts wert ist.“

Um ein wenig Gewinn zu machen und zu verteilen, hatte Enzensberger ihrer Zeitschrift eine Auflagensteigerung verordnet: Erst bei 1500 Exemplaren sollte die zweite Ausgabe gedruckt werden. „Es ist nur eine Frage der Zeit“, lautet beschwichtigend der Untertitel des Magazins. Doch selbst die Herausgeberin ist ungeduldig geworden. Sie wolle bereits drucken, wenn die Tausend deutlich überschritten seien, sagt sie. „Ich kann es kaum erwarten, endlich mit der dritten Ausgabe anzufangen.“

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