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Schwarz-Grün bei Anne Will: Cem Özdemir trifft Wolfgang Schäuble

© dpa/NDR/Wolfgang Borrs

TV-Kritik "Anne Will" zu Schwarz-Grün: Man kennt sich, man schätzt sich

Fast schon zu viel Harmonie: Bei Gastgeberin Anne Will machen Wolfgang Schäuble und Cem Özdemir deutlich, dass Schwarz-Grün an ihnen nicht scheitern wird.

Von Til Knipper

Wie wohltuend, nur zwei Gäste in einer politischen Talk-Sendung, das war der erste Gedanke, als Anne Will am Sonntagabend auf Sendung ging. Endlich mal kein Discounter-Kassierer, der sich nach 20-jähriger FDP-Mitgliedschaft radikalisiert hatte und deswegen vor kurzem zur AfD gewechselt ist, kein Schauspieler, der unabhängig vom Sendungsthema, seine Stiftung für eine bedrohte Nashornart vorstellen wollte und last but not least auch kein Berliner Hauptstadtjournalist, der nur sein neuestes Buch oder die Auflage seines Mediums pushen wollte.

Stattdessen zwei Wochen vor der Bundestagswahl mit CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble und Grünen-Chef Cem Özdemir zwei relevante Politiker, die vor laufender Kamera die Chancen für eine schwarz-grüne Koalition ausloteten, ohne das Gastgeberin Anne Will per Stoppuhr die Redezeit gleichmäßig verteilen musste. Sogar das Studio hatte man für dieses Setting mit einem neuen Tresen versehen. So einfach kann politischer Talk sein. 

"Sie hätten nur ja sagen müssen"

Auch das Thema  „Wie viel Grün steckt in Schwarz?" war gut gewählt, weil laut einer aktuellen Forsa-Umfrage, die Will gleich zu Beginn zitierte, es 50 Prozent aller Befragten grundsätzlich begrüßen würden, wenn die Grünen nach der Bundestagswahl an einer Regierungskoalition beteiligt wären, mit 49 Prozent auch fast jeder zweite Unionsanhänger.

Und es ging gleich munter los. Schäuble setzte mit einem Lessing-Zitat aus „Nathan der Weise“ den ersten Wirkungstreffer: „Begreifst Du aber , wieviel andächtig schwärmen leichter als gut handeln ist?“, fragte der abgeklärte Schäuble, um zu untermauern, dass die Grünen der Union in puncto Regierungserfahrung hoffnungslos unterlegen sind. 

Mit unterhaltsamen Details aus den gemeinsamen Sondierungsgesprächen von vor vier Jahren legte er gleich nach. Der erstaunte Zuschauer erfuhr, dass die Union auch schon 2013 inklusive CSU-Chef Horst Seehofer zu Schwarz-Grün im Bund bereit gewesen wäre. „Sie hätten nur ja sagen müssen“, sagte Schäuble, der aber nicht Özdemir, sondern den damaligen Grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin für das Scheitern verantwortlich machte.

Özdemir schlug sich tapfer und kritisierte die Defizite der Union beim Klimaschutz und den Kuschelkurs Merkels mit der Autoindustrie. Das Thema emissionsfreie Autos wollte er bis zum Ende der Sendung nicht mehr loslassen, kam immer wieder auf den Verbrennungsmotor und dessen unvermeidbares Ende zu sprechen. Im letzten Punkt wollte Schäuble gar nicht wirklich widersprechen und man einigte sich darauf, dass die Autoindustrie den dringend nötigen Strukturwandel jetzt anpacken muss.

Es drohte zu viel Harmonie

Überhaupt hatte man den Eindruck, dass Özdemir und Schäuble sich schätzen. Aus ihrer gemeinsamen Heimat wissen sie ohnehin, dass ein Bündnis zwischen ihren beiden Parteien funktionieren kann. Schäuble muss dafür nur seinen Schwiegersohn Thomas Strobl fragen, der unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als Innenminister dient.

Wenn es in der Sendung zu harmonisch wurde, piesackte die gut aufgelegte Anne Will beide Gäste gleichermaßen. Ob die Union angesichts Merkels zahlreicher politischer Volten nicht ziemlich beliebig für eine konservative Partei geworden sei, fragte sie Schäuble, um sich im nächsten Atemzug ein NZZ-Zitat zu eigen zu machen und Özdemir „als schwärzester aller Grünen“ zu bezeichnen. Beide nahmen es sportlich und räumten bei der Gelegenheit auch gleich noch die meisten gesellschaftspolitischen Hindernisse für eine Koalition aus Union und Grünen aus dem Weg.

Den Klassikerzitier-Wettbewerb gewann Schäuble am Ende mit 2:1 mit Treffern durch Lessing und Brecht, während Özdemir nur noch mit einmal Goethe verkürzen konnte. Was Schwarz-Grün angeht, muss jetzt nur noch der Wähler mitspielen. An Özdemir und Schäuble wird eine solche Koalition dieses Jahr zumindest nicht scheitern.

Und von Anne Will wünscht man sich, dass sie in Zukunft die Zahl der Gäste immer nur auf zwei beschränkt. 

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