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Der Jäger und der Sammler: Philipp Keyser (Friedrich Mücke, links) streitet sich mit Magnus Dutt (Ernst Jacobi) um eine Gemälde.

© BR/Hendrik Heiden

TV-Film nach Gurlitt-Fall: Wem die Kunst gehört

Dominik Grafs Thriller „Am Abend aller Tage“ greift den Fall Cornelius Gurlitt auf. Dem Kunstsammler wird ein filmisches Denkmal gesetzt, das zugleich ein Mahnmal ist.

Der etwas ominöse Auftrag einer Gruppe älterer, unterkühlter Frankfurter Geschäftsleute hinter kalter, glatter Bankhochhausfassade lautet: das vermeintlich verschollene Kunstwerk „Die Berufung der Salomé“ des expressionistischen deutschen Malers Ludwig Glaeden wiederzufinden und es unter allen Umständen zurückzukaufen. Der junge Philipp Keyser (konzise: Friedrich Mücke) macht sich an die Arbeit. Es wird eine schwierige Suche werden. Der Münchner Kunstsammler Magnus Dutt (Ernst Jacobi) soll im Besitz des Bildes sein. Keyser trifft bei seiner Spurensuche auf Dutts Großnichte Alma Kufferer (Victoria Sordo), in ihrer Erscheinung ebenso anmutig wie attraktiv, ebenso verzaubernd wie verstörend. Die Newcomerin Sordo ist eine veritable Entdeckung. Doch in dieser Alma – moderne Fee, moderne Hexe –, hartnäckig umworben vom Kunstsucher, schlummern auch Abgründe. Und Keyser, der Suchende, meint zu früh, gefunden zu haben, wonach er strebt.

„Bilder gehören niemandem. Sie gehören nur sich selbst“, sagt Magnus Dutt einmal zu Philipp Keyser in Dominik Grafs neuem ARD-Fernsehfilm „Am Abend aller Tage“. „Bilder können sich ja nicht beschützen. Bilder wollen ergründet werden. Erkannt werden.“ Es mögen die Kernsätze von Grafs komplexem Kunst-Kammerspiel sein. Die Kunst, so wird hier postuliert, ist besitzlos, frei und offen und steht ganz für sich. Ein Postulat, dem nicht jeder Kunstexperte zustimmen würde, von privaten Kunstsammlern, die sie für sich horten und somit dem Auge der Welt entziehen, ganz zu schweigen. „Diese Bilder existieren, um in der Welt zu sein, um zu gefallen“, entgegnet Keyser. Wenn Bilder achtlos betrachtet würden, so Dutt weiter, dann verlören sie ihren Wert, ihre Seele. Sie verlören ihre Sprache. „Ich spreche mit ihnen. Ich beschütze sie“, versichert Dutt. Er hortet, sammelt, und lässt nicht los, gibt nichts heraus. Er kümmert sich um seine Bilder, indem er sie verschließt. Wegschließt.

Cornelius Gurlitt: Verhuscht in Schwabing

Das Drehbuch von Markus Busch ist an Henry James’ 1888 erstmals veröffentlichter, in Venedig angesiedelter Novelle „The Aspern Papers“ angelehnt. Doch natürlich hat ihr Stoff auch eine explizit jüngere, bundesrepublikanische (Vor-)Geschichte: den Fall Gurlitt. Mögen schon die Namen Gurlitt und Dutt auf so eigene Weise miteinander kommunizieren, ebenso wie Cornelius und Magnus, so lässt die Verkörperung dieses Magnus Dutt durch den großen, inzwischen 83-jährigen Mimen Ernst Jacobi eine weitere Assoziationskette mit dem realen, 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt zu, diesem älteren zurückgezogenen Herrn, autistisch beinahe, der stets allein und verhuscht durch München-Schwabing eilte, wenn er denn einmal seine mit 1500 Bildern bestückte Appartement-Wohnung am Arthur-Kutscher-Platz verlassen musste.

Weltfremd, der Welt geradezu abhandengekommen, wirkte der Kunstsammler und Kunsthorter Gurlitt. Da lebte einer nur durch und mit und für und in seiner Kunstsammlung. Die Darstellung durch Ernst Jacobi setzt ihm so beinahe ein kleines fiktionales filmisches Denkmal, das zugleich implizites Mahnmal ist: Denn wie partiell im Fall Gurlitt, so geht es auch im Fall Dutt möglicherweise um Beutekunst der Nationalsozialisten. Um Kunstwerke, die in den 1940er Jahren ihren ursprünglichen Besitzern entrissen wurden, und nun, 75 Jahre später, vielleicht doch noch ihren Weg zurück in deren Familien finden. Es geht also auch um (Schuld-)Fragen von Provenienz und Restitution.

Kunstthriller - Liebesthriller

„Am Abend aller Tage“ – Kunstthriller, Liebesthriller – verhandelt gleich mehrere Topoi: zunächst die Daseinsberechtigung von Kunst in all ihren Formen, ihre Wertigkeit, verbunden mit dem ambivalenten Umgang damit, bis hin zur historischen Schuldhaftigkeit. Aus Henry James’ Venedig wird bei Busch und Graf München, und es sind die Kamerabilder von Martin Farkas, die dieser Stadt, in der Regisseur Graf so lange schon lebt, geradezu huldigen. Es sind langsame, leise, unspektakuläre Aufnahmen, etwa von all ihren Plätzen, vom Karlsplatz und dem Sendlinger Torplatz, vom Karolinenplatz und dem Odeonsplatz. Von den sie verbindenden Straßenzügen.

„Am Abend aller Tage“ ist, sonst wäre es kein Graf-Film, immer auch Verdichtung und Konzentration. Die Stadt. Die Kunst. Der Sammler. Und dazwischen flirrt die Liebe wild umher, oder das, wofür man sie hält. Auch sie will beschützt werden. Oder, wie Magnus Dutt es zu Philipp Keyser über die Kunst formuliert: „Erkannt werden. Erkennen im Sinne der Bibel.“ Doch, erkennen sie sich?

„Am Abend aller Tage“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

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