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Beim Radeln sind wir es bereits gewohnt, unsere Daten GPS-gestützt zu erfassen. Nun soll dies auch in der Arbeitswelt Einzug halten.

© Thilo Rückeis

Update

Tracking im Job: Schläfst du noch, oder arbeitest du schon?

Die Wearable-Technologie ist ein riesiger Wachstumsmarkt. Was als Werkzeug für freiwillige Selbstoptimierer begann, könnte zum Instrument der Kontrolle werden.

Intelligente Uhren, smarte T-Shirts, Fitness Tracker – das Angebot an Wearables wird immer größer. Die Analysten der International Data Corporation schätzen, dass der Markt für tragbare Computer bis 2018 auf 112 Millionen Stück wächst. Quantified Self nennt sich der Trend. Schrittzähler, Pulsuhren und Schlafsensoren sind seine konstanten Begleiter. Auch für Arbeitgeber wird die Technologie interessanter. Mit tragbaren Computern, so die Hoffnung, ließen sich Arbeitsprozesse optimieren und die Wertschöpfungskette besser takten. Wearables könnten eines Tages ganz normale Gegenstände wie Handys im Betriebsalltag werden.

Das Start-up Misfit bietet maßgeschneiderte Apps für Unternehmen an: automatische Schlafprotokollierung, Schritte, Kalorien, Strecken, Tageskalender mit Ernährungsfotos. „Protokollieren Sie alles“, heißt es auf der Webseite. Misfit hat den Fitness-Tracker Shine entwickelt, der die Anzahl der zurückgelegten Schritte misst und Aktivitäten wie Radfahren oder Schwimmen erkennt. Der Tracker, der so groß ist wie ein Zwei-Euro-Stück, kann wahlweise als Armband oder Halsband getragen oder mit einem Magneten an der Kleidung befestigt werden. Konzerne wie BP und eBay bieten ihren Mitarbeitern an, Shine auf der Arbeit zu tragen. Im Austausch gibt es einen günstigeren Tarif bei der Gesundheitsvorsorge – vorausgesetzt, man bewegt sich genug.

Wearables finden immer mehr Eingang in die Arbeitswelt. Die Verkäufer einer Imbisskette in Las Vegas tragen die Datenbrille Google Glass, damit die Chefs die Arbeitsabläufe besser nachvollziehen können. Auch die Fluggesellschaft Virgin Australia stattete ihr Personal beim Check-in mit Googles Datenbrille aus. Tragbare Computer sollen Arbeit effizienter machen. Doch sie bergen auch immer die Gefahr der Überwachung.

Die britische Supermarktkette Tesco hat Mitarbeitern elektronische Armbänder umgehängt, um zu sehen, wohin sie sich bewegen und wie viel sie arbeiten. Ein Ex-Mitarbeiter erzählte der Zeitung „The Independent“, wie die Firmenbosse Aufträge erteilten und überprüften, ob die Mitarbeiter diese in einer angemessen Zeit ausführten. Wenn der Arbeiter die Zielvorgabe erfüllte, erhielt er einen 100-Prozent-Score. Wer auf die Toilette ging, dessen Score fiel rasant. Tesco geriet im Februar 2013 schwer in die Kritik. Der Supermarktriese gestand zu, diese Geräte zu nutzen, allerdings nicht, um das Personal zu überwachen.

Noch ist diese Kontrolle in Deutschland rechtswidrig

Diese Praxis wäre hierzulande rechtswidrig. Reinhold Kopp, Fachanwalt für Arbeitsrecht und ehemaliger saarländischer Wirtschaftsminister, sagte dem Tagesspiegel: „Die Kontrolle von Verhalten und Leistung von Arbeitnehmern durch technische Einrichtungen greift stark in den persönlichen Bereich des Arbeitnehmers ein und bedarf regelmäßig der Einwilligung des Arbeitnehmers, bei mitbestimmten Betrieben zusätzlich der vorherigen Einwilligung des Betriebsrates.“ Die Erfassung von biometrischen Erkennungsmerkmalen, insbesondere wenn sie sich auf sensible personenbezogene Daten wie Gesundheit und Fitness bezögen, unterfalle den strengen Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Eine gesundheitliche Überwachung der Arbeitnehmer sei nur zulässig bei besonderen Berufsgefahren (etwa Strahlenrisiken) oder wenn eine bestimmte Tauglichkeit gesetzlich vorgeschrieben ist (etwa bei Piloten oder bei der Personenbeförderung). „Eine Kontrolle, die heimlich erfolgt, etwa eine GPS-Überwachung mittels Smartphone, ist strafrechtlich sanktioniert“, sagte Kopp.

Trotzdem setzen sich Unternehmen über geltendes Recht hinweg. Beim Discounter Lidl wurden 2008 Mitarbeiter systematisch überwacht und mit Kameras ausspioniert. Von „Stasi-Methoden“ war die Rede. Der Fall löste einen Sturm der Entrüstung aus. Vor ein paar Monaten geriet die Fast-Food-Kette Burger King ins Gerede, die ihr Videoüberwachungssystem zur Kontrolle des Personals einsetzte. Mit tragbaren Computern bekommt die Überwachung eine ganz neue Qualität – und sie kommt auf leisen Sohlen daher.

Die R + V Betriebskrankenkasse hat unter dem Motto „Fit am Arbeitsplatz“ eine Schrittzähleraktion durchgeführt. Die Mitarbeiter bekamen einen Schrittzähler und konnten im Team zusammen mit ihren Kollegen 26 Tage lang Schritte sammeln. Die Aktion war in einen Wettbewerb verpackt, die Teams mit den meisten Schritten bekamen einen Preis. Ging es dabei nur vordergründig um Gesundheit? Oder war es ein ein Testlauf für mehr Datenkontrolle? Die R+V Betriebskrankenkasse sieht dies keineswegs. "Richtig ist, dass die R+V BKK mit dieser Aktion keine Ziele verfolgt hat, die mit dem Tenor des Textes im Zusammenhang stehen. Wearable-Technologies kamen nicht zum Einsatz und von einem Testlauf kann ebenfalls nicht gesprochen werden. Die Aktion wurde ausschließlich durchgeführt, um Mitarbeiter zu mehr Bewegung zu motivieren", erklärte die Krankenkasse dazu.*

Versicherte der Daimler-Betriebskrankenkasse können ebenfalls Bonuspunkte mit einer Fitness-App wie „Runtastic“ sammeln: Wer im Jahr mindestens 100 Kilometer läuft und/oder 250 Kilometer Rad fährt und dies dokumentiert, erhält bis zu 100 Euro Prämie. Der Konzern sieht, welche Mitarbeiter sich fit halten – und belohnt sie. Gegen solche Angebote ist grundsätzlich nichts einzuwenden, solange diese freiwillig bleiben und jeder selbst abwägen kann, welche Vor- und Nachteile er mit der Preisgabe seiner Daten eingeht. Kritiker befürchten jedoch, dass künftig die Krankenkassen die Versichertenbeiträge an das per App aufgezeichnete Verhalten ihrer Versicherten knüpfen und dadurch völlig neue Formen der Kontrolle entstehen könnten. „Gesundheitscoaching und betriebliche Vorsorgeprogramme sind sinnvoll, müssen aber an strenge Datenschutzkontrolle geknüpft werden“, sagte Rechtsanwalt Kopp.

Das Armband weiß, wann man wo ins Bett geht

Denn mithilfe der Daten kann ein detailliertes Bild der Nutzer gezeichnet werden, auch was sie in ihrem Privatleben tun – ob sie viel Zeit in Bars verbringen, wie viel Sport sie treiben und wann sie ins Bett gehen. Jawbone, der Hersteller des Fitness-Armbands Up, weiß aufgrund der Daten, in welcher Stadt die Nutzer ins Bett gehen. Daraus lassen sich wiederum Rückschlüsse auf Alltagsgewohnheiten ziehen.

Der Basketballklub Dallas Mavericks überwacht etwa die Schlafgewohnheiten seiner Athleten. Der Fitnesscoach sieht genau, wer wann und wo ins Bett geht. Ein kleiner Patch registriert Temperatur, Bewegungen und Herzschlag. Nun kann man einwenden: Das sind Profisportler. Doch die Technik ließe sich auch bei ganz normalen Betrieben einsetzen. In Zukunft, befürchten Datenschützer, könnten solche Profile dem Chef dazu dienen, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Wer hat schlecht geschlafen? Wer ist heute besonders verwendungsfähig? „Wearables vergrößern das Risiko der Alltagsüberwachung, der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen und des Handels mit Persönlichkeitsdaten“, warnt Arbeitsrechtler Kopp. „Es drohen substanzielle Beeinträchtigungen der Privatsphäre durch Weitergabe nicht mehr rückholbarer Daten, die unerkannt von Versicherungsgesellschaften, Handelsunternehmen und anderen Geschäftszweigen genutzt werden können.“

Das Problem ist auch technischer Natur: In manchen Branchen wie der Logistik kann die physische Bewegung von A nach B zwar Produktivität anzeigen, etwa bei einer Spedition oder einem Kurierdienst. Doch Bewegung geht nicht unbedingt einher mit Wertschöpfung. Die produktivste Person in einer Firma mag am Tag nur zwei Mal aufstehen. Es ist ein Irrglaube, dass mehr Schritte mehr Produktivität indizieren. Die produktivsten und kreativsten Mitarbeiter sind noch immer solche, die über genügend Freiräume verfügen.

(* - Hinweis: Die Redaktion hat den Text nach einem Hinweis der R+V Betriebskrankenkasse um dieses Zitat ergänzt).

Adrian Lobe

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