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Staatsanwalt Diekmann (Peter Benedict) und BKA-Frau Linda Groner (Katja Riemann).

© MDR/Saxonia Media/Junghans

Tatort: Merkwürdig: Staatsanwälte im Fernsehkrimi

Mal sind sie Partner der Polizei, mal machen sie ihr das Leben schwer: Fast jeder „Tatort“ hat neben den Kommissaren auch seine Staatsanwälte. Wir unterziehen die Krimi-Juristen dem Realitätscheck.

Über den „Tatort“ lässt sich trefflich diskutieren, Woche für Woche, auch darüber, was dieser populäre TV-Krimi, seine Figuren, seine Fälle mit dem echtem Leben zu tun haben. Zum Beispiel das oft knifflige Verhältnis zwischen Staatsanwälten und Kommissaren. Der regelmäßige „Tatort“-Zuschauer (eine aktuelle Kritik) kennt die Spielchen. Der partnerschaftliche Umgang zwischen der Judikative und der Exekutive wird häufig intensiver, wenn Dritte ins Spiel kommen – in Person von aufdringlichen LKA- oder BKA-Beamten. Wie an diesem Sonntag im Leipziger „Tatort – Die Wahrheit stirbt zuerst“. Die siebenjährige Amelie wird tot in einem Boot gefunden, der Verdacht fällt auf den Vater (Pasquale Aleardi). Der wird unweit vom Tatort mit aufgeschnittenen Pulsadern entdeckt. Die Exfreundin von Kommissar Keppler (Martin Wuttke), die ebenso attraktive wie selbstbewusste BKA-Beamtin Linda Groth (Katja Riemann) drängt nun Staatsanwalt Diekmann (Peter Benedict) aus zunächst schleierhaften Gründen dazu, sie in die Ermittlungen einzubeziehen. Blutgruppentests auf verschneitem Waldboden, aufdringliche BKA-Ermittler: Wieder einmal stellt sich die Frage, wie realistisch ist die „Tatort“-Reihe eigentlich?

„Ich finde es bei Fernsehkrimis immer schade, wenn man die Gelegenheit nicht nutzt, das Berufsbild einigermaßen authentisch darzustellen, sondern sogar verfälscht“, sagt Dagmar Freudenberg, die Vorsitzende der Strafrechtskommission im Deutschen Juristinnenbund. Die ARD-Krimis am Sonntagabend schaltet sie regelmäßig ein. Dagmar Freudenberg hat seit 1980 als Staatsanwältin gearbeitet, unter anderem im Bereich Sexualdelikte. Sie kritisiert nicht nur die Darstellung der Staatsanwälte im Fernsehkrimi, auch die Arbeit der Polizei sieht häufig anders aus. Wenn Kommissare – ob nun in Leipzig, Saarbrücken oder Hamburg – im Alleingang Tatorte stürmen, ist das für sie ein Unding.

Freudenberg arbeitet inzwischen im Landespräventionsrat Niedersachsen, wo sie die Fachstelle Opferschutz leitet. Fälle wie den im Leipziger „Tatort“ kennt sie aus eigener Anschauung. „Wenn es um Kindesentführung geht, ist es sehr schwierig, sich von seinen Gefühlen frei zu machen. Zu der Zeit, als ich den Bereich Sexualdelikte übernahm, hatte ich kleine Kinder. Das war nicht einfach“, sagt sie.

Bei den weiblichen Staatsanwälten im „Tatort“ treffen derzeit vor allem zwei unterschiedliche Typen aufeinander. Für den eher maskulinen Typ steht Mechthild Großmann, die mit ihrer rauchigen Stimme im Münsteraner „Tatort“ Staatsanwältin Wilhelmine Klemm verkörpert. Klemm ist interessanterweise mehr als eine Autorenfantasie. „Die Münsteraner Staatsanwältin scheint genau aus den 1980er Jahren zu stammen, als ich selbst als Staatsanwältin angefangen habe. Damals war die Emanzipation der Staatsanwältinnen noch längst nicht so weit fortgeschritten. Man musste durchaus aufpassen, dass man überlebte“, sagt Dagmar Freudenberg.

Auffällige Erscheinungen sind aber auch zwei „Tatort“-Staatsanwältinnen, deren Karriere noch am Anfang steht. In Saarbrücken arbeitet Staatsanwältin Nicole Dubois, die von Sandra Steinbach dargestellt wird, mit dem neuen Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) zusammen. „Nicole Dubois gibt die eiskalte Macherin“, sagt Freudenberg. „Ich habe aber genauso schon männliche Staatsanwälte gesehen, von denen ich nicht begeistert war.“ Auch die Hamburger Amtskollegin Hannah Lennerts (Edita Malovcic) hat im ersten „Tatort“ mit Til Schweiger ein besonderes Profil gezeigt, als sie lange anerkennend auf das Hinterteil von Kommissar Nick Tschiller (Schweiger) schaute. Dagmar Freudenberg bezweifelt denn auch, dass das generell zum Bild einer Staatsanwältin passt. „Allerdings ist die Emanzipation bei den ermittelnden Staatsanwältinnen tatsächlich recht weit fortgeschritten.“

Die Experten macht sich Sorgen

Problematischer als der ironische Umgang mit den neuen Geschlechterrollen ist etwas ganz anderes. „Das Bild, das im Fernsehen von der Arbeit der Justiz transportiert wird, schlägt bei der Ermittlungsarbeit im realen Fall wieder durch“, weiß Freudenberg aus ihrer Arbeit als real agierende Staatsanwältin. Noch gravierender als der „Tatort“ wirken sich die Gerichtsshows der Privatsender aus, sagt sie. „Ich habe selbst schon erlebt, wie mir eine Story präsentiert wurde, die mich stark an einen Fall aus einer dieser Sendungen erinnerte. Was macht das eigentlich mit unserer Jugend, wenn die das für bare Münze nehmen?“

Auch der Leipziger „Tatort“ erhält beim Realitätscheck höchstens eine „Drei“ als Note. Allein schon der Umstand, dass der Vater einen Tag nach seinem Selbstmordversuch wieder munter durch die Botanik springt, macht klar: Dies ist Fernsehen und nicht die Realität. „Es stimmt eben doch: Die Fantasie läuft sich Blasen und wird von der Realität überholt“, sagt Freudenberg. Zugleich stellt sie die Frage, ob in so einem Fernsehfilm tatsächlich alles gezeigt werden muss, so dass Nachahmungseffekte nicht auszuschließen sind. „Ist es wirklich nötig, einen Tötungsakt oder eine Vergewaltigungstat zu visualisieren, möglichst noch im Detail? Und das zu einer Sendezeit, zu der unter Umständen auch Kinder und Jugendliche zugucken?“ Das mache der Staatsanwältin große Sorgen, auch beim „Tatort“.

„Tatort“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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