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Seid’s fertig? Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl, li.) im Gespräch mit Porno-Darstellern (Martin Bruchmann und Sebastian Fischer).

© BR

"Tatort" aus München: Erstaunlich konventionelle Pornowelt

Die "Tatort"-Kommissare Batic und Leitmayr besichtigen in "Hardcore" die Sexbranche - zugleich Sittenporträt und Burleske, ohne zu moralisieren.

Die Sexfilm- und Porno-Branche ist nicht gerade übersichtlicher geworden in den vergangenen 20, 30 Jahren. Wo früher schlicht aus der Lederhose gejodelt wurde, wimmelt es jetzt von Gangbangs/Sado-Maso/Fetisch vor allem aus diversen Internetportalen. Auch und gerade, weil es die Porno-Clips dort kostenlos zu sehen gibt, ist das ein Riesengeschäft. Aufmerksamkeit! Werbung!

Seltsam eigentlich, dass sich der „Tatort“ bis dato noch nicht des Themas angenommen hat. Deutschland ist nicht nur Fußball-Weltmeister, sondern auch Weltmeister im Pornoschauen, heißt es in dem Krimi. Es wurde Zeit, dass die Kommissare Batic und Leitmayr, die beiden älteren Herren aus München, vorbeikommen, und den Kopf schütteln vor lauter Abscheu über so viel moralische Verkommenheit und Schamlosigkeit allüberall.

München war früher mal die Hauptstadt des Pornos, von daher passt das. Die männlichen Pornodarsteller 2017 tragen allerdings keine Lederhosen, sondern stärken sich in einer der amüsantesten Szenen der jüngeren „Tatort“-Geschichte in der Drehpause, nur mit Slip auf einem Spießer-Sofa unterm Bild mit röhrenden Hirschen sitzend, an Schnittchen und diskutieren mit dem hereinplatzenden Leitmayr (Udo Wachtveitl) über geldwerte Vorteile als freischaffender Künstler. Dann geht es nebenan weiter mit dem flotten Dreier. „Man sieht sich.“

Bizarre Szenen für eine bizarre Welt

Hoffentlich nicht, denkt Leitmayr. Klar, dass das hier nicht nur Krimi ist, sondern auch Sittenporträt und Burleske, wie man’s halt gewohnt ist aus München. Zum Start ein Beethoven-Lied („Singen will ich, Lieder singen, die dir klagen meine Pein“). Gleich darauf eine Gruppensex-Szene. Eine Tote gibt es auch. Hobby-Pornodarstellerin Marie Wagner alias „Luna Pink“ wird nach diesem Dreh erwürgt aufgefunden. Die Ermittlungen von Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr konzentrieren sich schnell auf die üblichen Verdächtigen in der Schmuddelbranche (Kollegen, Regisseur, Produzenten). Sie verkomplizieren sich, als sich herausstellt, dass das Opfer die Tochter von Oberstaatsanwalt Kysela ist.

Die Pornobranche: Verrucht oder normales Alltagsgeschäft? Dieser „Tatort“ hinterfragt das Missverhältnis, dass diese Welt angeblich vielen völlig unbekannt ist, gleichzeitig aber die besagten Internet-Clips von Millionen Menschen angeklickt werden, Tag für Tag. Offenbar gibt es da eine Faszination, der auch die Freundin der Ermordeten zu erliegen droht: eine Ex-Darstellerin, die sich mit Mann und Kind ein bürgerliches Leben aufgebaut hat, aber heimlich zu Hause ihre alten Sex-Filme auf DVD ansieht.

Autor und Regisseur Philip Koch findet bizarre Szenen für eine, bei aller Geschäftigkeit, bizarre Welt. Dennoch ein erstaunlich konventionell daherkommender Krimi. Er verkneift sich jeglichen moralischen Zeigefinger, weder beim jungen Porno-Produzenten (schön schmierig: Frederic Linkemann), der mit seiner Firma „Fick Flicks“ ständig auf der Suche nach neuen Ideen für das Thema Internet-Sex ist, noch bei seinem älteren Antipoden, der auf die wachsende Konkurrenz der Amateurfilmer mit ihren Webcams schimpft, früher mit Lederhosen-Filmen sein Geld verdient hat und daheim seinen kranken Vater pflegt.

Manchmal etwas oberflächlich inszeniert

Das ist plakativ, manchmal etwas oberflächlich inszeniert, und sinnvollerweise auch ohne diesen Dreh „hilflose Frauen, die von mächtigen Pornoproduzenten gegen ihren Willen ausgebeutet werden“. Dies wird dem Sachverhalt wohl nicht ganz gerecht (ähnlich wird das in der gerade auf Sky angelaufenen US-Serie „The Deuce“ über den Start der Pornobranche im New York der 1970er intoniert). Und auch wenn es Titel und Thema vermuten lassen: „Hardcore“ zeigt kaum nackte Tatsachen. Lässt seine beiden Kommissare stattdessen die Frage verhandeln, was es denn mit Kindern macht, wenn sie schon als Elf-, Zwölfjährige auf ihre Smartphones starren und Gangbang-, also Gruppensex-Videos streamen. Hart dazu die Sprache, die sich des Jargons bedient, der in dieser Branche üblich ist. Wer weiß schon, welche Stellungen mit „ATM“ und „PT“ gemeint sind?

Ein kalter „Tatort“, vom Lust und Elend im Pornoland. Die beiden (fast) dienstältesten Kommissare scheinen dieser Welt noch ein bisschen entrückter als ohnehin schon. Wie sagt Batic bei der Besichtigung des Tatorts am Set: „Das riecht ja wie bei uns auf dem Herrenklo.“

„Tatort – Hardcore“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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