zum Hauptinhalt
Verdächtig: Kommissar Flückiger (Stefan Gubser, kniend) verhaftet Pjotr Sorokin (Vladimir Korneev). Liz Ritschard (Delia Mayer) sichert die Aktion. Degeto/Daniel Winkler

© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler

"Tatort" aus Luzern: Offene Wunde Tschetschenien-Krieg

Der Schweizer „Tatort“ bringt die Tschetschenien-Kriege der 1990er Jahre in Erinnerung. Zudem muss der Mord an einem Journalisten aufgeklärt werden.

Ein Spargel-Lieferwagen mit Stuttgarter Kennzeichen, der eine junge blonde Tschetschenin über die Grenze in die Schweiz schmuggelt und an einer Tankstelle mitten im Schweizer Nirgendwo aussetzt – die bedrückenden Bilder von skrupellosen Schlepperbanden, die Flüchtlinge in Lastwagen zusammengepfercht nach und durch Europa bringen, sind aus den Nachrichten noch schmerzlich vertraut und in der Eröffnungsszene des Schweizer „Tatorts: Kriegssplitter“ doch so fremd. Die junge Frau namens Nura schlägt sich per Anhalter weiter nach Luzern durch, indem sie einem Autofahrer sexuelle Versprechen macht, die sich letztlich als ein buchstäblicher und schmerzhafter Tritt in die Eier erweisen.

Währenddessen vergnügt sich Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) im Hotel mit einer heimlichen Geliebten, und just in dem Moment, da beide postkoital die Sommernacht auf dem Balkon stehend genießen, fällt von oben ein Journalist herab. So ein Zufall.

Freiwillig gesprungen ist er nicht, so viel steht schnell fest. Wer also hat hier nachgeholfen? "Tatort"-Kommissar Flückiger, dessen versteckte Liaison durch den Luzerner Fenstersturz auffliegt und gleichsam beinahe die Familie der Geliebten zerstört, und seine Kollegin Liz Ritschard (Delia Mayer) nehmen die Ermittlungen auf und stoßen dabei auf zunächst kaum durchschaubare Wirrungen, die bis nach Tschetschenien und Russland reichen. Wie sich herausstellt, sinnt Nura (Yelena Tronina) auf Rache an jemandem, zieht dabei ihren Bruder samt seiner Familie mit hinein und die russische Botschaft mischt plötzlich auch noch mit.

Wer hat die Tat begangen, wer sagt die Wahrheit?

Man muss dem „Tatort“ anrechnen, dass er ein Thema (Buch: Stefan Brunner und Lorenz Langenegger, Regie: Tobias Ineichen) in den Fokus rückt, das in den Köpfen vieler Zuschauer nicht mehr sonderlich präsent sein dürfte. Die Tschetschenien-Kriege 1994 und 1999 haben – wie Kriege das immer tun – tiefe Wunden bei allen hinterlassen, die irgendwie davon betroffen waren. Wer hat Verbrechen begangen, wer sagt die Wahrheit und wer lügt – solche Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten, und es ist gut, dass der Film die Antworten offenlässt, die titelgebenden „Kriegssplitter“ zwar zusammenkehrt, aber nicht zusammenzusetzen versucht.

Nur bleibt ein „Tatort“ eben ein „Tatort“, irgendeinen Schuldigen muss es geben. Deshalb der gestürzte Journalist und die Suche nach der Person, die ihn gestoßen hat. Fingerabdrücke sammeln, Zeugen vernehmen, Alibis prüfen – bis hierher eigentlich ein klassischer Whodunit-Krimi. Nur dass der eigentlich ja davon lebt, dass der Zuschauer endlich wissen will, wer’s denn nun gewesen sein könnte. Aber die Spurensuche nach dem Mörder und die Spurensuche im tschetschenisch-russischen Milieu sind so lose miteinander verwoben, dass man zwischendurch glatt vergisst, mitzufiebern. Leider ein bisschen zu bemüht, das Ganze, aber man ist ja schon froh, nicht noch einen Karnevals-Klamauk ertragen zu müssen.

„Tatort: Kriegssplitter“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

Zur Startseite