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Das Rammeln macht Pause. Im „Tatort: Hardcore“ gönnen sich die professionellen „Rammler“ zwischen zwei Porno-Szenen ein Butterbrot und ein paar Vitamine.

© BR

"Tatort" auf Abwegen: Porno, Penis, Pullern

Der „Tatort“ wird immer nackter. Und Kommissarin Lindholm erleichtert sich. Was falsch, was richtig daran ist

Zu viel davon, um von einem Zufall zu sprechen. Im Porno-„Tatort“ aus München prasseln freizügige Szenen und einschlägige Begriffe, eine Woche später zeigt sich eine Stuttgarter Staatsanwältin im RAF-„Tatort“ nackt, am Sonntag präsentiert sich Kommissar Stedefreund full frontal. Und bevor „Tatort“-Fahnderin Lindholm am 5. November den „Fall Holdt“ lösen muss, hockt sie sich hin, um sich aus der allergrößten Pipi-Not zu befreien. Fehlt nur noch, dass der nächste Mörder ein Koprophiler ist.

Muss jetzt Porno- plus Penis- plus Pulleralarm ausgelöst werden? Wäre kein Problem: Der „Tatort“ ist jetzt zum versauten und versifften Krimistück verkommen. Moral- und Sittenwächter müssen ran, es gilt, mindestens, den Kostümfundus rund um die Kommissare aufzurüsten und an jeder Ecke ein Dixi-Klo zu platzieren.

Der Bayerische Rundfunk verteidigte seinen „Hardcore“-Krimi: „Der ,Tatort‘ greift immer wieder gesellschaftlich brisante Themen auf. Dazu gehört auch die Sexualisierung unserer Gesellschaft und der erschreckend hohe Pornokonsum mitsamt seinem zugehörigen Vokabular.“ Da liegt der Sender richtig – weil der Kontext stimmt. Porno ohne Porno ist Seminar, Fernsehen ist es nicht. Bilder mit nackten Menschen sind nun mal eindrücklich, sie sorgen für Tiefenabdruck.

Zweck der Nackten-Parade

Und doch muss diskutiert werden, ob die Nackten-Parade mehr dramaturgische Notwendigkeit als Peepshow ist, ob sie mehr der Erregungs- und der Empörungs- und weniger der Spannungskurve dient. Dass der Kommissar aus Bremen blank zieht, das wird von diesem „Tatort“ bleiben, wenig anderes ist auch möglich, so überschaubar sind der Fall und seine kriminellen Umstände.

Also, Redakteure, Autoren, Regisseure und Schauspieler: Nackte Akteure retten keinen schwachen „Tatort“, wie umgekehrt ein thematisch aufgeladener Krimi wie der „RAF“-Film Nacktheit zeigen kann, aber nicht zeigen muss – im Nachhall bleibt es ein diskussionswürdiges Stück Fernsehen.

Für Aufsehen sorgten auch frühere „Tatorte“, wie dpa-Autor Gregor Tholl erinnert. Schwuler Sex (Berliner „Tatort: Wir – Ihr – Sie“/2016), nackter Po von Til Schweiger („Kopfgeld“/2014), aber rannte nicht schon 1984 Horst Schimanski nackig durch Duisburg? Das passte sehr genau zu dieser Figur, wie auch die Brüste der jungen Nastassja Kinski essenziell zum als Klassiker anerkannten „Tatort: Reifezeugnis“ von 1977 gehörten. Nackte Haut und Sex fanden im „Tatort“ immer wieder statt, in diesem Krimi-Jahr sehr viel öfter, deutlicher und drastischer. Ein sagenhaftes Kunststück liegt bisher nicht darin, unterm Strich halten sich dramaturgische Einfallsnöte und fallbezogene Notwendigkeit die Waage.

Die Notdurftszene der Charlotte Lindholm im „Fall Holdt“ gehört in letztere Kategorie. Die Szene, die im Kernmoment mehr Hörstück als Fernsehspiel ist, hat für das spätere Fahndungsvermögen der LKA-Beamtin erhebliche Konsequenzen.

Zu viel Sex, zu viel Gewalt?

Zur Rezeptionsgeschichte des bald 50-jährigen „Tatorts“ gehören bestimmte Wellenbewegungen, zuvorderst ausgelöst von zwei Grundfragen: Zu viel Sex, erstens, zweitens zu viel Gewalt? Die mutmaßlich anschwellende Brutalität wurde letzthin wieder festgestellt, als in dem herausragenden HR-Krimi „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur 47 Leichen in 90 Minuten produziert wurden – in einer packenden Krimi-Mischung aus Shakespeare und Tarantino. Empfindlichkeit auf der Macherseite gibt es nur dann, wenn Krimi auf Wirklichkeit trifft: Anfang des Jahres verschob die ARD die Ausstrahlung des „Tatort: Sturm“ wegen des Terroranschlags auf Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember.

Aktuell rauscht eine Auszieh- und Sexwelle durch den Krimi. Trotzdem wird nicht passieren, was 2005 passierte, als die „Bild“ fragte: „Brutaler Sex zur besten Sendezeit: Wie versaut darf ein ,Tatort‘ sein?“ Das war vor der Ausstrahlung, der Film wurde entsprechend gekürzt. 2017: undenkbar.

Der „Tatort“ fällt nicht aus dem Fernsehrahmen und nicht aus der Zeit. Nacktheit und Sex und Porno sind jederzeit im Internet zu haben. Offensichtlich spiegelt der ARD-Krimi mit seiner FKK-Orientierung nur die aktuelle Konvention, den gesellschaftlichen, sprich alltäglichen Umgang mit dem Thema. Soll er das? Nacktheit im Krimi muss unbedingt etwas erzählen. Sie plump zu zeigen, ist bloße Peepshow. Und so inszeniert und präsentiert wird sie zum billigen Trost-Poster für den Zuschauer, der tatsächlich einen „Tatort“ erwartet hatte.

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