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© NDR

RAF-Film: Terror im "Director’s Cut"

"Baader-Meinhof-Komplex": In der 30 Minuten längeren TV-Fassung werden die Zusammenhänge klarer. Andere Mängel im Konzept des Films bleiben dennoch bestehen.

Berlin, 2. Juni 1967, das Zentrum des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Zigarettenqualm hängt in der Luft, ein Dutzend junge Männer und Frauen quatschen oder lesen. Plötzlich stürmt ein aufgeregter Mann zu der Gruppe und brüllt: „Die haben einen von uns erschossen.“ Benno Ohnesorg lag tot in einer Hofeinfahrt, erschossen von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras. Ohnesorg, der 26-jährige Student, das tragischste Opfer der Polizeigewalt gegen Demonstranten. Ohnesorg hatte wie viele andere gegen den Schah protestiert, der zu Staatsbesuch in Berlin war. Lähmendes Entsetzen in dem verrauchten Raum. Nur eine junge Frau, lange blonde Haare, den schmalen Oberkörper von einer Kunst-Lederjacke umhüllt, löst sich von der Wand. Mit eindringlichem Blick verkündet sie hasserfüllt: „Das ist Faschismus. Wir müssen uns bewaffnen.“

Erster Auftritt von Gudrun Ensslin im „Baader-Meinhof-Komplex“, dem Spielfilm, der auf dem Bestseller von Stefan Aust basiert. Aust hat die bekannteste Chronik der ersten Jahre des RAF-Terrorismus geschrieben, und er hat die gesellschaftspolitische Vorgeschichte zumindest angedeutet. Im Kino war der „Baader-Meinhof-Komplex“ ein Kassenschlager. Die TV-Version ist 30 Minuten länger, gesplittet in zwei Teile, die das Erste heute und am Montag sendet.

Ensslin war, weit mehr als Ulrike Meinhof, der geistige Kopf der ersten RAF-Generation. Die Szene mit ihrer flammenden Rede ist nur eine kurze Sequenz, aber ein entscheidendes Detail. Eines von vielen Details, die den Film erst TV-tauglich machen. Die Kinogänger kennen diese wütende Ensslin in der verrauchten Bude nicht. Im Kino betritt Ensslin im biederen Rock erstmals die Szenerie. Da sitzt sie, neben Freund und Kleinkind, auf einem Sofa in einem spießbürgerlichen Wohnzimmer und streitet mit ihrem Vater über Vietnamkrieg und Imperialismus. Sie taucht so unvermittelt auf wie ein Platzregen. Warum sich die junge Mutter aus dem Heer der Vietnamkriegs-Gegner abhebt und in ihrer nächsten Szene gleich radikal Bomben bastelt, das muss man sich zusammenreimen. Für viele Kinogänger war das nicht sonderlich schwer, bei denen konnte man davon ausgehen, dass sie das Buch kennen, dass sie Vorkenntnisse zur Geschichte der RAF haben.

Bei vielen Fernsehzuschauern kann man das nicht. Sie benötigen eine zumindest kurze thematische Einführung der Person. Die TV-Version ist deshalb am Schneidetisch verfeinert worden. „Die dramaturgischen Schnittstellen mussten wieder aufgetrennt und durch den Zuwachs an zusätzlichen Filmszenen neu zusammengefügt werden. Dadurch ergab sich eine ruhigere Erzählstruktur“, sagt der Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger. Na ja, ruhiger. Ein Sturm mit Windstärke acht ist auch ruhiger als ein Orkan mit Windstärke zwölf. Alles eine Frage der Betrachtungsweise.

Der „Baader-Meinhof-Komplex“ bleibt ein glänzend besetzter Action-Film. Stars wie Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Martina Gedeck (Ulrike Meinhof) und Johanna Wokalek (Gudrun Ensslin), Bruno Ganz (BKA-Chef Horst Herold) und Jan Josef Liefers (Peter Homann) spielen handwerklich ausgezeichnet, aber dass sie sich in ihrer künstlerischen Breite inszenieren können, das hatten Drehbuch und Regie (Uli Edel) nicht vorgesehen. Auch eine tiefergehende gesellschaftspolitische Analyse war nie geplant. Stattdessen wird mehr geballert als in vielen Wildwest-Schinken zusammen, Bomben explodieren, Scheiben klirren, Erschossene sinken zu Boden, das ganze Programm.

Die Mängel des Konzepts bleiben auch in der TV-Version, sie sind nur abgeschwächt. Zu viele Personen, zu starke Themensprünge, zu harte Schnitte, zu atemloses Tempo. Nur wird in der TV-Version wenigstens klarer, dass es sich bei den zwei Mädchen, die plötzlich auf einer Sanddüne auftauchen, um die Töchter von Ulrike Meinhof handelt. Auch Figuren wie der Dutschke-Attentäter Josef Bachmann oder der spätere Terrorist Peter-Jürgen Boock werden etwas besser eingeführt. Aber für größere Zusammenhänge bleibt keine Zeit. Und warum die gesuchte Ulrike Meinhof plötzlich in einer Wohnung aufgespürt werden kann, bleibt offen. Es ist halt so. In Wirklichkeit hatte ihr Quartiergeber, ein Lehrer, die RAF-Terroristin verraten.

Zudem bleibt der Film mitunter bei Halbwahrheit hängen. Ein Spielfilm darf das. Aber in diesem Fall ist es ärgerlich, weil diese Halbwahrheit ein Klischee bedient. Und das ist bei der Flut von authentischen Fakten nicht für jeden sofort erkennbar. Im Film wischt der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing im Stammheim-Prozess einen Antrag von Meinhof militärisch knapp vom Tisch: „Abgelehnt“. Aha, so waren sie also, die Richter, Vertreter der repressiven Staatsmacht. Prinzing wurde damals hart kritisiert, mitunter zu Unrecht. Er wurde nach einem gravierenden Fehler abgelöst. Aber auch unter ihm als Vorsitzendem Richter hatte es eins nie gegeben: dass ein Antrag ohne Beratung und Begründung abgelehnt wurde.

„Der Baader-Meinhof-Komplex“, Sonntag und Montag, ARD, 20 Uhr 15

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