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Auf dem G20-Gipfel in Hamburg wurde es oft unübersichtlich. Journalisten wie Martin Kaul (nicht im Bild) berichteten unermüdlich.

© picture alliance / Sebastian Wil

Nominierte für den Journalistenpreis "Der lange Atem": Berichten, wo es unübersichtlich wird

Krawallnächte, Teeniemütter und Rechtsextreme: Die Arbeiten der Nominierten für den "Langen Atem" sind unterschiedlich. Drei Journalisten und ihre Projekte im Portrait.

Als sich der Vermummte, der eben noch inmitten brennender Barrikaden im Schanzenviertel einen Bankautomaten aufbrechen wollte, von hinten auf Martin Kaul wirft, geht dieser zu Boden und kurzzeitig k.o. Sanitäter bringen ihn in eine Bücherei zur Erstversorgung, seine Brille und Uhr sind aber weg. Für Kaul ist der Einsatz beendet, doch am nächsten Tag berichtet er wieder für die „taz“ von den G20-Protesten in Hamburg.

Kaul ist ein Journalist, der dorthin geht, wo es unübersichtlich wird. In Hamburg berichtet er über Tage mit der Video-App Periscope. Tausende Zuschauer sind live dabei, während Kaul durch die Hansestadt zieht und das Geschehen einordnet. Dass Kaul später zum „Leitmedium der Krawallnächte“ erklärt wird, liegt an der außergewöhnlichen Perspektive. Er zeigt mit seinem Handy, was TV-Kameras nicht zeigen, kontextualisiert live, wahrt Distanz zu Protestierenden und Polizei und kommuniziert mit seinen Zuschauern. „Ich will keine Propaganda machen, sondern die Prozesse dahinter erklären“, sagt Kaul.

Kaul berichtet über Castor, Stuttgart 21 und Blockupy

In Hamburg gelingt ihm das vor allem durch seine Erfahrung. Seit 2009 arbeitet er für die „taz“ als Redakteur für soziale Bewegung und außerparlamentarische Politik, inzwischen ist er Reporter. Er berichtet über Proteste gegen Stuttgart 21, die Castor-Transporte oder Blockupy. „Das sind Momente, für die man arbeitet. Wo demonstriert wird, da verändert sich was.“ Für seine Langzeitbeobachtung politischer Großbeobachtungen wurde Kaul für den Berliner Journalistenpreis "Der lange Atem" vorgeschlagen, der am Dienstag vergeben wird.

Bereits zum zweiten Mal nominiert ist Irène Bluche. Vor neun Jahren lernte die Redakteurin vom „RBB Kulturradio“ Mandy aus Hellersdorf kennen. Da war Mandy 13 Jahre alt und schwanger. Heute ist ihr Sohn Jonny ein ausgezeichneter Schüler und leidenschaftlicher Fußballer. „Der Junge ist ein Phänomen“, sagt Bluche. Über die Jahre hat sie die Familie besucht.

Ursprünglich wollte Bluche über Jugendsexualität berichten

Entstanden sind bislang sieben Beiträge über die Geschichte einer Teenagermutter. Dabei hatte Bluche ursprünglich einen Beitrag über Jugendsexualität machen wollen. Bei ihrer Recherche in einem Hellersdorfer Jugendclub stieß sie auf gerahmte Kinderfotos an den Wänden: Babys der Teenagerinnen, die hierher kamen. Mandy war eine dieser Mütter – und bereit für ein Interview. So entstand eine Langzeitreportage über die Lebenswege zweier junger Menschen, die Bluche fortsetzen will, vielleicht bis Jonny volljährig ist. Die Journalistin zeigt dabei ein großes Feingefühl. Sensibel porträtiert sie Mutter und Sohn, aber auch das Netz aus Unterstützung, das die beiden erfahren haben: von den Großeltern, zum Jugendclub, dem Psychotherapeuten und dem Fußballtrainer. Viele hätten Vorurteile, wenn sie von einer Teenagermutter namens Mandy aus Hellersdorf hören, sagt Bluche. „Ich wollte zeigen, dass die Realität nicht so einfach ist. Es geht um mehr als Klischees.“

Walter berichtet seit 2004 über die Bundeswehr

Vorurteile gab es auch, als im Frühjahr der Fall Franco A. bekannt wurde. Er löste eine Debatte über Rechtsextremismus in der Bundeswehr aus. Caroline Walter, Autorin bei der ARD-Sendung „Kontraste“, berichtete nicht nur über den jüngsten Skandal. Seit Jahren deckt sie Wehrmachtstraditionen und Rechtsextremismus bei den Streitkräften auf. Keine leichte Aufgabe. „Die Bundeswehr ist eine Black Box“, sagt Walter. Wenig dringt nach außen, und wenn ein Kamerad an die Öffentlichkeit tritt, habe er Nachteile zu befürchten. Investigativer Journalismus sei daher auch Vertrauensarbeit.

Bereits 2004 zeigte sie in dem vom RBB produzierten Fernsehmagazin, dass sich die Bundeswehr mit dem Wehrmacht-Oberst Werner Mölders ein falsches Vorbild gewählt hatte. Ihre Berichterstattung führte zur Umbenennung des Jagdgeschwaders 74 „Mölders“. „Wir müssen die Missstände ans Licht bringen, damit sich etwas ändert“, sagt die Berlinerin. Ein Schwarz-Weiß-Bild der deutschen Streitkräfte will Walter nicht zeichnen. „Es gibt kritische, aufgeklärte Soldaten, die gezielt an mich herantreten.“ Ihnen will sie auch in Zukunft den Rücken stärken.

Alle Nominierten für den "Langen Atem" finden Sie hier.

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