zum Hauptinhalt
Angst vor herabfallenden Tiefkühlhähnchen: Fabrikant Helmut Färber (Jörg Witte, links) sucht eine ganz spezielle Lebensversicherung, doch statt mit einer überteuerten Police hilft Risikoanalystin Carla Temme (Meike Droste) mit gesundem Menschenverstand.

© ARD/Michael Boehme

Neue ARD-Serie: Nonsens und Nullzins

Nach Tierärzten und Anwälten nun Versicherer: In der neuen ARD-Serie „Frau Temme sucht das Glück“ ist längst nicht ausgemacht, wer verrückter ist: Die Assekuranz-Vertreter oder deren Kunden.

Vor einer halben TV-Ewigkeit, es war das Jahr 1983, suchte der Kabarettist Gerhard Polt im Film „Kehraus“ als übertölpelter Gabelstaplerfahrer an Fasching die Zentrale einer Versicherung auf, um seine leichtgläubig abgeschlossenen Policen zu stornieren. Man sah ihn, von bewussten Fehlinformationen getäuscht, durch die Gänge irren. Man dachte an Franz Kafka, der im Brotberuf Versicherungs-Fuzzi war und den Zynismus der Branche kannte. Und man freute sich, dass sich die Sekretärin Annerose Waguscheit (Gisela Schneeberger) des armen Tropfs am Ende erbarmte. Eine wunderbar schwarze Satire über das Haifischbecken Assekuranz.

Aus der Bayerin Annerose der Polt-Zeit ist in der neuen, zunächst auf sechs Folgen angelegten Versicherungsserie „Frau Temme sucht das Glück“ (Konzept: Dietmar Jacobs, Regie: Fabian Möhrke) Carla Temme geworden. Gespielt von Meike Droste, die in „Mord mit Aussicht“ die Polizistin Bärbel darstellt. Keine Sekretärin wie noch die Schneebergerin, sondern Risiko-Analystin, aber auch wie ihre frühe Kollegin die halbwegs normale Mutter der Kompanie inmitten irrer Männer.

Ob „Kehraus“ oder „Frau Temme“ – in den Versicherungsbüros der TV-Satire hat sich seit über 35 Jahren nicht viel geändert: Die meisten Männer spinnen, sind Zyniker oder Duckmäuser oder alles drei zusammen. Ohne Waguscheits und Temmes wären die Läden längst erledigt. Die kindischen Kerle handeln, als käme Allianz von Alcatraz.

Temmes Boss Hans-Peter Mühlens (wieder wunderbar Hans-Dampf-getrieben und hier von einem Toupet bedeckt: Martin Brambach) erfüllt die Einstellungskriterien für die Männer der „Rheinischen“ aufs Genaueste: ein Spieler, ein Kaufsüchtiger, ein masochistischer Knecht seiner verschwenderischen Frau. Solchen Pfeifen müssen Sie vertrauen. Oder einem wie Horst Ballsen (Ronald Kukulies), einem in die Pleite geratenen und nur knapp von Mühlens vor dem Knast geretteten Hausjuristen, der unter der Trennung von seiner Familie leidet. Oder nehmen wir den Neuen, Frank Weber (Sebastian Schwarz), der auf den Stationen seiner Ausbildung nur eins gelernt zu haben scheint: Ein Unternehmen dient nicht den Kunden, sie und die Arbeitskollegen sind nur für einen Menschen da: für ihn, den schönen Frank, einen neurotischen Menschen mit unbewältigten Kindheitsträumen.

Die Risikokranken sterben nicht aus

Gegen eine solche Versicherung wie die „Rheinische“ bräuchte man als Kunde eigentlich eine Versicherung, aber die Risikokranken, zumal in Deutschland, sterben nimmer aus. Da nullen die Zinsen, da steigen die Prämien, aber der Glaube an die Police, das monetäre Vermächtnis auch über den Tod hinaus, schafft messbare Jenseitssicherheit. Ablasspredigers Tetzels späte Rache an Luther.

Und dann laufen sie auf, die Assekuranz-Irren namens Kunden, angelockt vom No-Limit-Angebot der „Rheinischen“, dem Tor zum Absurdistan eines Lebens im Eventualis. In der ersten Folge „Alles Gute kommt von oben“ erscheint der Hähnchenfabrikant Färber (Jörg Witte) und will sich dagegen versichern, dass er von einem vereisten Hähnchen erschlagen wird. Sein Clan, denkt er, trage das Pech-Gen. Ein buchhalterisch tätiger Vorfahr ritzte sich mit der Schreibfeder und starb an Blutvergiftung, einen anderen begrub eine herabstürzende Gämse, die er als Hobbyjäger erlegt hatte. Warum sollte der Fabrikant dann nicht den Hähnchentod sterben?

Nach einem ziemlich krampfigen Handlungsgegacker gelingt es, dass Frau Temme mit dem Licht des gesunden Menschenverstandes die Hähnchenängste des Kunden prämienschonend zerbrutzelt – zur Freude Färbers, zum Ärger der Versicherung.

Auch der zweite Fall arbeitet sich an der Versicherbarkeit des Unversicherbaren ab: der Liebe. Frau Temme wird gezwungen, die Treuewahrscheinlichkeit eines Ehekandidaten zu berechnen, für die im Schadensfall die Braut nach der Hochzeit in einer Frist von zehn Jahren eine hohe finanzielle Entschädigung von der Versicherung bekäme. Die Risikobearbeiterin schickt – natürlich wider ihre sittliche Überzeugung – als Venusfalle ihre flotte Schwester Hannah (Anna Blomeier) und als schwule Herausforderung den Kollegen Franz zum Ehekandidaten. Aber Prüfling Peter (Christian Hockenbrink) geht aus dem Treue-Tüv untadelig hervor. Warum aus dem Deal nichts für die Versicherung zu verdienen ist, liegt allerdings nicht an der regelversessenen Assekuranz-Äbtissin Temme, sondern am Männerstolz vor dem Hochzeitsaltar.

Das absurde Versicherungstheater – ein Einbrecher will eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen, ein Steinalter unbedingt seinen 110. Geburtstag feiern, um seinen greisen Söhnen etwas zu vererben, ein Ehepaar die Folgen einer Kindesvertauschung absichern – ist immer dann amüsant, wenn es in pointierten Dialogen um Frau Temmes Wahnsinnsabwehr im Büro geht. Die Schilderung ihres verkümmerten Privatlebens, ihrer Liebe zu dem schwedischen Schrat Mikael (Richard Ulfsäter), fällt eher belanglos aus. Bei einer Fortsetzung der Serie das bitte in der Police zur Versicherung der Zuschauergunst berücksichtigen.

„Frau Temme sucht das Glück“, ARD, Sechs Mal dienstags, 20 Uhr 15

Zur Startseite