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Krawallnacht: Ein Randalierer wirft in Hamburg einen Stein in Richtung der Polizei.

© AFP/Christof Stache

Krawalle zum G-20-Gipfel: Schöne neue Online-Fahndung

Nach den Krawalltagen und -nächten in Hamburg während des G-20-Gipfels: Wie sich Bürger jetzt mit eigenen Fotos und Videos an der Aufklärung von Gewalttaten beteiligen.

Das Zitat wird August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zugeschrieben. Es lautet: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Das ist aus Sicht von Denunzierten durchaus nachvollziehbar. Keiner will verpetzt, ja womöglich an den Pranger gestellt werden. Doch was ist ein Denunziant? Zur Definition gehören die niederen Beweggründe desjenigen, der eine Person oder Gruppe eines Fehlverhaltens bezichtigt. Rache, Neid, Hass. Davon unterschieden werden muss die Hilfe bei der Aufklärung schwerer Straftaten. Daran sollte jeder Bürger ein Interesse haben.

Am Montag veröffentlichte die „Bild“-Zeitung Fotos von mutmaßlichen G-20-Verbrechern. Steineschmeißer, Flaschenschmeißer, Plünderer. „Zeugen gesucht! Bitte wenden Sie sich an die Polizei“, hieß die Überschrift. Eine Zeitung im Dienst der Ermittlungsbehörden? Neu ist das nicht. Ob bei dem Berliner U-Bahn-Treter, der Fahndung nach dem Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri oder der Aufklärung der Übergriffe auf Hunderte von Frauen in der Kölner Silvesternacht: Immer häufiger werden durch Aufnahmen sowohl der Polizei als auch privater Personen Verbrechen dokumentiert und nach Verbrechern gesucht.

Aktuell ruft die Polizei Hamburg dazu auf, Bilder und Videos von den Ausschreitungen während des G-20-Gipfels auf der Internetseite www.hh.hinweisportal.de hochzuladen. Ein Sprecher der Polizei sagte dem Tagesspiegel, man benutze das gleiche System, wie es vom Bundeskriminalamt (BKA) nach der Silvesternacht in Köln und den Krawallen deutscher Hooligans bei der Fußball-EM in Frankreich entwickelt worden war. Alle Bilder und Videos könnten anonym eingestellt werden, bislang seien bereits mehr als tausend eingegangen. Für Hamburg ist es eine Premiere. Wie viele Ermittler gebraucht werden, um das Material auszuwerten, ist noch offen.

Die Authentizität des Materials muss überprüft werden

Nie wurde so viel gefilmt wie heute. Der Griff zum Smartphone ist zum Reflex geworden. Besonders junge Menschen teilen sämtliche Augenblicke ihres Lebens – vom selbst gekochten Essen über die Party mit Freunden bis zur ganz normalen Straßenszene. Für Ermittlungsbehörden stecken in dieser Materialfülle potenzielle Beweismittel. Zum ersten Mal im großen Stil genutzt wurden sie nach dem Terroranschlag im Jahr 2013 auf den Boston-Marathon. Drei Menschen wurden damals ermordet, mehr als hundert verletzt. Dank der anschließend von Privatpersonen eingesandten Fotos und Videos konnte das Verbrechen nahezu minutiös rekonstruiert werden.

Die "Bild"-Zeitung vom Montag, auf der Titelseite steht in Großbuchstaben: "Gesucht!"
Die "Bild"-Zeitung vom Montag, auf der Titelseite steht in Großbuchstaben: "Gesucht!"

© screenshot,Mika,Tsp

Seitdem werden solche Hinweisportale regelmäßig genutzt – nach den Terroranschlägen von Paris, der Silvesternacht in Köln, dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, dem Attentat von Manchester. Mit Hilfe des Materials können Bewegungsprofile erstellt, Zeugenaussagen abgeglichen, Abläufe rekonstruiert und Identitäten geklärt werden. Allerdings ist Vorsicht geboten: Moderne Bild- und Videobearbeitungsprogramme ermöglichen fast perfekte Manipulationen. Mittels der so genannten Metadaten – auf der Hardware der Geräte gespeichert sind zumeist Aufnahmedatum und -zeit, das Kameramodell, das verwendete Objektiv und vieles mehr – kann die Authentizität des Materials überprüft werden.

Ist es echt, kann es als „Objekt richterlichen Augenscheins“ durchaus vor Gericht verwendet werden. Im Regelfall wiegt dann das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten weniger schwer als die Aufklärungsnotwendigkeit der Tat. Denn die Erforschung der Wahrheit erstreckt sich auf alle Beweismittel, die für die richterliche Entscheidung von Bedeutung sind. Heimlich aufgezeichnete Gespräche sind wegen der Vertraulichkeit des Wortes juristisch problematisch. Auf visuelles Material treffen etwaige Bedenken nicht zu.

Es gab auch jede Menge „fake news“

Allerdings hat die schöne neue Aufklärungswelt mit Hilfe der digitalen Geräte und sozialen Medien ihre Schattenseiten. Während des Amoklaufs im Münchner Olympia-Einkaufszentrum im Sommer 2015 etwa wurden Videos von Polizeieinsätzen ins Netz gestellt. An Unfallorten wiederum behindern filmende Gaffer oft die Rettungsarbeiten. Bei Ausschreitungen wie während des G-20-Gipfels können sich filmende Schaulustige gar selbst in Gefahr bringen.

Laut Hamburger Polizei hat es über Twitter, Facebook und Instagram an den Krawalltagen auch jede Menge „fake news“ gegeben. Um Einsatzkräfte durch Ermittlungsarbeit zu binden, seien in den sozialen Netzwerken gezielt Gerüchte gestreut worden. Und jedem einzelnen davon müsse nachgegangen werden, um nicht die Informationshoheit über das Geschehen zu verlieren. Die Stadtguerilla fackelt eben nicht nur Autos ab, sondern übt sich auch im Cyberwar.

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