zum Hauptinhalt
Ausgezeichnet. Natalja Sindejewa bekam am Donnerstag in Potsdam den „M100 Award“ verliehen. Foto: Doshd TV

© Doshd TV

Interview mit Doshd-TV-Chefin Sindejewa: „Wahrheit ist Opposition“

Natalja Sindejewa macht mit Dohsd TV unabhängigen Journalismus in Russland. Dafür bekommt sie den Medienpreis "M100 Award"

Frau Sindejewa, Sie wurden für die Verteidigung der Pressefreiheit in Russland am Donnerstag in Potsdam mit dem „M100 Award“ ausgezeichnet.

Ich fühle mich gar nicht als Verteidiger der Pressefreiheit. Als wir unseren Sender Doshd TV vor sieben Jahren gegründet haben, da kam uns so etwas gar nicht in den Sinn. Wir waren und sind eine unabhängige journalistische Plattform. Aber wenn Sie jetzt fragen, gibt es das freie Wort in Russland noch, dann sage ich notgedrungen: Ja, es gibt es, denn es gibt uns.

So einfach?

Keineswegs. Als wir mit der Zeit größer und einflussreicher wurden, da begannen unsere Probleme. Wir hatten in den Jahren 2013 und 2014 ziemlich an Einfluss gewonnen. Die Mächtigen dachten erst, wir seien nur so ein kleiner Moskauer Kanal. Als wir begannen, in die Regionen auszustrahlen, da haben sie uns kleingemacht: Sie haben uns aus dem Kabel hinausgeworfen, sodass wir nur noch im Internet sind. Sie haben unsere Werbepartner angerufen, haben uns verunglimpft. Eine direkte Zensur gibt es nicht. Aber es braucht sie auch nicht.

Wie meinen Sie das?

Viel effektiver arbeiten die Steuerbehörden. Es gibt bei uns ein geflügeltes Wort: Ein Paragraf findet sich immer.

Wie gehen sie mit dieser Bedrohung um?

Wir versuchen, nicht darüber nachzudenken. Wenn du immer nur darüber nachdenkst, welche Folgen das oder jenes hat, dann kannst du nicht mehr arbeiten. Wir können aber nicht immer nur an das schlimmste Szenario denken. Wir müssen nach unserem journalistischen Ethos arbeiten – und auf der Grundlage der russischen Gesetze über die Massenmedien. Und ich als Besitzerin und Direktorin des Senders muss meinen Leuten den Rücken freihalten, sodass die Macht keine Vorwände findet, um einzugreifen.

Haben Sie Angst, dass sie dabei doch einmal an die Grenzen stoßen?

Natürlich.

Der Sender überlebt von Monat zu Monat

Wie finanzieren Sie ihre Arbeit?

Als Startkapital diente unser familiäres Vermögen. Anfangs haben wir auch ganz gut verdient. Doch das ist schon länger vorbei, auch an persönlichem Vermögen ist da nichts mehr. Wir haben den redaktionellen Stab auf die Hälfte der Mitarbeiter herunterfahren müssen. Wir machen keine Sportberichterstattung mehr, keine Kultur. Nur noch das Kerngeschäft: Nachrichten, Interviews, politische Berichte. Fast alles ist live, weil es billiger ist. Doshd lebt von den Abonnenten – und zu 15 Prozent noch von Werbung und dem Verkauf unserer Recherchen. Auch von NGOs können wir praktisch kein Geld nehmen. Wenn die vom Ausland Geld bekommen und uns damit helfen, dann sind auch wir nach russischem Gesetz „ausländische Agenten“. Wir können leben. Irgendwie. Von Monat zu Monat.

Wir leben in Zeiten der „Fake news“. Haben Sie Angst, dass Sie auf Lügen hereinfallen können, die Ihnen gezielt, als Provokation untergeschoben werden, um sie gegen Doshd TV zu verwenden?

Natürlich, das ist uns auch schon passiert. Wir haben uns entschuldigt. Noch ist nichts weiter passiert. Aber es kann.

Doshd ist eine der wenigen medialen Stimmen der Opposition in Russland…

...das ist so ein Stereotyp, das über uns kursiert. Das gefällt mir nicht, das trifft einfach nicht zu.

Nicht die Plattform der Opposition

Wie würden Sie Ihren Sender denn dann charakterisieren?

Wir können nicht die Plattform der Opposition sein, weil wir nicht Partei sind. Wir sind nicht der Erste Kanal (das russische Staatsfernsehen. die Red.), nur von der anderen Seite.  Aber es trifft natürlich zu, was Vaclav Havel gesagt hat: Wenn in einem Land die Lüge regiert, dann ist jede Wahrheit Opposition. Emotional sind wir auf Seiten der der Liberalen in Russland. Das gebe ich zu. An einem kurzen Moment waren wir auch tatsächlich Partei: als wir im Winter 2011/12 über die Proteste gegen die gefälschten Wahlen berichteten, da trugen auch wir das Erkennungszeichen der Opposition, das weiße Band an unseren Revers. Aber dann haben wir uns entschieden: Wir sind ein unabhängiges Medienunternehmen. Wir sind nicht das Applauskommando für Alexei Nawalny, nur weil er gegen Putin ist. Wir setzen uns auch mit ihm kritisch auseinander.

Im März nächsten Jahres gibt es wieder Präsidentschaftswahlen. Was erwarten Sie?

Wenn Putin erneut antritt, was er noch nicht klar gesagt hat, dann wird sich gar nichts ändern.

Das Gespräch führte Frank Herold.

Zur Startseite