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Medienkritik.

© picture alliance / dpa

Gekaufte Journalisten der Lügenpresse: Schweigekartell? Schön wär's!

Der Journalismus hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dabei war es für Medien nie einfacher, Vertrauen zurückzugewinnen. Diskutieren Sie mit!

Der Journalismus hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nicht erst seit Sonntag, als "Welt"-Chefredakteur Stefan Aust seinen Redakteur Günther Lachmann feuerte, weil dieser sich der Alternative für Deutschland als Politikberater angedient hatte. Auch nicht erst, seit auf Pegida- und AfD-Demos "Lügenpresse" skandiert wird.
Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa landete im vergangenen Jahr beim Ansehen verschiedener Berufsgruppen der Job des Journalisten im letzten Drittel der Tabelle. Hinter dem Anwalt, vor dem Versicherungsvertreter und vor dem Politiker. Nun war der Beruf des Journalisten nie wirklich angesehen, doch es scheint weiter bergab zu gehen: Bei der "Trusted Brands Studie" von Reader's Digest bekundeten nur noch 26 Prozent der Bevölkerung Vertrauen in die Arbeit von Journalisten - 2002 waren es noch 40 Prozent gewesen. Politiker rangieren auch dort mit 12 Prozent nur knapp über dem Autoverkäufer. Wenn Bürger also den Abgeordneten fast gar nicht mehr trauen und dem Korrektiv der Presse nur unwesentlich mehr, wenn sie sogar das Gefühl haben, Erste und Vierte Gewalt seien gleichsam korrupt, dann wird es gefährlich für die Demokratie.

Entweder bekommen tatsächlich immer mehr Menschen dieses Gefühl, oder der Eindruck, den sie immer schon hatten, tritt in der aufgeheizten Debatte um Flüchtlinge, Ukraine und AfD nur deutlicher zutage (Eine kritische Analyse von Langzeitstudien zum Vertrauen in Medien lesen Sie hier).

Ärgerlich wäre beides. Denn es ist unnötig.

Die Digitalisierung ist gleichzeitig Auslöser und Lösung dieser Vertrauenskrise.

Die Medienhäuser kontrollieren heute nicht mehr allein, was an die Öffentlichkeit gelangt. Früher hieß das in der Medienwissenschaft „Gatekeeper“-Funktion. Doch das Internet hat den medialen Torwächter - auch wenn das viele Journalisten noch nicht wahrhaben wollen - mit seinen Blogs, mit Facebook, Twitter oder Periscope außer Kraft gesetzt. Passiert etwas, wird es öffentlich - egal, ob Tagesschau oder Tagesspiegel entscheiden, darüber zu berichten. Geistert im Netz eine Information, oder auch nur ein Gerücht herum, nimmt das eine erhebliche Anzahl Menschen wahr. Findet sich diese Nachricht in den klassischen Medien nicht wieder, haben besorgte Bürger und Wutmenschen rechts der CSU (und ein Ex-CSU-Minister) dafür ein Wort geprägt: "Schweigekartell".

Das Problem des deutschen Journalismus ist sein Selbstverständnis: Er versteht sich als 'wirken wollend', d.h. als Journalismus, der die Leser - auch gerne mal: 'die Gesellschaft' - beeinflussen will. In der Regel zu dem, was der jeweilige Journalist in seiner Weisheit als 'das Gute' erkannt hat.

schreibt NutzerIn lilili42

Medien stehen vor einem ähnlichen Problem wie die Parteien

Besonders drastisch war das bei den sexuellen Übergriffen in Köln zu beobachten. Viele Medien berichteten erst sehr spät, als das Gerücht von Massenvergewaltigungen längst in Umlauf war. Dafür gab es Gründe, unter anderem war die Informationslage sehr vage, weder über Täter noch Opfer gab es gesicherte Erkenntnisse. Die Polizei hatte Informationen erst zögerlich herausgegeben, der Kölner Polizeipräsident wurde deswegen sogar frühzeitig in den Ruhestand versetzt. Trotzdem setzte sich nicht nur bei Pegida-Fans der Eindruck fest, die Medien hätten die Fälle bewusst verheimlicht, um Flüchtlinge nicht in ein schlechtes Licht zu rücken.

Tatsächlich hätten auch die klassischen Medien besser noch länger geschwiegen, auf dem Höhepunkt dieser turbulenten Tage hatte das politische Feuilleton bereits die mangelnde sexuelle Revolution der gesamten arabischen Welt besprochen, ohne dass klar gewesen wäre, was genau in der Silvesternacht eigentlich passiert war. Ein Schweigekartell? Schön wär’s ...

War es einst der Job von Journalisten Informationen zu sammeln und zu verbreiteten, besteht die Arbeit heute zu einem Großteil darin, aus ungezählten Informationen auszuwählen und diese zu verifizieren. Der Medienbranche stellt sich dabei ein ähnliches Problem wie den etablierten Parteien, die über den Umgang mit der AfD streiten. Soll man ihre Vertreter stellen, mit Argumenten widerlegen? Oder adelt das nur deren Politik. Soll man sie lieber ignorieren? Dabei ist die eigentliche Frage längst: Kann man noch?

Die Gegenöffentlichkeit ist längst da

Das Internet, die flächendeckende und billige Breitbandanbindung, hilft alternativen Medien dort, wo es die klassischen in die Knie zwingt. Während die großen Verlage bisher weder Ersatz für ihr werbefinanziertes Geschäftsmodell noch eine zündende Idee zu bezahlten Inhalten im Netz entwickelt haben, ist es für viele kleinere Player durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich geworden, ihre Inhalte zu verbreiten. Websites wie "politically incorrect", die "Deutschen-Wirtschafts-Nachrichten" (sic!) oder "Compact" verstehen sich längst als Gegenöffentlichkeit. Nicht selten wird dort an Ängste appelliert und die vermeintliche political correctnes von Politik und Medien "entlarvt". Der Versuch, deren Berichterstattung argumentativ zu widerlegen, ist ehrbar, kann aber nicht zur Hauptbeschäftigung für seriöse Journalisten werden. Denn eine Behauptung ist schnell aufgestellt und verbreitet, viel schneller jedenfalls als sie durch ordentliche Recherche zu widerlegen ist. Diese Zeit fehlte dann an anderer Stelle.

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Die Vertrauenskrise zwischen Leser und Zeitung, Zuschauer und Nachrichtensendung ist so jedenfalls nicht zu bewältigen. Sie greift ohnehin tiefer, daran hat der Fall des „Welt“-Journalisten Günther Lachmann schmerzlich erinnert. Lachmann, der für die Zeitung lange über die AfD berichtet hatte, hat mittlerweile zugegeben, Parteichefin Frauke Petry angeboten zu haben, gegen Geld eine Art Konzeptpapier für eine Neuausrichtung der Partei auszuarbeiten. Gleichzeitig wollte er offenbar weiter für die „Welt“ über die AfD berichten. Sein Chefredakteur Stefan Aust tat das einzig Richtige und feuerte ihn. Soweit der Einzelfall. Wäre es nicht der fehlende vermeintliche Beweis gewesen für einen Vorwurf, der sich hartnäckig hält: Der vom "Gekauften Journalisten".

Das gleichnamige Standardwerk dazu hat 2014 der ehemalige FAZ-Journalist Udo Ulfkotte vorgelegt, es enthielt allerlei abstruse Behauptungen, etwa, dass die CIA den Redaktionen vorschreibe, was zu berichten sei. Dennoch hielt sich das „Sachbuch“ wochenlang in der Bestsellerliste des „Spiegel“ – vielleicht auch, weil viele Menschen gerne glauben wollten, was Ulfkotte berichtete. Der Fall des „Welt“-Journalisten dürfte nun auch bei gemäßigten Verschwörungstheoretikern die Frage aufwerfen: Wenn die „Lügenpresse“ sich schon von der AfD kaufen lässt, wie ist das dann erst bei CDU und SPD?

Das Misstrauen ist teils redlich erarbeitet

Tatsächlich hat sich die Branche das Misstrauen teils redlich erarbeitet und lernt nur langsam daraus. Das fängt an bei Journalistenrabatten, die es lange Zeit bei fast jedem größeren Konzern zum Beispiel auf Autos, Flug- und Bahnreisen gab und die erst eingedämmt wurden, als der damalige Bundespräsident Christian Wulff wegen seiner eigenen vermeintlichen Vorteilsnahme sein Amt verlor. Es reicht über die sogenannten Hintergrundgespräche, bei denen ausgewählte Journalisten mit ausgewählten Politikern über Themen sprechen, ohne dass nachvollziehbar wäre, wer und mit wem tatsächlich in Kontakt stand. In der Zeitung steht dann oft nur die Floskel „aus informierten Kreisen heißt es“. Und es endet auch nicht bei der deutschen Unsitte, dass Politiker es als selbstverständlich erachten, in den Wortlaut ihrer Interviews nachträglich einzugreifen. Das heißt dann „Autorisierung“.

Nicht alle dieser Praktiken sind verwerflich, oft haben sie sogar Sinn. Etwa weil bei einem autorisierten Interview hinterher kein Politiker sich darauf rausreden kann, falsch zitiert worden zu sein. Oder weil in einem vertraulichen Hintergrundgespräch Tacheles geredet werden kann, ohne dass der jeweilige Politiker gleich Sanktionen seiner Partei fürchten muss. Sie haben aber einen entscheidenden Nachteil: Sie sind nicht transparent.

Ein Journalist ist weder ein Neutrum, noch einer mit ausgesprochen ideologischem Hintergrundsdenken und -schreiben. [...] Stellung beziehen sollte er schon - wertbezogen nach seinem Gusto. Es liegt an uns, den Inhalt zu goutieren oder ihn zu bezweifeln. Die Leser sind die eigentliche Macht. 

schreibt NutzerIn lulla

Transparenz? Bei anderen gerne!

Bei anderen haben Journalisten längst erkannt, was Transparenz für ein Wert ist und warum sie wichtig ist. Whistleblower Edward Snowden wurde für seine Enthüllungen über die NSA gefeiert, von Politikern wird gefordert, ihre Kontakte zu Lobbyisten offenzulegen, und mit dem Informationsfreiheitsgesetz gibt es sogar einen juristischen Hebel, Ämter zur Herausgabe von Akten zu zwingen. Nur die eigene Arbeit verrichten die meisten Redaktionen noch hinter verschlossenen Türen.
Dabei war es noch nie so einfach für Journalisten Transparenz herzustellen wie heute. Die Digitalisierung und mit ihr der Verlust der Monopolstellung auf dem Markt der Informationen mag den Journalismus in seine Glaubwürdigkeitskrise gestürzt haben, sie ist aber auch seine größte Chance.

Ansätze dafür gibt es schon. Das ZDF hat Interviews mit Teilnehmern einer AfD-Demo ungeschnitten ins Netz gestellt, um dem Vorwurf zu begegnen, die Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Das im Fernsehen zu zeigen – undenkbar, im Netz ist es ein Leichtes. Nicht nur, dass man Lesern und Zuschauern Rohmaterial zumuten kann, sie fordern es sogar ein. Die gleiche Generation, die nicht mehr darauf wartet, dass Medien aus einer Pressemitteilung zitieren, sondern Politikern gleich direkt auf Twitter folgt, will die einordnenden Gedanken von Journalisten vielleicht nicht missen, aber sich zumindest nachvollziehbar selbst ein Bild machen können. Studien, auf die Journalisten sich beziehen können problemlos verlinkt, Akten aus denen zitiert wird, einfach auf der Website zum Download angeboten werden. Es spräche auch nichts dagegen Interviews live ins Netz zu übertragen. Geld ist kein Argument mehr, Smartphones und Apps wie Periscope können teure Übertragungswagen ersetzen. Außerdem gilt: Ja, Journalisten machen Fehler. Die Digitalisierung hat eine Vernetzung ermöglicht, die es vielen Lesern und Zuschauern einfacher macht, auf Fehler hinzuweisen - und den Redaktionen die Möglichkeit gibt, diese Fehler transparent und schnell zu korrigieren.

Nichts entkräftet den „Lügenpresse“-Vorwurf effektiver als eine gut dokumentierte Recherche. Und nichts verschafft mehr Glaubwürdigkeit als ein souveräner Umgang mit den eigenen Fehlern.

Es wird Zeit, dass Journalisten das Vertrauen, das sie verdienen, zurückerobern.

Wie kann der Journalismus an Glaubwürdigkeit gewinnen? Diskutieren Sie in der Kommentarspalte - oder direkt mit dem Autor auf Twitter:

Weitere Beiträge zur Vertrauenskrise in den Medien finden Sie auf unserem Debatten-Portal "Causa"

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