zum Hauptinhalt
Unsägliche Kommentare wie der von einem Jörg Pippert finden sich laut Beobachtung von #ichbinhier“ über Stunden auf der Facebookseite von „Focus Online Politik“.

© UB

Gegen den Hass im Netz: Besorgte Bürger einmal anders

Die Facebook-Gruppe #ichbinhier engagiert sich gegen Hasskommentare. Im Visiersteht „Focus Online“. Dort nennt man die Kritik "bösartig und absurd".

Am 4. März 2017 platzt Ulrich Brodde der Kragen. „Knallt die stinkende Niggerbande einfach ab“, schreibt ein Facebooknutzer unter einen Artikel auf der Facebookseite „Focus Online Politik“. Der Beitrag trägt den Titel „Deutschland nimmt Tausende Mittelmeerflüchtlinge auf – doch das reicht noch nicht aus“, bebildert mit einem Boot, in dem dunkelhäutige Männer mit Rettungsschwimmwesten sitzen.

Über 15 Stunden steht der Kommentar unter dem Artikel. Brodde erstattet Anzeige gegen „Focus Online“ wegen Beihilfe zur Volksverhetzung. „Meine kleine Anzeige ist ja nur ein Stichlein“, sagt er. „Mir ging es darum, dass es ,besorgte’ Bürger gibt, die auf andere Art besorgt sind. Nämlich darüber, dass solche Hassreden eine Atmosphäre schaffen, die ich in Deutschland nicht gerne haben will.“

Brodde ist Mitglied der Facebookgruppe „#ichbinhier“, die mit Fakten und Argumenten auf rassistische und menschenverachtende Kommentare reagiert. „Counterspeech“, also Gegenrede heißt diese Methode. Etwa 100 der knapp 32.000 Gruppenmitglieder sind regelmäßig aktiv und verabreden sich mehrmals am Tag zu gemeinsamen Aktionen in ausgewählten Kommentarspalten: „#Ichbinhier und fände es gut, wenn einige der Kommentatoren auch den Artikel lesen würden“, schreibt ein Aktivist etwa.

„#Ichbinhier“ arbeitet als eine Art freiwillige Feuerwehr fast ausschließlich auf den Facebookseiten von Nachrichtenmedien, die besonders von Hasskommentaren betroffen sind. Dazu gehören die Seiten von „Bild“, „N24“, „FAZ“, „SZ“ und „Focus“. Weil Facebook seiner Selbstverpflichtung nicht ausreichend nachkommt, problematische Inhalte zu löschen, stecken die Seitenbetreiber in einer Zwickmühle: Rigoros löschen und sich dem Zensurvorwurf aussetzen oder Grauzonen zulassen und Kritik ernten?

Gegen Letzteres kämpfen die Aktivisten von „#ichbinhier“ an: „Hauptsächlich sind wir dort, wo sich die meisten Hassredner treffen“, erklärt Brodde. Vor allem „Focus Online“ und „N24“ seien seiner Ansicht nach stark betroffen. Das Problem sei, dass einige Medien so gut wie keine Kommentare löschen, oder nur viel zu spät, so Brodde. „Solche Auswüchse erhalten Zustimmung und andere Menschen werden darin bestärkt, solche Sprüche ebenfalls loszulassen, weil sie sehen, dass es nicht geahndet wird.“ Kritiker sehen das Nachrichtenportal „Focus Online“, das viel mit reißerischen Überschriften und Clickbaiting arbeitet, als eine Art „Bild“-Zeitung des Internets. Mehr als vier Millionen Fans haben alle „Focus“-Seiten auf Facebook nach eigenen Angaben, ein gigantisches Publikum. Viele Beiträge in den „Focus“-Kommentarspalten sind stark rechtslastig.

"Focus Online" weist Vorwürfe zurück

In der Redaktion des Magazins arbeiten sieben Social-Media-Mitarbeiter im Schichtbetrieb. Beinahe 30.000 Kommentare täglich behalten sie im Blick, sagt Katja Hertin, die stellvertretende Chefredakteurin. „Themen mit hohem Konfliktpotenzial wie die Flüchtlingspolitik werden mit besonderem Augenmerk überwacht“, so Hertin. „Fragwürdige Kommentare“ würden sofort gelöscht oder die Nutzer gesperrt. Eine Software entfernt vorab Beiträge, die bestimmte Filterwörter enthalten. Doch die Nutzer umgehen diese.

Regelmäßig mahnt die Redaktion zur Ordnung, wenn Diskussionen aus dem Ruder laufen: „Beleidigungen und Provokationen sind nicht erlaubt“, heißt es dann. „Bitte toleriert die Meinung anderer.“ Bei einer gesonderten E-Mail-Adresse können Nutzer Kommentare melden.

Die Aktivisten werfen „Focus Online“ gezielte Stimmungsmache vor: „In Richtung ihrer Anzeigenpartner werben die Unternehmen mit den Reichweiten ihrer Beiträge“, erklärt Ulrich Brodde die Methode. „Die werden dadurch generiert, dass man reißerische Überschriften und Bilder zeigt, woraufhin sich in den Kommentarspalten die entsprechenden Leutchen treffen und ihren Hass loslassen.“ Besonders mit Beiträgen zur Flüchtlingskrise und zum Türkei-Konflikt werde die Stimmung angeheizt. Beweisen können die Aktivisten es nicht. „Bösartig und absurd“ nennt Katja Hertin den Vorwurf. „,Focus Online’ lehnt Hasskommentare grundsätzlich ab und bekämpft sie, weil sie demokratische Grundwerte missachten. Allerdings sind wir auch nicht bereit, uns von der Hetze im Netz einschüchtern zu lassen und unsere Kommentarfunktion auszustellen oder nur noch Themen zu veröffentlichen, die kein Diskussionspotential bieten.“

Andere Medien moderieren ihre Facebookseiten offensiv. Die „Welt“ hat etwa den „Welt Praktikanten“ ins Leben gerufen, der rechte Kommentare humorvoll vorführt. Auch Tagesspiegel-Mitarbeiter prüfen die Kommentare der Facebooknutzer. Sie löschen hetzerische und beleidigende Beiträge und sperren Nutzer, die sich nicht an die Regeln halten. Beiträge zu emotionsgeladenen Themen beobachten die Moderatoren vermehrt. Die Redaktion ist der Auffassung, dass Interaktion und Präsenz in der Community notwendig sind, damit Hassredner sich nicht mehr unbeobachtet fühlen und sachlich geführte Diskussionen bestärkt werden.

Zur Startseite