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In der Dramaserie „Taboo“, die am Freitag bei Amazon startet, spielt Franka Potente eine Puffmutter in den Londoner Docks des Jahres 1815.

© Taboo Productions Limited 2017

Franka Potente in "Taboo": „Unser Leben ist auch hanebüchen“

Franka Potente über historische Puffmütter, kindlichen Medienkonsum und ethnische Rollenbesetzungen. Ein Interview zum Start der Amazon-Exklusiv-Serie "Taboo".

Frau Potente, die historische Dramaserie „Taboo“, die an diesem Freitag bei Amazon Prime startet, erzählt die spannende Geschichte eines Mannes – gespielt von Tom Hardy –, der sich im Jahr 1815 in die Schusslinie zwischen Großbritannien und die von den Briten gehassten amerikanischen Kolonien begibt. Welchen Part spielen Sie in diesem Drama?

Ich spiele eine Puffmutter in den Londoner Docks. „Taboo“ handelt einerseits in der englischen Upper Class, andererseits dort, wo es unheimlich dreckig und arm zugeht. Die Titelfigur des James Delaney bewegt sich zwischen diesen Welten. Meine Figur der Helga und ihre Tochter gehören zu seinen Verbündeten.

Häufig sind die schrägen Rollen die dankbarsten.
Ich freue mich durchaus, wenn solche Rollen an mich herangetragen werden. Seit einigen Jahren wird mein Leben sehr stark von der Familie bestimmt. Da ist es sehr schön, dass ich in solche Rollen schlüpfen kann. Sie spielen in einem Milieu, das nach meiner Erfahrung freier ist als in der Oberklasse. Da sind speziell die Frauen of beschränkt auf hübsch aussehen und Mund halten. Die Helga ist gerade für diese Zeit sehr ungebunden, auf eine bestimmte Weise sogar feministisch.

Die vorherrschende Stimmung in „Taboo“ wechselt zwischen leicht düster bis abgrundtief finster.

Beim Wetter bei den Dreharbeiten in London habe ich mich tatsächlich häufig an meine Heimat in Westfalen erinnert.

Frei nach dem Motto „Entweder es regnet oder die Glocken läuten“?

Wir haben uns daraus tatsächlich einen Spaß gemacht. Wenn wir von Berlin aus mit dem Auto unsere Eltern besucht haben, konnten wir sicher sein, dass knapp nach dem Begrüßungsschild für Nordrhein-Westfalen immer die ersten Tropfen fielen.

Aber was reizt Sie an historischen Stoffen, speziell an diesem?

Zuerst denkt man natürlich: Um Gottes Willen, in einer solchen Zeit möchte ich nicht gelebt haben. Andererseits, wenn man heute in einem Lokal sitzt und sich umblickt, dann sieht man lauter Leute, die sich nur auf ihr blödes Smartphone schauen und sich nicht unterhalten. So, wie wir heute leben, ist auch ziemlich hanebüchen. Das gab es damals nicht und darauf muss man sich als Schauspieler einstellen.

Wir leben in politischen Zeiten. Ist „Taboo“ mehr als eine Schauergeschichte? Gibt es einen Subtext? Ich denke da an die indianische Abstammung der Titelfigur, die Geschichten um den Sklavenhandel.
Wenn ich als Deutsche derzeit Nachrichten höre, werde ich an Geschichtsstunden und Filme aus dem „Dritten Reich“ erinnert. Das liegt vielleicht daran, dass die meisten Menschen zurzeit politisch besonders sensibilisiert sind. Auch in „Taboo“ könnte man Parallelen zur Gegenwart sehen. Die East India Company hatte große Macht, ja Monopole. Und denken Sie an die aktuellen Spannungen zwischen den Wirtschaftsblöcken, beispielsweise bei der „Made in America“-Bewegung, die über Waren schimpft, die in China gefertigt werden.

„Taboo“ läuft bei einem Streamingdienst. Welchen Unterschied macht es, ob fürs Kino oder fürs Fernsehen produziert wird?
Die meisten Leute erreicht man nach wie vor im Fernsehen. Eine solche Serie wie „Taboo“ wäre fürs Kino viel zu umfangreich. Mir kommt das Drehen für das Fernsehen zudem etwas näher, weil ich von Natur aus sehr ungeduldig bin. Ich weiß noch damals bei „Die Bourne-Identität“ mit Matt Damon, da mussten wir zum Teil Stunden warten, bis etwas eingeleuchtet war. Im Fernsehen fließt alles schneller.

Welche Serien haben Sie in letzter Zeit besonders gefesselt?

„Girls“. „Homeland“ bin ich auch über die Staffeln treu geblieben, die nicht so gut waren, dann „The Americans“. Ich gucke zudem alles, was mit Essen zu tun hat, so wie „Chef‘s Table“, also Dokus über berühmte Köche, überhaupt Dokumentationen. Und dann gibt es Tage, an denen ich gar kein Fernsehen gucke. Aber das ist ja auch nicht schlimm, weil man ja dank Streaming nichts mehr verpasst.

Franka Potente, die in der Dramaserie "Taboo" ein Puffmutter spielt, hat gerade ein Drehbuch geschrieben und versucht nun, dies als deutsch-kanadische Independent-Produktion zu realisieren.
Franka Potente, die in der Dramaserie "Taboo" ein Puffmutter spielt, hat gerade ein Drehbuch geschrieben und versucht nun, dies als deutsch-kanadische Independent-Produktion zu realisieren.

© Taboo Productions Limited 2017

Ihre Kinder sind drei und fünf Jahre alt. Wie gehen Sie mit dem Thema Medienkonsum um?
Bei uns dürfen nur wir Eltern den Fernseher anmachen und unsere Kinder dürfen auch nur zu bestimmten Zeiten eine bestimmte Menge fernsehen. Sie schauen zudem nur Zeichentrick, echte Personen überfordern sie. Wie schnell es zu viel werden kann, haben wir gemerkt, als wir letztens zusammen im Kino „Zootopia“ gesehen haben. Wenn der Sound so laut und aggressiv ist, ist das selbst mir manchmal zu viel. Da sind die Kids hinterher richtig auf Krawall gebürstet.

Die Konkurrenz des klassischen TV zu den Video-on-Demand-Plattformen scheint dazu zu führen, dass deutlich mehr produziert wird. Sind für Schauspieler goldene Zeiten angebrochen?
Vor allem sind es gerade große Zeiten für ethnische Schauspieler. Das Thema „Oscar so white“ im vergangenen Jahr hat spürbar Wellen geschlagen. Viele Rollen, für die vorher eher weiße Schauspieler infrage gekommen wären, werden nun ethnisch besetzt, also mit afroamerikanischen oder hispanoamerikanischen Schauspielern. Man nähert sich einem realistischeren Level an – auch wenn derzeit für weiße Schauspieler weniger los ist. Aber das zeigt doch nur, wie ungerecht es vorher war.

Ihre Helga in „Taboo“ ist eine Deutsche und wird von einer Deutschen gespielt. Hilft das derzeit in Hollywood?
In diesem Fall war das eher andersherum. Man kam zuerst auf mich zu und sagte sich dann, die Helga könne doch auch eine Deutsche sein. Aber insgesamt hat man schon erkannt, dass es Filme und Serien vielfältiger macht, wenn man sie mit verschiedenen Nationalitäten besetzt. Ich habe mich jetzt ein wenig mehr aufs Schreiben zurückgezogen.

Wann kommt das dritte Buch?
Ich habe das Drehbuch zu einem Kinofilm geschrieben. Wir versuchen gerade, das als deutsch-kanadische Independentproduktion zu realisieren. Es ist ein dramatischer englischsprachiger Stoff, eine moderne Underdog-Geschichte.

"Wir genießen es, dass es in Kalifornien politisch etwas entspannter zugeht."

Um den Jahrtausendwechsel sind Sie nach Hollywood gezogen, 2004 ging es von Los Angeles zurück nach Deutschland, seit einigen Jahren leben Sie wieder an der US-Westküste. Wo haben die beiden Orte ihre Stärken, wo ihre Schwächen?
In einem gewissen Alter kommt es darauf an, dass man das Gefühl hat, an einem Ort angekommen zu sein. Das hat auch etwas mit Glücklichsein zu tun. Meine Kinder wurden hier geboren, mein Mann ist Amerikaner, es macht für meine Familie Sinn, hier zu leben. Wir haben hier Wurzeln und genießen natürlich, dass es in Kalifornien politisch etwas entspannter zugeht. Aber Deutschland bleibt meine Heimat, wo ich aufgewachsen bin. Ich mag deutsche Tradition, Verbindlichkeit, deutsche Kunst, das wird immer so sein.

„Lola rennt“ ist fast 20 Jahre her: Wie ist ihr Verhältnis zum heutigen Berlin?
Ich habe immer noch relativ viel in Europa zu tun. Während der Dreharbeiten zu „Taboo“ war ich häufig in Berlin. Überhaupt habe ich nicht das Gefühl, dass es von Los Angeles nach Deutschland sonderlich weit ist. Interfamiliär haben wir einen sehr regen Reiseverkehr. Aber für alles im Leben gibt es eine gewisse Zeit, derzeit geht es mehr um die Familie, nicht so sehr um mich. Es geht darum, dass man die Kinder vernünftig erzieht, dass man genießt, sie aufwachsen zu sehen. Aber für alles im Leben gibt es eine gewisse Zeit, derzeit geht es mehr um die Familie, nicht so sehr um mich. Ich habe meine bewegten Zeiten gehabt, als ich viel gedreht habe und viel gereist bin. In meinen Zwanzigern hat das super gepasst, aber jetzt bin ich eine vegane 42-jährige Frau mit Mann und Kindern.

Das Interview führte Kurt Sagatz

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