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Posen und posieren. Nach der Trauerfeier für Helmut Kohl wird der französische Präsident Emmanuel Macron (Zweiter von links) zum Objekt der Foto- und Selfie-Begierde.

© AFP

Update

Fast 2,5 Millionen TV-Zuschauer bei Kohl-Messe: Gute Quoten für Übertragung der Trauerfeierlichkeiten

Das Fernsehpublikum nahm breiten Anteil an Trauerakt und Totenmesse für Helmut Kohl. Berührendes Fernsehen, nicht der Bilder, sondern der Reden wegen. Nur die Selfie-Teilnehmer waren peinlich.

Den Start der "Tagesschau" um 20 Uhr um fast 20 Minuten zu verschieben - dafür braucht es schon einen Helmut Kohl. Requiem und militärisches Zeremoniell für den Altkanzler in Speyer dauerten länger als geplant, also wurden die ARD-Nachrichten verschoben. Die Übertragung war um 17 Uhr 10 gestartet und dauerte bis 20 Uhr 19. Durchschnittlich 2,46 Millionen waren dabei, die nachfolgende "Tagesschau" war mit 5,02 Millionen Zuschauer die meistgesehene Nachrichtensendung am Samstag.

Das ZDF hatte am Samstagmorgen den europäischen Trauerakt in Straßburg übertragen. Auch diese fast drei Stunden dauernde Sendung erreichte mit 1,37 Millionen Zuschauer eine respektable Quote. Das "ZDF spezial", das von 22 Uhr 59 an die Tagesereignisse zusammenfasste, interessierte 2,26 Millionen Zuschauer.

Zahlreiche Sender übertrugen

ZDF und Phoenix auf öffentlich-rechtlicher Seite, n-tv und N 24 auf privater Seite, gleich vier Sender übertrugen am Samstagmorgen den europäischen Trauerakt für Helmut Kohl. Die Bilder aus dem Europäischen Parlament in Straßburg waren dabei identisch. Die TV-Einheit des Parlaments hatte Bildproduktion und Bildregie übernommen. Eigene Akzente konnten die Sender damit nur bei der Rahmung setzen, sprich vor der Einheitsübertragung, mit Kommentar während des Trauerakts und dann wieder nach Ende der Übertragung. Sind vier Sender nicht drei zu viel, wenn die entscheidenden Momente, die Live-Übertragung aus dem Plenarsaal und der Reden, identisch sind?

Keineswegs, wenn es sich um ein Ereignis von solch öffentlicher Dimension handelt. Der Trauerakt berührte vor allem durch die acht Redebeiträge langjähriger Weggefährten und Politiker, was immer auch das TV-Publikum sah, eindringlicher war, was es hören konnte. Selten, dass das Medium weniger durch Bilder als durch seinen Ton überzeugt. Nicht nur ZDF-Moderatorin Bettina Schausten wirkte nach der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel ergriffen, auch ihr Gesprächspartner, der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, brachte seinen sonst so kühl-analytischen Ton auf Temperatur.

Medienberater Kai Diekmann

Das Berichtsmuster des ZDF war sehr ähnlich dem der Konkurrenz. Phoenix hatte mit Michael Rutz einen Publizisten ins Studio eingeladen, der Kohl lange Jahre begleitet hatte. Heiner Bremer reportierte und kommentierte die Live-Übertragung für n-tv, N 24 wollte sehr vorausschauend agieren, als sich eine Reporterin aus Speyer meldete, wo abends die Totenmesse gehalten werden soll. Die vier Sender boten Nuancen in der Gestaltung und waren in der Konzentration auf den Trauerakt im Europaparlament auf dem richtigen Kurs.

Für den kundigen Medien-Zuschauer war noch interessant zu sehen, wie Kai Diekmann, der ehemalige "Bild"-Chef, Bewunderer und Freund von Helmut Kohl, beim Ablauf, bei der Inszenierung des Trauerakts beteiligt war. Diekmann hat offensichtlich die Medienarbeit in der Causa Kohl übernommen, im Plenarsaal saß er schräg hinter der Witwe Maike Richter-Kohl.

Und das gab es: Die Kameras liefen noch im Plenrarsaal, als der Sarg bereits hinausgetragen war. Die Trauergemeinde löste sich auf, zugleich sich die Spannung in vielen Gesichtern löste. Etwas fassungslos konnte der Zuschauer schon sein, wie schnell die Trauer aus dem Saal wich. Und dass zahlreiche Teilnehmer es nicht lassen konnten, mit den Mächtigen und Prominenten für gemeinsame Fotos und Selfies zu posieren, war sehr ernüchternd zu sehen. Der würdige Trauerakt hatte seinen peinlichen Schatten.

Von Straßburg nach Speyer

Orts- und Szenenwechsel um 17 Uhr: Speyer, Dom, Requiem, Weihrauch, militärisches Zeremoniell. Die genannten Sender sind wieder komplett versammelt, nur das ZDF ist von der ARD bei der Live-Übertragung abgelöst worden. Ehe die Totenmesse beginnt, wird das Bauwerk begutachtet, die eintreffenden Gäste betrachtet, schließlich die Verbindung zwischen Dom und prominentem Toten geknüpft. Dann wird der Tag zusammengefasst. Für die ARD war der Südwestrundfunk in Speyer gefordert, Birgitta Weber moderierte (ein wenig ungelenk). Erkennbar war die Perspektive zweigeteilt: international und regional. Nicht wenige SWR-Reporter standen schier Habacht, geradezu devot wurden Politiker wie Bernhard Vogel und Malu Dreyer interviewt. Die Studiogäste - Historiker Andreas Rödder und Dokumentarfilmer Stephan Lamby - weiteten die ARD-Übertragung wieder zum angemessenen Format. Sie arbeiteten, wie auch Studiogäste bei anderen Sender, die historische, aber auch die private Dimension des Toten heraus. Die Kohl-Söhne Peter und Walter waren nicht nach Speyer gekommen.

Viele Bilder, deutlich bewegtere Bildsprache, mehr Fernsehen - und doch: Der europäische Trauerakt in Straßburg überbot die Totenmesse in Speyer an Tiefe und Eindringlichkeit. Nicht mit der Pracht der Architektur, der Liturgie, der Farben, der Symbolik - sondern mit den staatstragenden, beseelten, ehrlichen Worten von Jean-Claude Juncker, Bill Clinton und Angela Merkel.

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