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Moment, das muss ich erstmal fotografieren: Immer mehr Leute zücken vor dem Essen ihr Smartphone. Dieses Bild hat unsere Autorin aus dem Bilderdienst Instagram gefischt.

© Marcus Hauer

Essen und Social Media: Zeigt her eure Teller!

Häuser, Autos, Partner: Die gängigen Statussymbole ziehen im Netz nicht. Stattdessen präsentieren Menschen hier, was sie zu sich nehmen – und verändern damit die Esskultur.

In das Bild möchte man am liebsten hineinsteigen: Kross gebratener Speck ragt aufmüpfig aus einem Erbsenpfannkuchen mit Sauerrahm. Das nächste zeigt eher ein zartes Wesen: Ein sich wachsweich biegendes Ei findet sich gefangen im Glas, umgeben von feinem, grasgrünen Schnittlauch. Und auf einem weiteren steht frisch überbrühter Kaffeesatz unglücklich vor sich hindampfend in einem papiernen Teefilter herum. „Ein Desaster“, steht unter dem Bild: „Kaffeemaschine kaputt!“ Es ist Samstag. Die Menschen fotografieren, was sie essen und trinken – und stellen es ins Internet.

Alle diese Bilder gelangten via Instagram ins Netz, einer Fotoanwendung für iPhones und iPads, mit der sich – aufgrund verschiedener voreingestellter Bildfilter und Optimierungen – ohne großen Aufwand ansprechende Fotos aufnehmen und verbreiten lassen. Unter Insidern gilt das „Facebook für Fotos“ als eines der interessantesten neuen Netzwerke. Hier, wo Bilder mehr sagen als Worte, ist eines auffällig: Essen ist das Motiv Nummer 1, wenn es um die Darstellung des eigenen Privatlebens geht. Mit dem englischen Schlagwort „food“ etwa sind 1 279 491 Fotos versehen. Zum Vergleich: „Family“ kommt auf 350 000, „Car“ auf 335 000 Nennungen.

Doch es sind nicht nur die Instagram-Nutzer: Immer mehr Menschen greifen vor der Gabel zur Kamera. Bei der Webseite flickr, mit der man ebenfalls Fotos im Netz für andere zugänglich machen kann, hat sich eine der weltweit größten Gruppen unter dem Motto „I ate this“ gebildet, zu Deutsch: „Das habe ich gegessen.“ Die über 25 000 Teilnehmer aus aller Welt haben fast eine halbe Million Fotos eingestellt. Durchsucht man diese Fotos nach dem Schlagwort „Berlin“, findet man dort ... jetzt raten Sie. Welches Gericht wird unter dem Stichwort „Berlin“ wohl am häufigsten abgebildet? Richtig. Die Currywurst. Die gibt es hier in allen Variationen: Die Britin Lynne genießt ihre mit einer grünen Berliner Weiße, Rick Eisenmenger hat, natürlich in Prenzlauer Berg, ein Bioexemplar aufgetrieben und jemand mit dem Pseudonym OneTakeMovie aus Pasadena verewigte seine Wurst ganz klassisch mit Pommes rot-weiß. Doch die Stadt kann auch anders: Daneben findet man ein sich der Kamera glanzvoll entgegenstreckendes Küchlein der Patisserie Albrecht, ein schick auf dem Teller angerichteter Einkauf, welcher den türkischen Markt mit Fundstücken des Delikatessenladens Rogacki kombiniert, oder die beeindruckenden Schaustücke des Berliner Chinese Food Clubs.

Am Beispiel Berlin wird es unübersehbar: Das Fotografieren und Veröffentlichen von Essen ist, in dieser Masse, eine neue Kulturerscheinung. Das Internet verändert damit unser Essen selbst. Das würde man so erst einmal nicht vermuten: Sicher, Kommunikation, Arbeitsplatz, gekaufter Sex, alles wird vom Virtuellen erfasst. Daran haben wir uns gewöhnt. Aber so etwas Reales wie das Essen? Das soll sich durch das Internet verändern? Kann sich das Netz da nicht einfach mal heraushalten?

Natürlich ist das Abbilden unserer Mahlzeiten an sich nichts Neues: Quer durch unsere Kulturgeschichte haben wir immer wieder Bilder von Essen festgehalten, im 17. Jahrhundert wurde das sogar zu einem eigenen Genre, dem Stillleben. Vor allem in Holland hatte damals die calvinistische Sicht der Dinge das Malen des reich gedeckten Tisches gefördert, galten dort doch Reichtum und Wohlstand als Belohnung für Tugendhaftigkeit. Und auch heute könnte man das Foto der Mahlzeit immerhin als so etwas wie das moderne Tischgebet lesen, halten wir doch damit vor dem Essen einen Moment inne und vergegenwärtigen uns selbst unser gutes Leben.

Ganz uneigennützig ist das anschließende Veröffentlichen der Leckereien im Internet wiederum aber nicht. Während es als unschicklich gilt, andere auf sein neues Haus, das neue Auto oder den neuen Ehemann neidisch zu machen, ist es in unserer Kultur nämlich beim Essen erlaubt.

Zuletzt teilen wir mit dem Veröffentlichen des Fotos auch auf seltsame Weise ein intimes Erlebnis mit. Durch die Nahrungsaufnahme erleben wir nicht nur die erste Verbindung mit jemanden, der sich um uns sorgt. Wie Sex ist Essen eine körperliche, eine sinnliche Erfahrung, man riecht, fühlt und schmeckt es, man nimmt es sogar in sich auf. Dass die Menschen angefangen haben, massenhaft solche Bilder in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen, gefällt folglich nicht jedem. „Hört endlich mit all diesem Essensporno auf!“, schrieb neulich eine Nutzerin wütend auf Facebook und verdeutlichte, dass sie keine Lust habe, ständig an all diesen Intimitäten teilzunehmen.

Ganz falsch liegt sie, indem sie mit dem Wort „Porno“ die Essensbilder in den Bereich der Sexualität rückt, nicht. In der Tat hat Essen mit Sex noch einen weiteren Aspekt gemeinsam: Es ist genauso schwierig, festzuhalten. In der professionell fotografierenden Branche ist deshalb ebenfalls von „Food Porn“ die Rede. Echtes Essen mag sich gut anfühlen, es sieht jedoch auf Fotos meist unästhetisch aus. Statt schleimigen Bratensaftes präparieren Fotografen deshalb die Rillen des gegrillten Steaks noch einmal mit kross aussehender brauner Schuhcreme, tauchen Cornflakes in weißen Klebstoff statt in Milch und lassen Salat mit Glycerin aussehen, als sei er gerade frisch gepflückt. Instagram kann diese Effekte ein bisschen nachahmen, indem es die Farbkontraste verstärkt.

Essen ist heute medial geworden, findet der Heidelberger Facharzt und Ernährungsberater Dr. Gunter Frank, der den wachsenden Bilderberg als Zeichen sieht, dass sich die Leute vom richtigen Essen entfernen. Falsche Ernährung werde von der Wissenschaft immer öfter als Ursache von Krankheiten genannt. Die Folge: Die Menschen bekommen Angst vorm Essen. Die zunehmenden Fotos im Netz sind für ihn eine Reaktion darauf, ebenso wie Kochshows im Fernsehen: „Die Menschen reagieren mit dem Trick, dass man sich Sünden anschauen darf, solange man sie nicht selbst begeht.“

Kamerahersteller und Köche nehmen den Trend jedenfalls auf. Sony, Olympus, Canon, sie alle haben mittlerweile ihre Digitalkameras mit der Voreinstellung „Speisen“ versehen. Sie versetzt die Kamera automatisch in den Nahaufnahmemodus und erhöht ihre Lichtwertempfindlichkeit. Und auch unter Köchen wird mehr denn je fürs Auge und nicht nur für den Magen gekocht. Hatte sich die gehobene Küche in der Vergangenheit durch eine besonders reiche Herstellungsweise oder seltene Zutaten ausgezeichnet, reicht das schon lange nicht mehr.

Im Londoner Restaurant North Road, das gerade einen Michelin-Stern erstanden hat, schwebt die Soße in einem Schleier aus geliertem Pfirsich-Aquavit über dem Kaninchenragout, das von umgefallenen Birnenstücken und grünen Zweigen begleitet wird. „Die visuelle Seite des Essens ist heute wichtiger denn je“, sagt die Restaurantbesitzerin Viviane Lorans. „Unsere Köche kreieren nicht mehr nur Gaumengenüsse, sondern auch kleine Skulpturen.“ Das wurde im Internet natürlich umgehend mit einer App beantwortet: Foodspotting heißt die Seite, mit der man keine Restaurants, sondern gleich konkrete Gerichte empfiehlt. Vom „Time Magazine“ wurde sie sogar unter die 50 besten Webseiten des letzten Jahres gewählt.

Doch keine Sorge. Auch wenn in der heutigen Mediengesellschaft jetzt sogar noch die Mahlzeit darauf achten muss, wie sie aussieht – eines hat sich in jedem Fall nicht verändert: Wichtig ist nach wie vor, immer noch und vor allem, dass es schmeckt. Und eben dafür ist das Visuelle zumindest denen, die wirklich Appetit haben, ja nur das Versprechen. Mahl-zeit!

Sonntagsbraten gesucht: Schicken Sie uns Ihre Essensbilder vom Wochenende an leserbilder@tagesspiegel.de.

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