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Zwischen Tradition und Umbruch. Chefredakteur Klaus Brinkbäumer bei der Festveranstaltung zum 70-jährigen Bestehen des Nachrichtenmagazins.

© Maurizio Gambarini/dpa

Ein Leitmedium im Wandel: Wann ist noch mal „Spiegel“-Tag?

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kämpft gut 70 Jahre nach seiner Gründung um Bedeutung und Beachtung. Wie ist es um das "Sturmgeschütz der Demokratie" heute bestellt?

„Am Morgen vor dem Finale zündet sich Hans-Joachim Watzke schon um zehn die erste Zigarette an. Er sitzt im schwarz-gelben Trainingsanzug auf der Terrasse des Schlosshotels Grunewald, des Mannschaftsquartiers. Am Abend wird Borussia Dortmund im Berliner Olympiastadion um den DFB-Pokal spielen, für den Geschäftsführer könnte es ein wunderschöner Tag werden. Watzke zieht an der Kippe und sagt: ,Ich bin völlig fertig.‘“ Wenn es nach Wolf Schneider geht, ist dieser Einstieg aus einer aktuellen „Spiegel“-Geschichte über den Boss von Borussia Dortmund eher misslungen. Stilpapst Schneider, 92, der einst für den Axel Springer Verlag eine Art „Anti-Spiegel“ gründen sollte, sagte jüngst, die großartigsten Einstiege seien gerade nicht szenisch.

Darüber kann man geteilter Meinung sein. Genauso wie über die Frage, welche Bedeutung das Nachrichtenmagazin gut 70 Jahre nach seiner Gründung noch hat. „Der ,Spiegel‘ hat im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte an gesellschaftlicher Relevanz und Reputation eingebüßt“, sagt zum Beispiel Zeitungsforscher Michael Haller. Das habe er sich in Teilen selbst zuzuschreiben: die Trüffelschweine der Recherche verließen das Haus. „Auch die publizistische Marke Nachrichtenmagazin geriet in Vergessenheit.“ Stattdessen wolle das Magazin allzuoft schrill herumdeuten und spekulieren. Wie groß ist er eigentlich noch, der Respekt der Politiker vor der Relevanz des „Spiegel“, vor der großen Enthüllungs-Story am Wochenende, entstanden aus Zeiten mit Brandt, Wehner oder Strauß – Politiker-Legenden, mit denen das Heft heute noch wirbt? Interessanterweise wollten sich aktuelle Spitzenpolitiker auf Tagesspiegel-Nachfrage nicht dazu äußern.

Ein Zitat von Trump wäre hilfreich

Zur Kampagne zum 70. Geburtstag sei es total in Ordnung, mit den Leistungen von gestern zu werben, sagt Stefan Wegner, Geschäftsführer Scholz & Friends Agenda. „Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn weiter solche Zitate über den ,Spiegel‘ fallen würden, zum Beispiel von Donald Trump oder Angela Merkel.“ Das werde wohl nicht passieren. „Stattdessen könnte man sich bei den endlosen ,Spiegel‘-Beschimpfungen in den sozialen Medien bedienen. Das wäre eine schöne Fortsetzung der Kampagne.“ Das beweise auch, dass der „Spiegel“ weiter Agenda-Setter ist. Es werde heftig über „Spiegel“-Titel gestritten wie zuletzt über das Trump-Cover mit der enthaupteten Freiheitsstatue.

Medienforscher Lutz Hachmeister verweist auf geänderte Medienstrukturen. „Leitmedien in den Ausprägungen des vergangenen Jahrhunderts gibt es ja nicht mehr, weil der Journalismus in weiten Teilen eine Zulieferindustrie für übergeordnete Netzwerke geworden ist.“ Das treffe den „Spiegel“ vielleicht härter als andere Medien, weil hier immer ein starker Deutungs- und Hoheitsanspruch für die Mentalität der Mitarbeiter prägend war. Eine gut recherchierte Story nötige gerade Politikern auch heute noch Respekt ab. Vielleicht seien Politiker und Wirtschaftsführer die letzte Kernklientel, die den „Spiegel“ in alter Geltung wahrnehme. Der „Spiegel“ stehe nach wie vor für solide Recherche und unerschrockene Berichterstattung, sagt Tanjev Schultz, Professor für Journalismus an der Gutenberg-Uni Mainz. „Wer als Politiker vor dem ,Spiegel‘ keinen Respekt hat, dem ist nicht zu helfen.“

Immer noch Sturmgeschütz der Demokratie also? Unter Stefan Aust war der „Spiegel“ durchaus Sturmgeschwätz des Neoliberalismus, mit Klaus Brinkbäumer scheine er jedenfalls wieder neugieriger geworden, sagt Friedrich Küppersbusch. Die Themen im aktuellen Heft: Wie Paare friedlich auseinandergehen, Porsches schmutzige Abgas-Tricks, die Katar-Krise. Aktuelles und Agenda-Setting, gerne auch mal mit der „Geheimakte Adenauer“, das kann man so machen.

Die Auflage ist seit 1998 um über ein Viertel gesunken

Neugierde hin, Leitmedium her, die verkaufte Auflage ist seit 1998 um 27 Prozent gesunken. Sie beträgt 771 066 Exemplare. Geschäftsführer Thomas Haas verkündete seinen Gesellschaftern – Mitarbeiter KG (50,5 Prozent), Gruner + Jahr (25,5 Prozent), Augstein-Erben (24 Prozent) – dennoch gute Zahlen. Die Spiegel-Gruppe erwirtschaftete 2016 trotz erneutem Umsatzminus einen stark gestiegenen Gewinn von 26,4 Millionen Euro. Hintergrund ist die „Agenda 2018“, derzufolge auch mittels Stellenabbau (150 von 727 Stellen) der Rückgang von Umsatz und Gewinn gestoppt werden sollte. Wie viele andere Qualitätsmedien habe der „Spiegel“ in erster Linie kein Problem mit dem Image, sondern mit seinem Produkt, sagt Stefan Wegner. Er stehe in einem deutlich stärkeren Wettbewerb um Aufmerksamkeit und habe noch nicht die Lösung gefunden, wie er vor allem bei der jungen Zielgruppe die Zugänglichkeit zu den nach wie vor guten Inhalten verbessert. Der „Spiegel“, so Hachmeister, müsse im Markenkern, in Recherche und Stil, eine journalistische Leistung anbieten, die andere nicht liefern können.

Es braucht demnach wohl ein Web-Angebot à la „Spiegel Daily“ (s. Kasten), aber eben auch den typischen Sound, diesen notorischen über 70 Jahre gepflegten Aufbau und Ton der Artikel, der unter Chefredakteur Brinkbäumer wieder öfter auffällt. Auch bei Markus Feldenkirchen, Autor der knackigen Geschichte über den BVB-Boss, nach dem Anschlag von Dortmund und dem Ärger mit dem Trainer. „Ein paar Meter entfernt, im Hotelgarten, sitzt Zeitung lesend Thomas Tuchel, der am Abend den Pokal holen und den Watzke drei Tage danach entlassen wird.“

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