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Ob Angela Merkel oder Oliver Welke, Hauptsache Raute!

© picture alliance / ZB

Droge zum Einstieg ins Politikinteresse: Wirkungen und Nebenwirkungen der "heute-show"

Fördern Satiresendungen wie die „heute-show“ oder "extra 3" die Politikverdrossenheit? Eine neue Studie sagt: nein.

Der Journalismus kriselt, aber die Satire boomt. Seit Dezember 2012 hat die „heute-show“ Woche für Woche mehr Zuschauer als das unmittelbar davor ausgestrahlte „heute-journal“. Die Parodie hat das Original längst überflügelt.

Die „heute-show“ des ZDF ist Motor und Ausdruck einer allgemeineren Tendenz. Besonders jüngere Zuschauer finden eine politische Berichterstattung öde, die Berliner Ereignisse mehr oder weniger nacherzählend begleitet, Parteitaktik für den Wesenskern des Politischen hält und sich den führenden Akteuren vor allem mit immanenten Fragen aus der Politikerkaste nähert. Da lachen sie lieber mit Oliver Welke in der „heute-show“.

Auch da liegt Angela Merkel ganz weit vorne – wenn es darum geht, durch den Kakao gezogen zu werden. 51 Mal hat sich die „heute-show“ im ersten Halbjahr 2016 über sie lustig gemacht. Damit führt sie das Witze-Ranking klar vor ihrem Vizekanzler Sigmar Gabriel (25 Mal) und CSU-Chef Horst Seehofer (23 Mal) an. Andere Politiker folgen erst mit großem Abstand. Auch als Gegenstand der Satire sind die Spitzenpolitiker also Spitze.

In den USA wenden sich die Zuschauer von den Nachrichten ab

Anders als in den USA springen bei uns die Zuschauer aber nicht von den seriösen Nachrichtensendungen ab und wenden sich den Satire-Shows zu, sondern die Satire erreicht andere, meist jüngere Zuschauer als das grauhaarige Stammpublikum von „Tagesschau“ oder „heute“. Zum 50. Jahrestag des ZDF wurde die „heute-show“ sogar zur beliebtesten Sendung gewählt – vor „Wetten, dass...?“. Und in den sozialen Medien ist sie es ohnehin.

So ein Hype ruft natürlich Kritiker auf den Plan. Es gibt liberale Journalisten, die machen die „destruktiven Pointen“ der „heute-show“ mitverantwortlich für die Entfremdung zwischen Qualitätsjournalismus und Publikum. Der konservative Publizist Hugo Müller-Vogg sieht diese Sendung als „Beitrag des ZDF zur Förderung der Politikverdrossenheit“ und der Politikpsychologe Thomas Kliche sieht – laut dem ARD-Magazin „Kontraste“ vom 15. September – in der „heute-show“ sogar eine Ursache für den Aufstieg der AfD, weil die Sendung Politiker „herabwürdigt“.

Eine Detailanalyse dieser und anderer Satire-Sendungen stützt solchen Generalverdacht nicht. Die „heute-show“ ist eine Gag-Maschine, die sicher auch viele Kalauer produziert. Vor allem aber bietet sie in großer Dichte unmittelbar politische Themen: 79 der 80 im ersten Halbjahr 2016 behandelten Themen sind so zu bewerten.

Satire bevorzugt symbolische Prägnanz

Satire ist Reduktion. Diese kann auch simplifizieren, aber gerade die „heute-show“ zeichnet sich immer wieder durch treffende Zuspitzung und symbolische Prägnanz aus. Und die Übertreibungen zeigen im besten Fall, wie verrückt die Wirklichkeit ist. Der investigative Journalismus ist nicht in der Lage, uns ein klares Bild davon zu liefern, wer alles außer VW noch alles in „Dieselgate“ verwickelt ist. Die „heute-show“ zählt allerlei Marken auf und sagt dann, um wen es geht: „Autos“. Sie zeigt Angela Merkel, die als „Aus-Puff-Mutter“ schützend ihre Hand über die deutsche Automobilindustrie hält. Ist das billig oder erhellend, Quatsch oder Aufklärung?

Als alle stolz darauf waren, wie einhellig und mutig es unsere Parlamentarier mit der Armenien-Resolution der Türkei gezeigt hatten, referierte die Sendung minutenlang die Windungen und Wendungen in den Stellungnahmen von Parlamentariern, Regierungsmitgliedern und sogar Bundespräsidenten zum Völkermord der deutschen Kolonialmacht an den Herero und Nama. Quatsch? Eine Herabwürdigung der Politiker?

Nein, antiautoritäres Lachen beseitigt ja nicht die Autorität, sondern arbeitet sich an ihr ab. Aber Satire fragt nach der Moral in der Realpolitik, entlarvt leere Politikerfloskeln und Medienmarotten. Weil die NPD zum Auftakt des Parteiverbotsverfahrens in Karlsruhe einen „Knüller“ angekündigt hatte, kommt dieses Wort in jeder Moderation vor. Die „heute-show“ zeigt diesen Pawlow’schen Journalismus durch einen simplen Zusammenschnitt. Und in der Causa Böhmermann plappern alle Journalisten auf allen Sendern das Wort „Staatskrise“ nach. Es ist nicht unpolitisch, solche Gedankenlosigkeit aufzuspießen.

Hochachtung vor dem Journalismus

„Man muss von Politik nichts verstehen, um mitlachen zu können“, moniert Müller-Vogg. Das mag sein, aber wer daraufsetzt, nur kenntnisreiche Eliten dürften mitlachen und mitreden, hat Demokratie auch nicht verstanden.

Wenn es bei uns noch einen Hort der Hochachtung vor dem Journalismus gibt, dann ist er in den Satire-Redaktionen zu finden. Dietrich Krauß, der Spiritus Rector von „Die Anstalt“ (ZDF) und Andreas Lange, der Chef von „extra 3“ (NDR/ARD) kommen aus dem Magazinjournalismus, und Oliver Welke wird nicht müde zu betonen, wie sehr seine Redaktion eine „journalistische Arbeitsweise“ pflege, also Fakten recherchiere und Themen nach Relevanz sortiere.

Dabei unterscheiden sich die genannten Formate stark. Die schnelle und dichte „heute-show“ greift Elemente der Comedy fernsehgerecht auf. Sie lacht über die Welt, während „Die Anstalt“ an ihr verzweifelt. „Die Anstalt“ ist tatsächlich eine moralische Anstalt. Diese Sendung formt das klassische Kabarett zu kleinen, oft sehr didaktischen Theaterstücken, während man dem sketch- und parodienreichen „extra 3“, das bald sein 40. Jubiläum feiert, die Magazintradition anmerkt. Eine Stärke dieser Sendung sind die Songs – wie das bekannt gewordene „Erdowie, Erdowo, Erdogan“-Lied.

Kern ist die kritische Weltsicht

So unterschiedlich die einzelnen Formate sind, bieten sie doch alle mehr als ein einmaliges Dampfablassen. Anders als das Derblecken beim Nockherberg in München oder der Aachener Karneval dienen sie nicht vordringlich der Selbstergötzung der Politiker, sondern ihr Kern ist eine kritische Weltsicht.

Ob sie den Blick schärfen, hängt natürlich auch vom Blick ab. Sie ersetzen nicht den Journalismus, schon gar nicht sind sie der bessere Journalismus, aber sie fußen auf dessen Arbeit, ergänzen diese und spitzen zu. Im besten Fall sind sie eine vergnügliche Einstiegsdroge für politisches Interesse. Sie laden geradezu ein zu einer vertiefenden Weiterführung.

Der Autor ist Verfasser einer Studie der Otto Brenner Stiftung: „Quatsch oder Aufklärung? Witz und Politik in heute-show und Co“, die am Montag erscheint.

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