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"Niemals ohne die Franzosen handeln" - so lautete das Motto von Helmut Schmidt (rechts, mit Valéry Giscard d'Estaing).

© dpa

Dokumentation: Ungleiche Freunde

Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing legten in den Siebzigerjahren die Grundlage für den heutigen Euro. Eine Dokumentation zeigt, wie aus den ungleichen Männern Freunde werden konnten. Dabei spricht Schmidt auch über die jüdische Herkunft seines Vaters.

Wer an deutsch-französische Politiker-Paare denkt, dem fallen womöglich als erstes Helmut Kohl und François Mitterrand mit ihrem Handschlag über den Gräbern von Verdun aus dem Jahr 1984 ein. Aber tickten Kohl und Mitterrand tatsächlich ähnlich? Wer in der seltenen Kategorie der Freundschaft in der Politik nach Beispielen im deutsch-französischen Verhältnis sucht, muss an erster Stelle Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing nennen. Eine Fernsehdokumentation erzählt, warum es kein Zufall ist, dass der Altbundeskanzler und der frühere Staatspräsident einander bis heute persönlich verbunden sind.

Das europapolitische Verdienst Schmidts und Giscards besteht darin, in den Siebzigerjahren den Grundstein für den heutigen Euro gelegt zu haben – eine Währung übrigens, die der Altbundeskanzler während des Zwiegesprächs mit dem Ex-Staatschef im Film von Dorothe Dörholt und Sandra Maischberger keineswegs für endgültig gerettet hält: „Wir müssen enorme Anstrengungen unternehmen, um ihn (den Euro, Anm. d. Red.) am Leben zu erhalten.“

Bis heute betätigen sich der 87-jährige Giscard und der 94-jährige Schmidt als Mahner – und bis in die jüngste Vergangenheit hinein auch als Strippenzieher. So erzählt Giscard, dass er seine Berufung zum Präsidenten des EU-Verfassungskonvents im Jahr 2001 nicht zuletzt auch der Fürsprache Schmidts bei dessen Nach-Nachfolger Gerhard Schröder verdankte. Warum für den deutschen Sozialdemokraten und der französischen Liberalen die europäische Idee zur Berufung wurde, verdeutlicht die Dokumentation: Schmidt und Giscard kannten sich schon lange, bevor sie 1974 – der eine durch den Rücktritt Willy Brandts, der andere durch den Tod des Staatschefs Georges Pompidou – in ihre Ämter katapultiert wurden. Sie hatten sich bereits in den Fünfzigerjahren in Paris bei einer Sitzung des Aktionskomitee von Jean Monnet kennengelernt, einem der Wegbereiter der europäischen Einigung.
Das Interessante an dieser Freundschaft liegt aber darin, das sie zwei Männer aus denkbar unterschiedlichen Elternhäusern verbindet. Schmidts Vater war der Ziehsohn eines ungelernten Hafenarbeiters. Giscards Mutter rühmte sich hingegen, von einem Bourbonen-König abzustammen; sein Vater kaufte den Adels-Nachnamen d’Estaing in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die Dokumentation beschreibt parallel die Schulzeit der beiden, die in Giscards Fall aufgrund der exzellenten Zeugnisse („excellent élève“) unvermeidlich in zwei Elite-Universitäten mündet, während Schmidt schmunzelnd über sich selbst berichtet, er sei ein „begabter Schüler“, aber „ziemlich faul“ gewesen.

Der kleine "Vali" hatte ein deutsches Kindermädchen

Zur großbürgerlichen Erziehung Giscards gehörte natürlich auch ein deutsches Kindermädchen (in der Erinnerung des späteren Präsidenten „eine große Deutsche, sehr stolz, wie man die deutschen Frauen kennt“), die dem kleinen „Vali“ ein erstes, wenn auch wenig Politik-taugliches Deutschvokabular vermittelte: „Waschlappen“, „gute Nacht“, „träume süß“. Der Zweite Weltkrieg wird für beide Männer zum einschneidenden Erlebnis, aber später haben sie sich nicht über ihre Fronterfahrungen ausgetauscht. „Wenn ich durch das Zielfernrohr meines Panzers sah, habe ich Deutsche gesehen“, sagt Giscard. Der Vater seiner Frau Anne-Aymone war im Konzentrationslager Mauthausen ums Leben gekommen; den Entschluss, Deutschland dennoch zu besuchen, fasste sie 1976. Wie eng das Freundschaft zwischen Kanzler und Präsident war, wird nicht nur durch die Übernachtung des Amtsinhabers aus dem Elysée-Palast im berühmten Doppelhaus im Hamburger Stadtteil Langenhorn dokumentiert. Schmidt offenbart nämlich, dass Giscard der Erste nach seiner Frau Loki war, dem er von der halbjüdischen Herkunft seines Vaters erzählt hat. Das Verhältnis zwischen Schmidt und Giscard, resümiert die Historikerin Hélène Miard-Delacroix, ist von gegenseitiger Bewunderung gekennzeichnet. Nach den Worten von Schmidt erlebte das deutsch-französische Verhältnis während der gemeinsamen Regierungszeit mit Giscard d’Estaing seine Glanzzeit. Tatsächlich wurde die Beziehung zwischen den Nachfolgern Schmidts und Giscards durch das Misstrauen getrübt, das Mitterrand der deutschen Wiedervereinigung entgegenbrachte. Und nach der Wiedervereinigung taten sich die politischen Paare auf beiden Seiten des Rheins ohnehin schwerer, eine gemeinsame Basis zu entwickeln. Dennoch gesteht Schmidt zu, dass Symbole wie der Handschlag von Verdun in seinem damaligen politischen Repertoire gefehlt hätten: „Wir haben die massenpsychologische Bedeutung der großen Gesten völlig unterschätzt. Das war ein Fehler.“

„Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing – eine Männerfreundschaft“, Arte, Dienstag, 21 Uhr 50, und Samstag, 28. Dezember, 12 Uhr 45 auf ZDF Info

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