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Auf der Suche nach einer neuen Heimat. Still aus "Mass Effect: Andromeda".

© EA

"Mass Effect: Andromeda" im Test: Jenseits der Milchstraße

Der vierte Teil der beliebten „Mass Effect“-Reihe ist ein ambitionierter Neustart, schöner und größer als die Original-Trilogie - doch die gewohnte Magie lässt er vermissen.

Die Raumstation ist desertiert, kein Licht, keine Menschen, kein Lebenszeichen. Nur ein Hologramm schimmert inmitten der bedrohlichen Leere. Es hält eine Begrüßungsrede. Auf die Ankunft in der 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromeda-Galaxie, auf den Pioniergeist all derer, die sich für 600 Jahre in einen künstlichen Schlaf haben versetzen lassen, um im Jahr 2184 die Reise in eine unbekannte, goldene Welt anzutreten. Über hunderttausend Menschen und Aliens sind mit der privaten Andromeda-Initiative in Archen aufgebrochen, Aussteiger, Abenteurer, Forscher, Verbrecher. Als Spieler ist man im Sci-Fi-Action-Rollenspiel „Mass Effect: Andromeda“ einer von ihnen. Und spätestens in dem Moment, in dem man in der verlassenen Station vor der künstlichen Intelligenz steht, wird klar: Irgendetwas bei der Sache ist gewaltig schief gelaufen.

Die Situation, in die einen „Mass Effect: Andromeda“ hineinwirft, ist dabei zur Allegorie für das Spiel selbst geworden. Denn so wie für den Spieler ist „Andromeda“ auch für das kanadische Entwicklerteam und seine Marke „Mass Effect“ ein Neustart gewesen. Und auch hier hat man mehr versprochen, als man halten konnte. Eine goldene Videospielwelt, größer, schöner, ein neuer Standard, der gleichzeitig an die erzählerische Stärke der von 2007 bis 2012 erschienen, originalen Trilogie rund um Commander Shepard anknüpfen sollte.

In „Andromeda“ schlüpft man in die Haut von wahlweise Scott oder Sara Ryder, deren Vater, ein legendärer N7-Soldat aus der Milchstraße, die Andromeda-Initiative gegründet hat. Ziemlich unverhofft wird man vor die Mammutaufgabe gestellt, seine Führungsrolle zu übernehmen: Man muss herausfinden, was bei der Reise vorgefallen ist, wo die anderen Archen gelandet sind und eine Heimat für die Initiative finden. Und natürlich hat die Andromeda-Galaxie nicht unbedingt darauf erwartet, von Fremden erschlossen zu werden.

Es ist eine riesige Welt, die Bioware hier aufbietet. Und sie ist wunderschön geworden, divers gestaltet. Eis-, Wüsten-, Dschungelplaneten, verlassene Alienarchitekturen, die in mysteriöser Schönheit in den Himmel ragen. Ähnliches gilt auch für ihre Bewohner. Einige sind offen feindlich gesinnt, andere misstrauisch. Man erfährt schnell, dass andere Fremde, die Kett, die Galaxie mit Krieg überziehen. Die garstige Alienrasse assimiliert die DNA von anderen Spezies, integriert sie zur Reproduktion in sich selbst und predigt einen lebensverachtenden, religiösen Fanatismus. Und sie sind besessen von der antiken Relikten, die überall verstreut ist. Ihre Beweggründe nachzuvollziehen und sie aufzuhalten ist eine der unzähligen Aufgaben des Spielers.

Doch gerade in den Anfangsstunden leidet die durchaus spannende Prämisse unter einer schwachen Inszenierung. Für ein „Mass Effect“-Spiel ist das ein besonderes Ärgernis, denn die Vorgänger sind bis heute dafür bekannt, nicht nur eine der packendsten, sondern auch tiefgründigsten Sci-Fi-Geschichten im Videospielbereich erzählt zu haben. „Andromeda“ bessert sich in dem Moment, indem die Galaxie sich zum Erkunden öffnet, aber das bringt ein anderes Problem mit sich: die erschlagende Größe dieser Welt. Der neue Teil ist so umfangreich wie alle drei vorhergehenden Teile zusammen, will man wirklich alles gesehen haben. Und er ist vollgestopft mit kleinen Geschichten und Aufgaben, die in ihrer Qualität immens schwanken. Von sehr persönlichen Begebenheiten, die das Abenteuer und die koloniale Expansion kritisch reflektieren, das Konfliktpotential von kulturellen Erstkontakten thematisieren und ein Gefühl der Unsicherheit und Ambivalenz vermitteln, reichen sie bis hin zu lieblos geschriebenen Lückenfüllern, die weder für die Story noch spielerisch Mehrwert bringen. Die schiere Masse dieser Nebenstränge führt dazu, dass die Haupthandlung ausfranst. Die erzählerische Dichte der Original-Trilogie erreicht der neue Teil dadurch nur selten.

Man sollte nicht zu viel erwarten von diesem Neuanfang

Was Bioware wirklich gelungen ist, ist das Kampfsystem. Waren Kämpfe bisher in „Mass Effect“ eher eine steife Angelegenheit, die man hinter sich brachte, um in der Handlung voran zu kommen, machen sie jetzt tatsächlich Spaß. Das System ist komplex und doch eingängig genug. Der Spieler kann zwischen verschiedenen Kräften wählen. Biotik beispielsweise lässt Widersacher in die Luft schleudern oder in einem Gravitationsfeld schweben, mithilfe von Technik kann er sie einfrieren oder in Brand setzen. Viele der Fähigkeiten entfalten ihr Potenzial erst, wenn man sie miteinander kombiniert.

Man wird das Gefühl nicht los, das Bioware hier teilweise an den falschen Stellen geschraubt hat. „Mass Effect: Andromeda“ ist in mancher Hinsicht ein Rückschritt, in mancher ein Fortschritt. Eine goldene Spielwelt ist es sicher nicht. Aber vielleicht ist das auch zu viel erwartet für einen Neuanfang.

„Mass Effect: Andromeda“, Publisher: Electronic Arts, Entwickler: Bioware, erhältlich für PS4, Xbox One und PC. Preis 50 Euro, USK-Alterseinstufung: ab 16 Jahren.

Giacomo Maihofer

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