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Die beiden Münchner Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) gehen in dieser Episode zumeist getrennte Wege.

© BR

Der "Tatort" aus München: Für wen es sich zu lügen lohnt

Der Isarmord von 2013 bildet die Vorlage für den neuen „Tatort“ aus München. In beiden Fällen ist die Wahrheit manchmal nicht zu ertragen.

Der Titel „Wahrheit“ des nächsten „Tatort“ aus München an diesem Sonntag ist nicht ganz vollständig. Was die beiden inzwischen ergrauten TV-Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) in dieser Episode erleben, könnte genauso gut „Die Wahrheit über den Alltag der realen Kriminalpolizei“ heißen: Zeugen, die sich in allen Details widersprechen; Verdächtige, die zwar ins Raster passen, aber doch keine Täter sind; DNA-Massentests, die ohne verwertbare Ergebnisse enorme Ressourcen verschlingen. Aber vor allem Ermittlungen, die sich über Monate hinziehen und die Polizisten zutiefst frustriert zurücklassen. Und Vorgesetzte, die zwar den Erfolg gerne für sich reklamieren, aber im Fall des Misserfolgs ihre Mitarbeiter im Regen stehen lassen.

Der neue Fall verlangt Leitmayr und Batic viel ab: Ein Paar geht mit seinem Kind spazieren. Als sie an einer Ladenfront vorbeikommen, bemerkt die Frau einen auf dem Boden liegenden Mann. Ihr Mann fordert die Frau und das Kind zum Warten auf. Er geht zu dem mit einem Parka gekleideten Mann, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen ist. Doch seine Hilfsbereitschaft wird ihm zum Verhängnis, der Kapuzenmann zieht ihn plötzlich zu sich, sticht mehrfach auf ihn ein und verlässt den Ort des Geschehens. Das Opfer bricht vor den Augen der Frau und des Kindes zusammen. Auch die Ärzte im Krankenhaus können ihm nicht mehr helfen. Vorlage des Films ist ein seit drei Jahren ungeklärter Fall, der in München unter dem Namen Isarmord bekannt ist. Dabei wurde ein Mann in einer ähnlichen Situation von einem Unbekannten erstochen.

Ein "Tatort"-Kommissar mit Panikattacke

Der TV-Fall der jungen Familie Schröder geht besonders Kommissar Batic an die Nieren. Bevor er im Krankenhaus mit Ayumi Schröder (Luka Omoto), der aus Japan stammenden Frau des Opfers, reden kann, bricht er selbst nach einer Panikattacke zusammen. Die Führung über die Ermittlung wird seinem Kollegen und Freund Leitmayr übertragen, der den professionellen Blick auf die Arbeit nicht verloren hat. Zu dem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, wie sich dieser Fall (Drehbuch Erol Yesilkaya) entwickeln wird. Wie stark dieser „Tatort“ aber von den Konventionen der ARD-Reihe abweichen wird, zeigt sich allerdings erst ganz zum Schluss.

Eine Besonderheit dieser Episode ist die Kameraführung. Gleich am Anfang wird eine Straßenkreuzung aus der Vogelperspektive gezeigt mit Straßenbahnschienen in komplizierten Bögen. Sollen sie daran erinnern, dass man im Leben ebenfalls nur ahnen kann, wohin die Reise geht? Auch der Kameraflug über die Häuserzeilen am Tatort hat nicht nur eine visuelle Bedeutung. Zudem lässt Regisseur Sebastian Marka die Kamera immer wieder auf den Wandkalender mit wohlklingenden Sprüchen halten, während Blatt für Blatt abgerissen wird. Lauter Metaphern für den Herbst in diesem insgesamt sehr düsteren „Tatort“.

Mit Tempo und Action kann „Wahrheit“ hingegen nicht punkten, das überlässt die ARD-Krimireihe anderen Ermittlerteams. Die Stärken dieser absolut sehenswerten Episode liegen an anderer Stelle. Im Zentrum steht zum einen die zermürbende Polizeiarbeit, die sich unter anderem in Batics Seelen- und Gefühlszustand zeigt, der nicht nur der Frau des Opfers helfen will. In einer Welt, in der ein Irrer offensichtlich wahllos einen anderen Menschen erstechen kann, fühlt sich der Kommissar auch für Taro (Leo Schöne), den Sohn des Ermordeten verantwortlich.

Aber auch Leitmayr steht unter enormem Leistungsdruck. Zwar kann die Polizei-Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) ihrem Kollegen noch einmal einen wichtigen Tipp geben, bevor sie ihre neue Stelle beim FBI antritt, doch das führt indirekt sogar zu einem weiteren Kapitalverbrechen.

Eine Wahrheit für jeden

Die Frage nach der Wahrheit müssen die beiden Kommissare dabei jeder für sich beantworten. „Haben Sie denn niemanden, für den es sich lohnt zu lügen?“, fragt Ayumi Schröder Kommissar Batic. Eine Antwort bleibt er schuldig, die können die Zuschauer auch so geben. Immerhin ist die Freundschaft der beiden Fernseh-Kommissare aus München so gefestigt, dass sie dabei nicht zu Bruch geht.

„Tatort: Wahrheit“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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