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Marken werden Medien. So funktioniert Content-Maketing: In einer Kundenzeitschrift oder dem Facebook-Auftritt eines Automobilherstellers werden die schönsten Cabrio-Strecken gezeigt. Selbst wenn der Name des Unternehmens in dem dazugehörigen Text nicht vorkommt, erhöht dies die Bindung zwischen Marke und Kunde.

© Porsche, Nate Napierala

Content Marketing: Mit den Mitteln des Journalismus

Viele Unternehmen stecken ihre Werbebudgets neuerdings in eigene Content-Marketing-Strategien. Etwas darf man davon jedoch nicht erwarten: kritischen Journalismus.

Wer mit Content-Marketing-Machern auf Augenhöhe reden will, muss erstmal rein sprachlich in ihre Welt eintauchen. Das geht nirgends besser als bei der „Content Marketing Conference“ in München, der größten von ungezählten Branchenveranstaltungen zu diesem Thema. Dort sitzt man in weißen Loungesesseln und plaudert - pardon, networkt - zum Beispiel mit einem Mann, dessen Berufsbezeichnung „Head of Content“ lautet; er leitet eine Abteilung, die sich, wie er sagt, „auf Leadgenerierung, Sales und Kundenbindung konzentriert“. In jedem Fall ist das eine wichtige Aufgabe, denn während der Unterhaltung irrlichtert sein Blick zwischen Gesprächspartner und Handydisplay hin und her, immer wieder tippt er - „sorry, ne Sekunde“ - Botschaften in sein Telefon. Er erzählt dann noch einiges über die die richtigen „Touchpoints“ bei der „Customer Journey“, bevor er sich in Richtung Bühne verabschiedet, wo jetzt ein Vortrag über die besten Influencer-Strategien ansteht: „Is echt ’n interessanter Case.“

Head oft Content? Customer Journey? Willkommen in der Welt des Content Marketings, einer relativ neuen Marketing-Technik, von der man mit Sicherheit behaupten kann, dass sie die Medien, die Werbung und den Berufszweig des Journalisten in Zukunft stark verändern wird. Entsprechend groß ist das Selbstbewusstsein ihrer Vertreter. Nochmal der Head of Content aus dem Loungesessel: „Wir bieten Nutzwert und Leseerlebnis. Das wird für die klassischen Medien ’ne Challenge.“

Was ist Content Marketing überhaupt? Kurz gesagt bedeutet es, dass Unternehmer nicht mehr mit platten Werbebotschaften ihre Kunden überzeugen wollen, sondern mit interessanten Inhalten. Zum Beispiel: Ein Autohersteller erzählt eine Geschichte über die schönsten Cabriostrecken Europas. Gut geschriebener Text, tolle Fotos, gut recherchierter Service. Bestens geeignet, um den Spaß am Autofahren und die Sehnsucht nach einem aufregenden Cabrio zu wecken. Der Hersteller kommt nur am Rande vor - oder gar nicht. Eine Bindung zwischen Kunden und Marke entsteht trotzdem, denn die Story steht auf einem Portal oder in einer Kundenzeitschrift des Herstellers. Oder auf Facebook und Twitter, im Business-Netzwerk LinkedIn oder in Clip-Form auf Snapchat, wo man gut eine ganz junge Zielgruppe erreicht.

Marken werden zu Medien

Das ist die Idee: Marken werden selbst zu Medien. Klassisches Fernsehen, Radio, Tageszeitungen oder Zeitschriften als Werbeträger - brauchen Unternehmen in Zukunft alles nicht mehr. Sagen zumindest die Content-Marketing-Fachleute . Denn Marketing mit aufregenden Inhalten, auf eigenen Kanälen oder auf sozialen Plattformen ausgespielt, sei nicht nur viel billiger als bisher übliche Werbung, sondern auch wirksamer. Mit unschönen Folgen für die Medien. Denn viele Unternehmen stecken ihre bisher für die klassischen Medien reservierten Werbebudgets neuerdings oft in eigene Content Marketing-Abteilungen. Oder in Agenturen, die ihnen beim Content-Produzieren helfen.

„Content Marketing ist das neue Gold, das neue Öl, die neue Elektrizität“, sagt Lukas Kircher. Der 45-jährige Österreicher ist einer der bekanntesten Zeitungsdesigner Europas; in den vergangenen Jahren hat er ungezählte Magazine und Tageszeitungen neu gestaltet und modernisiert. Inzwischen zählt er mit seiner Agentur C3 zu den erfolgreichsten Vertretern der neuen Marketing-Technik; zu den Kunden von C3 gehören die Deutsche Bahn, die Bundeswehr und VW. „Der Markt ist riesig“, sagt Kircher im Gespräch mit dem Medienjournalisten Peter Turi; praktisch jedes Unternehmen denke zurzeit über Content-Marketing-Strategien nach. Manche von ihnen leisten sich mittlerweile eigene Newsrooms, in denen die gesamte Unternehmenskommunikation gebündelt und eigene Inhalte produziert werden. Bei der kürzlich gegründeten „Content Factory“ der Telekom beispielsweise arbeiten 130 Medienleute in einem Hightech-optimierten Großraumbüro, das an eine aktuelle Nachrichtenzentrale denken lässt.

Längst ist Content Marketing ein attraktives neues Gebiet für Journalisten geworden. „Hier entstehen ganz neue Berufsbilder“, glaubt René Kühn, der Geschäftsführer und Leiter der Münchner „Content Marketing Conference“. Auf Jobportalen wie „Stepstone“ werden folglich nicht mehr Redakteure und Grafiker gesucht, sondern „Operations Content Manager“ und „Publisher Acquisition Specialists“. In den Unterlagen eines Seminars des Ebner-Verlags Ulm heißt es: „Der klassische Redakteur wird ersetzt durch den Transaction Editor, dessen Job es ist, Transaktionen im Shop auszulösen und sie am Ende des Veredelungsliftes zu monetarisieren.“ Auch prominente Vertreter des klassischen Journalismus arbeiten mittlerweile an Konzepten und Strategien für Unternehmen. So baut der ehemalige „Stern“-Chefredakteur Dominik Wichmann gerade ein eigenes Team namens „Looping Group“ mit Standorten in Berlin, Hamburg und München auf. Einen potenten Kunden hat er schon: Mercedes-Benz.

Auch Mario Vigl ist ein renommierter, klassisch ausgebildeter Journalist, der für ein großes Unternehmen arbeitet - die Allianz. Wobei er „Unternehmensjournalismus“ für einen viel passenderen Begriff als Content Marketing hält, das ist ihm wichtig. Mario Vigl war Textchef beim „Playboy“ und stellvertretender Chefredakteur bei der „ADAC Motorwelt“. Heute firmiert er als „Leiter Corporate Media“ bei der Allianz und ist vor allem für das Kundenmagazin „1890“ verantwortlich. Das gilt in der Branche als eine Art Vorzeigeobjekt für anspruchsvolles Corporate Publishing. Wer „1890“ durchblättert, hat tatsächlich das Gefühl, beim „Zeit-Magazin“ gelandet zu sein: große Reportagen, witzige Rubriken, aufwendig produzierte Fotostrecken. Von Werbung keine Spur. Die Verbindung zur Versicherung ist viel subtiler - „sie findet vor allem auf der Metaebene statt“, wie Vigl sagt. Mit seinem Team produziert er Magazine beispielsweise zu den Themen Alter, Schmerz oder Verzicht. Oder auch mal ein Tierheft - „Tiere kann man bei uns ja auch versichern“. Jede Ausgabe bekommen 400 000 Privatkunden und 75000 Firmenkunden zugeschickt. Der Erfolg wird natürlich abgefragt. 81 Prozent der Empfänger geben an, sie würden das Magazin lesen.

"Ein medialer Brei"

Was ist Content Marketing nun - Journalismus oder Werbung, oder beides? Vielleicht kann man es so sagen: Es ist Werbung mit den Mitteln des Journalismus. Es kann von hoher Qualität sein, von guten Autoren geschrieben, von großem Nutzwert für die Leser. Nur eines kann es nicht sein: kritisch gegenüber dem Auftraggeber, gegenüber der eigenen Branche. Es ist Journalismus nicht im Sinne von politischer Kontrolle und gesellschaftlicher Kritik, sondern im Dienst des Unternehmenserfolgs. Logisch, dass es viele Kritiker auf den Plan ruft. „Handelsblatt“-Kolumnist Hans-Peter Siebenhaar beispielsweise schreibt: „Für den Nutzer verschwimmen die Grenzen immer mehr. Für sie wird es immer schwieriger, zwischen Information und Reklame zu unterscheiden. Am Ende steht ein medialer Brei.“ Titel der Kolumne: „Content Marketing killt Journalismus“.

Dieser Einschätzung liegt womöglich ein etwas idealistisches Bild des aktuellen Journalismus zugrunde. Natürlich sind bei vielen Medien die Grenzen zwischen Nachrichten und Werbung längst bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. Wenn beispielsweise eine Frauenzeitschrift ihre Storys an den aktuellen Wünschen der Kosmetikindustrie ausrichtet, handelt es sich dabei um Content Marketing im Gewand des unabhängigen Journalismus. „Was wir machen, ist ehrlicher“, findet Gunnar Jans, der als „Chefredakteur Sport und Sport Business“ bei „The Digitale“ arbeitet, einem Content-Marketing-Ableger der Telekom. „Wir operieren nicht mit der Tarnkappe, bei uns tritt die Marke in Erscheinung.“ Gunnar Jans ist für das Onlineportal der Sportartikelmesse „Ispo“ verantwortlich. Das heißt vor allem: Leser für Produkte aus dem Sportbusiness zu begeistern, indem man ihnen statt Werbung interessante Geschichten, Porträts und Interviews aus der Sportwelt serviert.

„The Digitale“ residiert in einem hübschen Altbau gleich am Englischen Garten in München, auf den Retro-Plakaten an den Bürowänden schweben Astronauten durch den Weltraum. Hier sitzt Gunnar Jans mit seinem Team und produziert Geschichten wie die aktuelle Top-Story, in der es darum geht, welche Trends man kennen muss, wenn man einen tollen Job im Sportbusiness bekommen will. Liest man den Artikel auf der Webseite, erscheint etwa nach der Hälfte ein Werbebanner für das Jobportal „Ispo Job Market“. Wie viele Leser klicken auf dieses Portal? Darum geht es. „Alles, was wir hier machen, hat ein klares Ziel. Bei jeder Story wird die Wirkung gemessen - und zwar nicht übers Bauchgefühl, sondern mit Hilfe digitaler Tools“, sagt Jans.

Die Wirkung ist messbar

„Conversion“ nennen es die Fachleute. Wie viele User bestellen nach der Lektüre ein Produkt, abonnieren einen Newsletter, lassen sich auf ein kommerzielles Portal leiten? Im Gegensatz zur klassischen Werbung kann beim Content Marketing die Wirkung exakt bestimmt werden; wenn’s nicht läuft, ändert man eben Strategie oder Kampagne. Vor seinem Wechsel zu „The Digitale“ produzierte Jans eine digitale Sportausgabe für die Süddeutsche Zeitung, zuvor war er langjähriger Sportchef der Abendzeitung. Er glaubt, dass der klassische Journalismus von Content Marketing eine Menge lernen könne: „Sich an den Bedürfnissen der Leser orientieren, den Markt analysieren, nicht ins Blaue hineinschreiben.“

In der Content Marketing-Agentur C3 arbeiten bereits mehr als 100 Journalisten, alle produzieren Geschichten im Auftrag von Unternehmen. Geschäftsführer Lukas Kircher, so scheint es, plagt wegen dieses Erfolgs fast das schlechte Gewissen. Gefragt, ob er er mitschuld sei am Niedergang der klassischen Medien, antwortet er zerknirscht: „Ja, total.“ Und auf die Frage, wann denn mehr Journalisten bei Marken als bei Medien angestellt sein werden: „Ich hoffe nie.“ Besonders optimistisch klingt er dabei nicht.

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