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„Drei Jahre in einer Konservendose“: Die aktuelle „Hebdo“-Ausgabe thematisiert die Arbeitsbedingungen der Redaktion.

© AFP

"Charlie Hebdo" drei Jahre nach dem Anschlag: Aus dem Panikraum für die Pressefreiheit

Am 7. Januar 2015 stürmten Islamisten die Redaktion von „Charlie Hebdo“. Noch heute ist der Arbeitsalltag in der Redaktion bedrückend.

„Je suis Charlie“, dieser Slogan ging vor drei Jahren um die Welt. Das war unmittelbar nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015. „Ich bin Charlie“ sollte die Solidarität mit den ermordeten Redaktionsmitgliedern bekunden, wurde aber schnell zum Leitspruch für die Pressefreiheit und die Freiheit der demokratischen Welt. Drei Jahre danach zeichnet Publikationschef Riss, Laurent Sourisseau, ein tristes Bild davon, was von der Meinungsfreiheit und dem „Esprit Charlie“ übrig geblieben ist.

Zwei Islamisten hatten die Redaktion der Zeitung gestürmt und zwölf Menschen erschossen, darunter den Zeitungschef Charb (Stéphane Charbonnier) und einige der bekanntesten Karikaturisten Frankreichs. „Charlie Hebdo“ hatte wegen Mohammed-Karikaturen schon vorher immer wieder Morddrohungen erhalten. Die erste Ausgabe der Überlebenden von „Charlie Hebdo“ verkaufte sich damals sieben Millionen Mal, fünf Millionen Menschen gingen einige Tage nach dem Anschlag in Frankreich zwischen den Plakaten „Je suis Charlie“ auf die Straße. Die Ermittlungen zu dem Anschlag sind allerdings immer noch nicht abschlossen, sie sollen mindestens noch bis zum Frühjahr dauern.

Arbeiten in einer Konservendose

Drei Jahre danach ist auf dem Titel des Blatts ein Bunker zu sehen, auf dessen Tür „Charlie Hebdo“ steht, zur Zeichnung von Riss heißt es: „Drei Jahre in einer Konservendose“. Im Leitartikel dazu beklagt dieser, dass Meinungsfreiheit zum „Luxusprodukt wie ein Sportwagen“ wird. Denn von Freiheit ist in der Redaktion keine Rede. Kurz nach dem Anschlag kam die Zeitung einige Monate bei der französischen Tageszeitung „Libération" unter, doch seit über zwei Jahren hat sie geheime Redaktionsräume im 13. Arrondissement im Süden von Paris bezogen. Diese erinnern mit Sicherheitstüren und Codes an Fort Knox und werden von privaten Sicherheitskräften bewacht.

Riss betont, dass die Kosten für den Schutz der Mitarbeiter enorm sind, pro Jahr müssen 800 000 Exemplare verkauft werden, um die Kosten zu decken. Die Bewachung verschlingt eine bis 1,5 Millionen Euro pro Jahr, jede zweite Ausgabe finanziert diese. Riss fragt sich, was aus der Zeitung wird, wenn sie dazu nicht mehr die Mittel hat. Die Zahl der Abonnenten stieg nach dem Attentat auf 190 000, ist aber wieder auf 30 000 abgesunken. Das Blatt hat allerdings ein riesiges finanzielles Polster. Im Jahr 2015 wurde ein Rekordumsatz von 60 Millionen Euro gemacht, im Jahr 2016 immerhin noch 19,4 Millionen.

Die verbliebenen Journalisten kämpften nach dem Anschlag weiter, doch die Bedingungen für ihren Kampf um die Pressefreiheit sind hart. Journalist Fabrice Nicolino, der bei dem Anschlag verletzt wurde, beschreibt den Alltag der Redaktion: „Diese neue Welt besteht aus bewaffneten Polizisten, gepanzerten Türen, Angst und Tod.“ Zahlreiche Mitarbeiter stehen unter ständigem staatlichen Polizeischutz, allerdings nicht die Redaktionsräume. Nicolino appelliert deshalb an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: „Ist es gerecht, dass wir unser Leben mit einem privaten Sicherheitsschutz erkaufen müssen?“ Er fordert wie Riss offiziellen Polizeischutz für die Zeitung – und ihre Meinungsfreiheit.

Der Redaktionsalltag hat sich seit dem Anschlag vollkommen verändert. Vorher brachten die Witze von Karikaturist Charb alle zum Lachen. Zeichner Cabu (Jean Cabut) hatte oft Kekse dabei, Zeichner Georges Wolinski machte anzügliche Witze. „Seitdem endet das Leid nicht“, betont Nicolino. Drei Jahre danach betritt er die Redaktion immer noch mit einem mulmigen Gefühl. Spontaneität? Existiert nicht mehr, auch das Privatleben ist betroffen, Treffen mit Freunden in Bars gehören der Vergangenheit an. Denn bis heute werden die Journalisten von „Charlie Hebdo“ regelmäßig in den sozialen Netzwerken bedroht.

Der Polizeischutz, der vorübergehend sein sollte, ist zum Alltag geworden. In der Redaktion gibt es sogar einen sogenannten „Panikraum“, in den die Journalisten im Falle eines Angriffs flüchten können. Auf Reportage zu gehen, ist fast unmöglich. „Unter diesen Bedingungen agieren die Leute nicht wirklich natürlich. Oft müssen alle Behörden darüber informiert werden, dass Charlie auf Reportage ist“, erzählt ein Redakteur.

Nach dem Titel über den Schweizer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, gegen den Vergewaltigungsvorwürfe erhoben wurden, bekam „Charlie“ vor einigen Monaten wieder Morddrohungen. Die Zeitung hatte ihn mit einem riesigen Penis gezeigt und dazu geschrieben: „Ich bin der 6. Pfeiler des Islam.“ Auch Rockstar Johnny Hallyday erregte die Gemüter. Die Zeitung hatte getextet: „Johnny gibt den Rock auf und macht Elektro.“ Dazu eine Zeichnung von dem inzwischen gestorbenen Hallyday im Krankenhaus, angeschlossen an Schläuche.

Es wird weiter provoziert

Die Titelseite von „Charlie Hebdo“ wird seit dem Anschlag 2015 immer genau unter die Lupe genommen, häufig gab es Kritik, dass sie respektlos sei oder nicht politisch korrekt. Doch die Mitglieder der Redaktion sind nach wie vor der Ansicht: Satire muss provokativ sein können – trotz der Angst. Geredet wird über die Angst unter den Kollegen allerdings kaum, doch Nicolino ist überzeugt: „Alle haben Angst, auch wenn viele es nicht zugeben wollen." Dennoch antworten die Redaktionsmitglieder auf die Frage: „Können wir trotzdem noch lachen?“ ganz überzeugt mit „Ja“. Allerdings erst, wenn alle Sicherheitstüren fest verschlossen sind.

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