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Wahl-O-Mat im Einsatz in Berlin.

© Reuters/Hannibal Hanschke

Bundestagswahl: Die Wahlmaschinen laufen an

Raus aus der EU? Vermögensteuer? Frage-und-Antwort-Tools sollen Entscheidungshilfe bei Wahlen geben - und die Konkurrenz zum Wahl-O-Mat wächst.

Vielleicht hat Angela Merkel doch noch ein Problem mit der Bundestagswahl, besser gesagt, ihr Generalsekretär. CDU-Mann Peter Tauber stimmt nämlich nicht zu 100 Prozent mit der Programmatik seiner Partei zur Bundestagswahl überein. Das ist das Ergebnis seines Selbstversuches am neuen Wahl-O-Mat, der am Mittwoch vorgestellt wurde.

Wahl-O-Mat? Diese Entscheidungshilfe ist ja mittlerweile fast Wahl-Folklore, wie die „Berliner Runde“ im Fernsehen. Ein Frage-und-Antwort-Tool, das bei der Wahlentscheidung helfen soll. Nicht unbedingt bei Peter Tauber, der weiß natürlich, wo er in drei Wochen bei der Wahl sein Kreuz zu machen hat. Einen Monat vor der Bundestagswahl weiß aber fast die Hälfte der Wähler noch nicht, für wen sie am 24. September stimmen will.

Die Bundeszentrale für politische Bildung präsentierte in Berlin das Online-Tool, mit dem Nutzer ihre Positionen mit denen der zur Bundestagswahl antretenden Parteien zumindest schon mal abgleichen können. Dazu müssen sie sich durch 38 Thesen klicken, die mit den Positionen aus Wahlprogrammen verglichen werden. Auch der Tagesspiegel hält dieses Tool bereit. Am Ende erfährt der Nutzer, wie viele Übereinstimmungen er mit den einzelnen Parteien hat.

Bei Tauber waren es tatsächlich „nur“ 99 Prozent Übereinstimmung mit der CDU. Hubertus Heil, sein Kollege von der SPD, brachte es mit seinen Antworten auf 100 Prozent, was Heil aber auch nicht überbewertet wissen wollte. Wichtig sei es, so Heil, die Wahlbeteiligung über den Wahl-O-Mat zu erhöhen. Dafür kann man sich dann schon mal schnell durch einen Fragebogen klicken. Obergrenze für Asylsuchende (Heil stimmt nicht zu), Ausbau erneuerbarer Energien (stimmte zu), Ausbau der Videoüberwachung (stimmte zu), Verstaatlichung von Banken (stimmte nicht zu) – offenbar hat der SPD-Generalsekretär die Positionen seiner Partei im Blut.

Wo denn Kollege Tauber abgewichen ist, war bei den schnellen Tests der Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer der fünf im Bundestag vertretenen Parteien am Laptop in der Bundespressekonferenz nicht nachzuvollziehen. Erstaunlicherweise stimmte Tauber in seinen Antworten zu 71,9 Prozent mit der SPD überein, nur zu 69,8 Prozent mit der FDP.

Verbot von Waffenexporten oder Gottesbezug im Grundgesetz

Wenn denn all diese Entscheidungstools überhaupt für bare Münze zu nehmen sind. Die Thesen des Wahl-O-Mat behandeln laut Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, zumindest alle derzeit politisch wichtigen und umstrittenen Themenfelder. So werde unter anderem nach Zustimmung oder Ablehnung einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen, dem bedingungslosen Grundeinkommen, Verbot von Waffenexporten oder auch dem Gottesbezug im Grundgesetz gefragt.

Diese Themen- und Fragen-Komplexe ähneln im Großen und Ganzen denen des Wahl-Navi, der seit ein paar Tagen von RTL als Wahlentscheidungs-Tool online gestellt ist. Welche Partei steht meinen Bedürfnissen am nächsten? Wo stehe ich mit meinen Ansichten im Vergleich zu den Parteien? Insgesamt 30 Thesen können die Nutzer hier bewerten. Sie können ihnen zustimmen, sie ablehnen oder als irrelevant einstufen.

Jede dieser Thesen steht für ein großes Thema im Wahlkampf und für einen Punkt in den Programmen der Parteien. Anders als der Wahl-O-Mat fragt das Wahl-Navi auch nach der persönlichen Meinung über die Kompetenz führender Politiker und ihrer Parteien. So soll sich laut RTL ein noch genaueres Bild für den Wähler ergeben. Am Ende wird er in einem grafisch aufbereiteten Koordinatensystem in der Parteienlandschaft eingeordnet und kann sehen, welche Parteien ihm nach seinen Antworten am nächsten stehen.

„Soll Edward Snowden politisches Asyl gewährt werden?"

Auch hier allerdings: leichte Irritationen im ersten Selbstversuch. Beim Autor zum Beispiel wird im Wahl–Navi und im Wahl-O-Mat die größte Nähe zu zwei Parteien festgestellt – das sind aber eigentlich nicht die Parteien, die dem Autor zur Bundestagswahl zunächst in den Sinn gekommen sind. Beim „WahlSwiper“ wiederum, einem weiteren Entscheidungs-Tool zur Bundestagswahl, sieht die Sache noch mal anders aus. „Wir helfen dir, Parteien zu finden, die gut zu deinen Standpunkten passen“, verspricht die App und spuckt nach 30 etwas punktuelleren Fragen zum Sozialstaat, etwaigen EU-Beitritt der Türkei, Tempolimit auf Autobahnen, zur Energie- oder zur Asylpolitik („Soll Edward Snowden politisches Asyl gewährt werden?") „Die Partei“ als „Top Match“-Ergebnis aus. Und dann gibt es ja auch noch die Web-App „Steuer-O-Mat“, die herausfinden soll, welche Partei am besten für mein Einkommen ist. Grundlage hierfür sind Steuerpläne der großen Parteien.

"Ja, aber..." im Realitätscheck

Thomas Krüger verwies am Mittwoch auf die wachsende, mal mehr, mal weniger seriöse Konkurrenz zum Wahl-O-Mat. Zur Bundestagswahl 2013 wurde das Tool mehr als 13,3 Millionen Mal gespielt, insgesamt wurde es seit 2002 vor Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen über 50 Millionen Mal genutzt. Immerhin, RTL rechnet für die erste Woche Wahl-Navi bis Freitag mit rund einer Million Nutzern. Unter dem Namen „Vote Compass“ sei das Wahl-Navi seit Jahren in Kanada, Australien, Neuseeland und Frankreich erfolgreich. Entwickelt wurde es von Politikwissenschaftlern und Statistikern aus Toronto. In Deutschland stehe ihnen ein Berater-Panel von Politikwissenschaftlern zur Seite, das die Auswahl der Fragen und ihre Zuordnung zu den Parteiprogrammen kritisch überprüft.

Beim Wahl-O-Mat waren junge Wähler an der Entstehung beteiligt. Das Tool sei „demokratischer Volkssport“ geworden, sagte Krüger. Bei der Erarbeitung der einzelnen Thesen wird eine Jugendredaktion eingebunden, da der Wahl-O-Mat insbesondere bei jungen Wahlberechtigten das Interesse an politischer Auseinandersetzung und zum Wählengehen wecken soll. Über 500 hatten sich für eine Teilnahme am 26-köpfigen Redaktionsteam für das Tool beworben.

Rund zehn Minuten soll ein Check am Wahl-O-Mat dauern. Die Spitzenpolitiker hatten am Mittwoch bei der Präsentation ihre liebe Mühe, dieses Zeitlimit einzuhalten. Ob Tauber, Heil oder Michael Kellner (Grüne), fast bei jeder Antwort ein erklärendes „Ja, aber ...“. Die Politiker wirkten erleichtert, dass ihre Zustimmung mit ihrer eigenen Partei bei mindestens 97 Prozent lag. Aber auch wenn die Welt komplizierter ist als eine Wahl-O-Mat-These – nicht nur Peter Tauber wird noch mal ins Wahlprogramm seiner Partei gucken müssen, damit es 100 Prozent Übereinstimmung werden.

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