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Remix. Jan Böhmermann (links) und sein Sidekick William Cohn stellen – leicht verfremdet – das legendäre Foto nach, das im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen entstand. Damals feuerte die Menge, unter ihnen Hans Ewert mit Hitlergruß, rund hundert Rechtsextremisten an, die ein Asylbewerberheim bewarfen und mit Molotowcocktails in Brand setzten.

© Philipp Käßbohrer/btf

Böhmermann stellt Böhmermann aus: Verrücktes Merkel-Land

Jan Böhmermann widmet seiner Heimat eine Ausstellung im NRW-Forum. Was Satiriker und Bildundtonfabrik zeigen, ist wie das „Neo Magazin Royale“ ein Kommentar zur Lage „Deuscthlands“.

Pausenlos rattert der Drucker. Er spuckt die Tweets von 2072 Twitter-Accounts auf Endlos-Papier aus. Es ist das politische Grundrauschen der Republik, denn die Accounts gehören allesamt Politikerinnen und Politikern aus Bund und Ländern, zusammengeschaltet für die Ausstellung „Deuscthland“ im NRW-Forum in Düsseldorf. An die Wand projiziert, lassen sich die Botschaften für einen kurzen Augenblick lesen, bis sie wieder verdrängt werden von den nächsten Tweets. Ein flüchtiges Dauergezwitscher, das Form annimmt. Auf dem Boden türmt sich bereits ein veritabler Papierhaufen. Und da die Installation bis zum Ausstellungs-Ende am 4. Februar 2018 nicht angetastet werden soll, wird wohl irgendwann der Tisch mit dem Drucker selbst verschluckt werden vom Politiker-Diskurs. Vorausgesetzt, der Hausmeister kommt nicht auf die Idee, den Kunst-Müll wegzuräumen. Wie vor 31 Jahren mit Joseph Beuys' Fettecke geschehen, nur einen halben Kilometer entfernt, in der Düsseldorfer Kunstakademie.

Mediales Gesamtkunstwerk

„Deuscthland“ ist nicht so sehr Jan Böhmermanns „erste Kunstausstellung“, wie anlässlich der Eröffnung vor knapp zwei Wochen berichtet wurde. Sondern ein multimediales Gemeinschaftswerk, entstanden in der Kölner Firma Bildundtonfabrik (BTF), die das „Neo Magazin Royale“ produziert. Rund zwei Dutzend Namen werden zu Beginn der Ausstellung als Macher genannt, darunter auch Böhmermann.

Die Exponate von „Deuscthland“ sind nicht besonders zahlreich und wirken auch etwas verloren in den großzügigen Räumen, aber die Ausstellung bringt die Stärken von Böhmermann/BTF zur Geltung: das satirische Spiel mit verschiedenen Techniken und die Verknüpfung verschiedener Plattformen. „Wir haben in den letzten Jahren viele Sachen gehabt, die im Fernsehen nicht funktionieren, die so links und rechts runtergefallen sind auf der Hobelbank“, erklärte Böhmermann zur Eröffnung.

Die Ausstellung wäre also eine Art Neben- oder Abfallprodukt, mit dem BTF zugleich ins Museum vorstößt. Das NRW-Forum ist dafür der richtige Ort; es ist keines der großen Kunsthäuser am Platze, sondern eines, das sich der Fotografie und der digitalen Kultur verschrieben hat.

"Reichspark" im Zentrum

Aber was da „so runtergefallen ist“, wird doch auf bewährte Weise vielseitig in Szene gesetzt. Das Herzstück, die makabre „Reichspark“-Nummer, war pünktlich zur Ausstellung mit einer Mockumentary im Fernsehen begleitet worden. Im NRW-Forum ist nun ein Messe-Stand der fiktiven Anbieter-Firma HG Business Consulting samt Werbe-Video in Dauerschleife sowie ein detailreiches Miniatur-Modell („Bitte reichlich Abstand halten“) von „Deutschlands erstem NS-Themenpark“ zu sehen. Nach Ausstrahlung der TV-Ausstrahlung seien die Planungen „auf öffentlichen Druck“ eingestellt worden, die Landesregierung Brandenburgs habe die Baugenehmigungen zurückgezogen, heißt es auf einer Tafel.

Alles Schwindel, doch das Lügengebäude ruht auf sehr realen Fundamenten. Der Autor erinnert sich an einen Besuch der Wolfsschanze in Polen und an die eigene Irritation über die Verkaufsstände vor dem Eingang, an denen Männer in Wehrmachtsuniformen Nazi-Devotionalien verkauften. In Düsseldorf sieht man in einem Teil-Modell nun die „Wolfsschanze mit Kleintierpark“. Nazi-Grusel und Streichelzoo, ein Vergnügen für die ganze Familie.

Außerdem fährt man bei einer mehrminütigen Virtual-Reality-Tour durch eine 3D-Animation des „Reichsparks“. Auf Booten oder in Wagen passiert man eine Straßenszene in der Pogromnacht vom 9. November 1938, die Reichskanzlei und den Führerbunker, Stalingrad und Dresden. Die Schreie von Nazi-Opfern und sterbenden Soldaten, der Selbstmord von Adolf Hitler, der Lärm von Flugzeugen und Panzern – montiert zu einem obszönen Geschichts-Parkour, begleitet von einer Stimme aus dem Off, die im professionellen Werbe-Sound die Vorzüge eines „Reichspark“-Besuchs preist. Am Ende dieser historischen Geisterbahn kommt das flaue Gefühl auf: Könnte es nicht sein, dass solch ein „NS-Themenpark“ samt Nachbauten, Shows, Fressbuden und „verantwortungsvollem Bildungsangebot“ durchaus auf Interesse stoßen könnte?

"das große egal" regiert Deutschland

In diesem „Deuscthland“ ist etwas verrückt wie der Buchstabe im Ausstellungstitel. Nach zwölf Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel regiert „das große egal“, heißt es in einem einführenden Wand-Text. An diesem Merkel-Deutschland arbeiten sich Böhmermann/BTF witzig und überraschend ab. Von wegen Willkommenskultur, in Düsseldorf muss man erst einmal durch die Passkontrolle. Inländer und Ausländer trennen fortan verschiedenfarbige Aufkleber, sofern man sie an der Kleidung anbringt, was aber nur wenige tun.

An die Bedeutung des Fernsehens am Aufstieg der neuen Rechten erinnert das Objekt „Deutschlandfahne auf Sessel (Original)“, falsch deklariert als Leihgabe aus dem Bonner Haus der Geschichte. So wird der Auftritt des AfD-Politikers Björn Höcke bei „Günther Jauch“ in den Rang eines historischen Ereignisses gehoben, nicht ohne den Running Gag mit dem falschen Vornamen Bernd auszulassen. Darauf einen Hetzkeks, den man für einen Euro aus einem Automaten ziehen kann. Darin enthalten sind Hass-Botschaften aus den sozialen Netzwerken, die auf diese Weise doch noch zu etwas nutze sind.

Merkel als Museumsstück

Auch die Kanzlerin persönlich wird in „Deuscthland“ zum Museumsobjekt: Den Stoff ihrer Freizeit-Wanderkleidung darf man berühren, ein Akt der Volksnähe. Die spöttische Verehrung wird mit drei Gemälden auf die Spitze getrieben, die das vertraute Miteinander von Politik und Medien auf doppelbödige Weise abbilden. Sie sind von beachtlicher Qualität und wurden angeblich von Jan Böhmermann gemalt. Wahrscheinlich ist das so, und das Böhmermann-Werk „Mantra“, das nichts weiter ist als eine Kugelschreiber-Kritzelei auf zerknittertem Papier, ist die eigentliche Fälschung.

In diesem leichtfüßigen Trip durchs Merkel-Land ist der „Rechtsfreie Raum“ der einzige Fremdkörper, eine nüchterne Abteilung von Böhmermann/BTF in eigener Sache. Hier wird die Affäre um das Gedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Erdogan zum Thema. Und an einem Monitor lässt sich per Verlinkung auch das komplette Schmähgedicht aufrufen – dank der Pressemitteilung des Hamburger Landgerichts, die genau aufschlüsselt, welche Passagen gestrichen werden müssen und welche erlaubt bleiben. Anwälte haben diese Art der Präsentation geprüft, heißt es. Man könnte sich freuen über diesen Triumph der Satire über die Zensur, wenn das Gedicht selbst nicht derart unbedacht mit Ressentiments spielen würde.

„Deuscthland“, NRW-Forum, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf; bis 4. Fbraur 2018, Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 11 bis 18 Uhr, Freitag 11 bis 21 Uhr, Samstag 10 bis 21 Uhr, Sonntag 10 bis 18 Uhr; weitere Infos unter www.nrw-forum.de

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