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Zu voller Form. Anwalt Billy McBride (Billy Bob Thornton) ist im Grunde fertig mit der Welt, aber wenn die Welt noch mal was von ihm will, kann er nicht Nein sagen.

© Amazon

Billy Bob Thornton in "Goliath": Alter Ford Mustang

Billy Bob Thornton als erbarmungswürdiger Anwalt: die Amazon-Serie „Goliath“. Das beschwört die Erinnerung an einen TV-Inspektor herauf.

„Das hier ist ein Kriegsverbrechen“, sagt Anwalt Billy McBride zu seinen Gehilfinnen. „Die schlechte Nachricht ist: Wir müssen es beweisen.“ Ein Boot war im Pazifik in die Luft geflogen, der Mann darauf tot, im Wasser Plastikteile, die auf einen Zünder deuten. Der Witwe in L.A. wurde erzählt, es sei Selbstmord gewesen. Nach zwei Jahren kommt Verdacht auf: War es ein Bombentest, steckt die mächtige Firma BornsTech dahinter?

Gedeckt von der Großkanzlei Cooperman und Partner? Billy McBride übernimmt den Fall. Er gehörte selbst einmal zu Cooperman, war einer von den Superschlauen, Superreichen und Gewissenlosen, doch jetzt füttert er an der Ocean Avenue die streunenden Hunde. Er wohnt in L.A. im Motel, gegenüber seiner Stammkneipe und ist immer noch Advokat – der kleinen Dealer und Nutten. Bis ihm dieser große Fall in sein Büro reinschneit, das zugleich sein Wohnzimmer ist. Er überlegt nicht lange. Denn so kommt ihm sein ehemaliger Partner und Intimfeind Cooperman ins Visier.

Der runtergekommene Anwalt Billy McBride, der jetzt noch mal zu voller Form aufläuft, wird von Billy Bob Thornton gespielt, einem Schauspieler mit Extrem-Charisma. Wer ihn als Todesengel in „Fargo“ (der Serie auf Netflix, Spin-off des gleichnamigen Films der Coen-Brüder) noch nicht gesehen hat, sollte das schleunigst nachholen.

Thornton sieht in „Goliath“ mit seinen schmalen Schultern, seinen großen Augen und seinem geschmerzten Lächeln genauso bezaubernd und erbarmungswürdig aus wie die Hunde, die er am Strand „meine Süßen“ nennt. Er ist im Grunde fertig mit der Welt, aber wenn die Welt noch mal was von ihm will, kann er nicht Nein sagen.

Thornton mit seinem Knittercharme trägt die Geschichte

Die neue Serie stammt aus der Werkstatt von David E. Kelly, dem das weltweite Publikum „Ally McBeal“ und „Boston Legal“ verdankt, Klassiker des Serienwesens, die mit einzigartigem Witz die Vielfalt der menschlichen Schrullen ebenso wie die der anwaltlichen Winkelzüge vorführten. „Goliath“ hat Kelly mit Jonathan Shapiro exklusiv für Amazon, also für einen Streaming-Dienst produziert; die Serie ist die zur Zeit in den USA am häufigsten per binge-watching, deutsch: Koma-Glotzen, konsumierte filmische Kost.

Das mag damit zusammenhängen, dass sie nur acht Folgen hat, die man sich problemlos in einer Nacht reinziehen kann. Am nächsten Morgen fühlt man sich dann besser. Denn, so viel darf verraten werden, das Gute siegt. Wobei es streckenweise ungewiss ist, wer oder was für das Gute steht und ob es das überhaupt gibt.

Thornton mit seinem Knittercharme trägt die Geschichte. Aber auch das Team, das er von der Straße weg engagiert und in sein Motel beordert, von wo der Kampf gegen Goliath, sprich illegale Waffentests und illegitime juristische Praktiken geführt wird, hat es in sich. Es besteht nur aus Frauen: einer Nutte, einer enorm übergewichtigen Matrone und einer ununterbrochen vulgär kreischenden Immigrantin, die ihr Jurastudium auf einer Abendschule absolviert haben will. Sie alle sind auf ihre Weise genauso unprofessionell wie im Dienste der Sache effektiv.

Die Serie hat eine Schwachstelle, das ist die Darstellung der Welt der Bösen, also der Großkanzlei, in der schon der Blumenschmuck in der Lobby ein Vermögen kostet, zu schweigen von den Honoraren der Anwälte. Anwältinnen, muss man sagen, es sind wieder lauter Frauen, die hier zeigen, wozu man als Mensch mit brennendem Ehrgeiz fähig sein muss; es ist fast ein Wunder, dass sie einander nicht mit ihren Stilettos erdolchen.

Auch der große Gegenspieler McBrides, Mr. Cooperman, gespielt von William Hurt, bleibt mit seinem Geflüster, seinem Kontrollwahn und seiner Vorliebe für italienische Opern ein Pappkamerad. Nicht mal sein aparter Tick mit dem Knackfrosch erweckt ihn nicht zum Leben.

Aber egal, Billy McBride entschädigt für diese Klischees. Wenn er mit seinem alten Ford Mustang über die Highways der Stadt brettert, beschwört er die Erinnerung an Inspektor Columbo herauf, dessen zerbeulter Peugeot ebenfalls ein tolles Markenzeichen war. Auch der war, wie McBride nun wieder, ein Understater, ein Tiefstapler. Was in der heutigen Welt, in der Angeberei wieder salonfähig wird, für einen Serienhelden die entscheidende, Spannung verheißende Eigenschaft ist.

„Goliath“ auf Amazon Prime Video

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