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ARD-Serie: Wie hält man 20 Jahre als Autor der "Lindenstraße" durch?

Michael Meisheit über Vorurteile gegen die gute alte ARD-Soap, Alt-68er, Weinstein und das Paria-Leben eines Drehbuchautors. Ein Interview.

Herr Meisheit, Sie haben in 20 Jahren über 400 „Lindenstraße“-Drehbücher geschrieben, die Geschichten für 1000 Folgen entwickelt. Da ist oft gedrückte Stimmung: Mutter Beimer, die Weihnachten alleine ist, ein junger Mann mit posttraumatischer Belastungsstörung, dem erst der Bruder, dann die Mutter wegstirbt, bevor seine Ehe scheitert. Wie hält man das aus?

Sie vergessen die humoristischen Momente. Als ich dort 1997 als Autor anfing, hatte ich gedacht, ich mache das jetzt mal ein, zwei Jahre. Irgendwann habe ich die Storyline-Leitung übernommen. Dann hat sich die Bezeichnung Chefautor eingeschlichen. Es hat mich froh und glücklich gemacht, Millionen Menschen mit meinen Figuren und Geschichten zu berühren.

Aber bei aller Liebe und rührenden Momenten – wird so ein Kleinbürger-Mietshaus-Alltag am Drehort Köln-Bocklemünd nicht irgendwann zu eindimensional?
Das sehe ich anders. Die „Lindenstraße“ bietet dem Autor die Möglichkeit, in den Genres zu wechseln, von Komödie über Romanze bis hin zum Thriller wie etwa beim langsamen Tod von Erich Schiller. Es wird nie langweilig.

Manche sagen: Ach, das ist ja nur die „Lindenstraße“, Weekly Soap …
Früher habe ich nur Filme geguckt. Eine Freundin hat mich in den 1990ern zum Mitschauen der „Lindenstraße“ gezwungen. Als Hans W. Geißendörfer uns an der Filmhochschule eine Folge gezeigt hat, haben einige die Nase gerümpft: Was soll denn das? Wir wollen Filme sehen! Ich habe die Serie als Einziger verteidigt, bin da gerne mit 24 Jahren in die Produktion eingestiegen. Tatsächlich wurde diese Arbeit später von Kollegen nicht belächelt. Okay, wenn ich gesagt habe, ich schreibe die „Lindenstraße“, kam natürlich immer auch mal der Satz: „Ach ja, meine Mutter guckt das.“

Sie hätten sagen sollen, Sie schreiben ein deutsches „Breaking Bad“.

Ich habe nie etwas vermisst, im „Lindenstraße“-Kosmos. Eine ironische Distanz hat da nicht geschadet. Und in gewisser Weise ist die „Lindenstraße“ ja ein Vorreiter der horizontal erzählten Serien, die Figuren und ihre Geschichten werden über längere Zeiträume weitererzählt.

Warum dann damit aufhören?

Nach 20 Jahren habe ich eine Müdigkeit verspürt, wollte in Diskussionen mit Autoren nicht immer sagen: „Das hatten wir schon.“ Gleichzeitig habe ich begonnen, Romane zu schreiben, wo ich sehr frei arbeiten kann. Mein erster Roman mit dem Pseudonym Vanessa Mansini war ein Erfolg, mit 30.000 verkauften Exemplaren via Amazon. Das hat mich ermutigt.

Wieso unter Pseudonym?

Ich schreibe hauptsächlich für eine weibliche Zielgruppe, humorvolle Liebesromane mit einem Twist. Im Marketing funktioniert so etwas nur mit weiblichem Namen. Viele Rezensenten schreiben mir nach der Lektüre, sie hätten nicht gedacht, dass das ein Mann geschrieben hat. Sie hätten das nicht gekauft, wenn ein männlicher Autorenname auf dem Titel gestanden hätte.

Kaum zu glauben, dass es da im Genre noch so ein Männer-Frauen-Ding gibt. Lässt sich das Schreiben eines romantischen Bestsellers mit dem „Lindenstraße“-Buch vergleichen?

Meine Romane sind Unterhaltungsliteratur. Der Nobelpreis muss es nicht sein. Mir ging es und geht es darum, viele Leute zu erreichen. Mit Alltagsnähe und aktuellen Bezügen. Bei „Früher wird alles besser“, meinem jüngsten eBook, habe ich das Thema Weinstein drin. Das Thema würde übrigens auch gut in die „Lindenstraße“ passen.

Und Ihre berufliche Zukunft? Ist das mit dem Selbstverlag nicht ein Risiko für den zweifachen Vater Michael Meisheit, der 20 Jahre lang bei Geißendörfer fest angestellt war und jetzt eBooks schreibt?

Das ist kalkuliertes Risiko. Ich muss viele Bücher schreiben, bislang 13 in fünf Jahren, seit 2013. Da geht mir ein humoristischer Roman auch schon mal in ein, zwei Wochen von der Hand. Ich bin für Topps und Flopps selbst verantwortlich. Das reizt mich aber auch.

Haben Sie dabei ein Vorbild?

John Irving. Das ist eine Art von Humor und Drama, die mir sehr nahe liegt.

Zurück zur „Lindenstraße“. Haben Sie so getickt wie der Alt-68er Geißendörfer?

Uns beide verbindet, wie Hans W. Geißendörfer sagt, der aufrechte Gang, Stichwort soziale Meinung. Wir sind auch privat befreundet, er ist der Patenonkel meines Sohnes. Unsere Freundschaft bleibt auch weiterhin bestehen. Klar waren beide Produzenten, Vater und Tochter Geißendörfer, angemessen schockiert, als ich ihnen vor über einem Jahr sagte, dass für mich bei der „Lindenstraße“ Schluss ist.

Die „Lindenstraße“ leidet schon auch unter sinkenden Quoten. Da verlässt doch einer das sinkende Schiff…

Nein. Ich denke, dass der Vertrag über 2019 hinausverlängert wird. Die ARD wäre schlecht beraten, die Serie einzustellen. Es ist eine Marke, mit einer immer noch großen Fanbasis. Und Hana Geißendörfer hat als Produzentin nochmals neue Energie hinein gebracht, einen neuen Look. Man darf nicht vergessen, dass es im Vergleich zu früher inzwischen viel mehr Programme und Serien auf dem Markt gibt. Dass die Quoten daher nicht mehr die gleichen sind wie vor ein paar Jahren, ist eine logische Konsequenz. Die „Lindenstraße“ ist gut aufgestellt, auch nach mir, mit meiner Nachfolgerin Tina Müller.

Wie viele Leute, Lindensträßler, haben Sie denn in den 20 Jahren beerdigt, zur Welt gebracht, Ehen gestiftet etc?

Sicher Dutzende … Ich sehe es eher an der Zeit, wie meine Figuren wachsen. Eine meiner ersten war Lea, die kam als dreijähriges Mädchen in die Serie, überraschenderweise als Kind von Benny Beimer. Jetzt ist Lea erwachsen. Oder Jack, meine Lieblingsfigur. Die Nonkonforme, immer spannend zu schreiben. Mit ein paar lustigen Ideen bin ich allerdings auch auf die Schnauze gefallen.

Beispiel bitte, was hat in der „Lindenstraße“ nicht funktioniert?

Als wir Penner Harry vor einem Besuch bei Mutter Beimer die Haare stutzen wollten. Das ging gar nicht, es gab viele, viele Proteste.

Haben Sie von diesen Figuren geträumt?

Ich habe da keine Albträume in Erinnerung. Bei den mehrtägigen Storyline-Sitzungen war es für mich aber schon schwierig, Realität und Fiktion zu unterscheiden.

Wenn das die einzige Autoren-Sorge wäre: über deren mangelnde Wertschätzung wird debattiert, zuletzt beim Deutschen Fernsehpreis.
Für Autoren ist es generell eine gute Zeit. Es wird viel produziert, auch von den Streamingdiensten. Das mit der Geringschätzung ist aber auf jeden Fall so. Sobald ich einen Roman schreibe, bin ich der Held. Als ich mal als „Lindenstraße“-Autor bei einer „Lindenstraße“-PK in der Mitte saß, wurde konsequent um mich herum gefragt.

Werden Sie nach Ihrem Abschied weiterhin „Lindenstraße“ schauen?

Klar, in der Mediathek, wenn die Kinder im Bett sind.

Und womit schmeißen Sie uns aus Ihrer allerletzten „Lindenstraße“-Folge 1662 an diesem Sonntag?

Das darf ich doch nicht verraten. Nur so viel: Es ist eine besondere kammerspielartige Folge, mit nur zwei Hauptfiguren. Eine davon ist Enzo, der Mann mit der Belastungsstörung. Das ist, zugegeben, auch eher gedrückt. Aber eine Geschichte, ein Strang, das hat es in 32 Jahren Lindenstraße selten gegeben.

Michael Meisheit, 44, der Berliner Autor hört nach 20 Jahren als Texter beim Serien-Dauerbrenner „Lindenstraße“ auf und schreibt eBooks – unter weiblichem Pseudonym.

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