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Das OP-Besteck erwies sich als unsauber. Dr. Anna Hellberg (Claudia Michelsen) sorgt sich um die kleine Leah (Hedda Erlebach).

© dpa

ARD-Film "Götter in Weiß": Eine Moralistin aus Einsicht

„Götter in Weiß“: Ein ARD-Film mit Claudia Michelsen als Ärztin dementiert die Soap-Klischees vom Wunderheiler. Es geht vom Mull zum Moll.

Ein Kind rast mit dem Fahrrad am Kanalufer um die Wette mit dem Fischerkutter seines Vaters. Das Mädchen prallt auf ein Hindernis. Schwarzblende, Martinshorn, OP-Tisch, die freundliche Chirurgin mit dem freundlichen Namen Anna Hellberg (Claudia Michelsen) schneidet ins Fleisch der Schülerin. Gott sei Dank! Kein Halsbruch, nur Beinbruch. Aha, wir schmecken schon die nie erkaltende Soapsuppe, gekocht aus dem ewigen Heile-Heile-Segen-Spiel „Alles wird gut“. Die weißen Götter werden es schon richten.

Aber nö. Es geht vom Mull zum Moll.

Weiß sind nämlich in dem kleinstädtischen Krankenhaus nur die Kittel. Das OP-Besteck erweist sich als unsauber, die Klemmen stecken in einem Plastikbeutel, der ein Loch hat. Das kann Chirurgin Anna gerade noch entdecken. Aber das, was in die Wunde eindringt, nicht: multiresistente Krankenhauskeime. Auch die Seelenschwärze in den Köpfen ihrer Kollegen bleibt Oberärztin Hellberg erst mal unsichtbar.

Alles scheint in bester Ordnung zu sein

Eigentlich scheint sie ganz zufrieden. Frau Doktor arbeitet mit ihrem Ehemann Gunnar (Jan Messutat) im gleichen Haus, der ist ebenfalls ein Chirurg, ohne dass sich die beiden als berufliche Konkurrenten ins Gehege kommen.Die beste Freundin ist Oberschwester Franziska (Anneke Kim Sarnau) - die Frauen paddeln gemeinsam in ihrer limitierten Freizeit, und Anna kann sich über ihren verhaltensauffälligen Sohn mit Freundin Franziska austauschen.

Da bekommt die operierte Fischerstochter hohes Fieber – das Leben der Ärztin Anna wird niemals so sein wie vorher. Beruflich nicht und privat auch nicht. Und trennen lassen sich beide Sphären nicht, wie der Film „Götter in Weiß“ (Regie: Elmar Fischer, Buch: Andrea Frischholz, Jörg Tensing), der 90-Minüter am Mittwoch Abend im Ersten, überzeugend darlegt.

Die Patientin erleidet einen allergischen Schock, weil ihr ein Antibiotikum verabreicht wurde. Das geschwächte Immunsystem kann multiresistente Keime so schlechter bekämpfen. Der Klinikchef Barner (Sebastian Rudolph) wirft nun Anna Versagen wegen der im Blut nachgewiesenen Antibiotika-Gabe vor, aber die Beschuldigte ist sich sicher, diese Maßnahme nicht angeordnet zu haben.

Eine Ärztin tut ihre Pflicht

Es ist nicht gekränkte Eitelkeit, die Anna Hellberg zur Aufklärung eines Skandals an ihrem Krankenhaus antreibt, auch nicht der Heldenmut einer unerbittlichen Idealistin. Es ist schlicht die Pflicht einer Ärztin, die den hippokratischen Eid geschworen hat: Du darfst den Patienten nicht schaden. Deshalb ist eine sich allmählich herausstellende verschwörerische Vertuschung von Missständen im gerade erst umgebauten OP-Saal unbedingt anzeigepflichtig. Da mag die Klinik aus finanziellen Gründen noch so von Schließung bedroht sein.

Regie und Kamera (Philipp Sichler) zwingen den Zuschauer, den Hauptdarstellern in Großaufnahme ins Gesicht zu blicken. Da sieht man alles. Im Fall der in Wirklichkeit gar nicht so guten Freundin (Sarnau) zeigt sich hinter deren allmählich zerreißender kleinhäschenhafter Unschuldsmine die blanke Existenzangst, die alle ethischen Zweifel betäubt.

Ehemann Gunnar offenbart in seiner phlegmatischen Unbeteiligtheit den Typ des resignierten Revoluzzers, der alle Ideale aufgegeben hat, seine Frau nicht unterstützt, sondern belügt und gegen seine eventuell noch vorhandenen moralischen Skrupel zeitweise zu Tabletten greift. Die schrecklichen Keime haben das Sein der Chirurgin verändert, sie ihre innere Einsamkeit entdecken lassen, und die Zweifel an der Illusion vom vertrauenswerten Krankenhaus unwiederbringlich geweckt. Es ist fabelhaft, wie souverän und ganz und gar nicht „Gott in Weiß“-mäßig Claudia Michelsen das spielt – als eine Moralistin aus Einsicht. In Soaps geschieht so was nur selten.

„Götter in Weiß“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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