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Ein Ärgernis? Permanent wurden die Zuschauer der Doku durch eine durchlaufende Einblendung auf den sogenannten Faktencheck aufmerksam gemacht.

© Tsp

Antisemitismus-Doku im Faktencheck: Ruch des Unseriösen

Eine Position von Zentralratspräsident Josef Schuster zur Antisemitismus-Doku. Bei allem Ärger über das Verhalten der TV-Sender, hat die Debatte dennoch ihr Gutes.

Es waren nicht wirklich viele Menschen, die am späten Mittwochabend vor dem Fernseher saßen, um sich über Israel-bezogenen Antisemitismus zu informieren. Die allgemeine Aufmerksamkeit für den vom WDR für Arte produzierten Dokumentarfilm „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ und die anschließende Talkshow in der ARD war jedoch, wenn wir das Medienecho als Maßstab nehmen, ungleich größer als die Einschaltquote.

So sehr ich mich gefreut habe, dass der Film endlich auf den öffentlichen Druck hin, den auch der Zentralrat der Juden ausgeübt hatte, ausgestrahlt wurde, so war die Ausstrahlung zugleich auch ein Ärgernis.

Permanent wurden die Zuschauer durch eine durchlaufende Einblendung auf den sogenannten Faktencheck aufmerksam gemacht. Auch die Unterbrechungen des Films durch Erläuterungen führten vor allem zu einem Ergebnis: Der gesamte Film wurde infrage gestellt. Die Macher des Films kamen in den Ruch des Unseriösen.

Auch der Faktencheck ließ mindestens so viele Fragen offen, wie er vorgab zu beantworten. Auf Aussagen über NGOs, die im Film nicht belegt wurden – und diese Kritik ist berechtigt – wurde im Faktencheck nur mit Äußerungen der Organisationen reagiert, die die Behauptungen des Films als unzutreffend zurückwiesen. Damit stand Aussage gegen Aussage.

Aber einen Beleg, was stimmt, präsentierte der Faktencheck nicht. Das Manöver des WDR ist ziemlich durchsichtig: Vor allem dienten Faktencheck und Erläuterungen im Film selbst zur Rechtfertigung des eigenen Verhaltens. Der Sender wollte offenbar eine vermeintlich objektive Begründung liefern, warum die Dokumentation nicht gezeigt werden sollte.

Jetzt hat das Thema zumindest einen Teil der Aufmerksamkeit, den es verdient

Dennoch nehmen wir den WDR und Arte mit ihrem neuen Umgang mit Dokumentarfilmen gerne ernst. Auch bei anderen Dokumentationen liegt jetzt die Messlatte sehr hoch. Beim Vorwurf der Einseitigkeit kann nicht mehr, wie in der Vergangenheit geschehen, möglichst unauffällig nachträglich eine kleine Änderung eingefügt oder einfach der Beitrag aus dem Netz genommen werden. Nein, auch dann erwarten wir eine Positionierung der Intendanten und einen Faktencheck.

Bei allem Ärger über das Verhalten der Sender, hat die Debatte dennoch ihr Gutes. Das Phänomen des Israel-bezogenen Antisemitismus ist nicht neu. In den vergangenen Jahren hat es sich in Deutschland ausgebreitet wie eine ansteckende Krankheit. Es machte weder Halt vor der bürgerlichen Mitte noch vor vielen Medien. Uns, die Juden in Deutschland, hat es seit Langem und immer stärker alarmiert. Sonst fast niemanden. Doch jetzt hat das Thema zumindest einen Teil der Aufmerksamkeit, den es verdient.

Was ist mit Israel-bezogenem Antisemitismus gemeint? Es ist mitnichten so, als sei Kritik an der israelischen Regierung nicht möglich. Erst recht ist es abstrus zu behaupten, der Zentralrat der Juden in Deutschland erlaube keine Kritik an Israel oder bezeichne jegliche Kritik sofort als Antisemitismus.

Aber wenn zum Beispiel der Gaza-Streifen verglichen wird mit dem Warschauer Ghetto oder Israel ein „hemmungsloser Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser vorgeworfen wird, wie Norbert Blüm das einst getan hat; oder wenn Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas behauptet, Rabbiner hätten die israelische Regierung aufgefordert, das Trinkwasser der Palästinenser zu vergiften, dann wird deutlich: Hier spielen alte antisemitische Vorurteile eine Rolle, vielleicht auch das (unbewusste) Bedürfnis, das Täter-Opfer-Verhältnis umzukehren, oder die Absicht, Juden generell abzuwerten und zu beschuldigen. Das ist Antisemitismus.

Bisher blieb dieses Thema immer in der Nische. Selbst als vor Kurzem der vom Bundestag berufene Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus ausdrücklich feststellte, dass Israel-bezogener Antisemitismus bei 40 Prozent der Bevölkerung zu finden sei, hat dies keinen Aufschrei ausgelöst.

Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielt, wimmelt es in unserem Land von Bundestrainern. Das ganze Jahr über ist Deutschland voll von selbsternannten Nahostexperten. Wenn sich jetzt wenigstens ein paar dieser „Experten“, der ein oder andere Sender und Politiker selbstkritisch fragen, ob ihre Beiträge über Israel Hand und Fuß haben und wen sie mit ihrer Kritik eigentlich treffen wollen – dann hat die Dokumentation schon ihren Sinn gehabt.

Josef Schuster ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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