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Streithähne. Anne Will hatte FDP-Mann Christian Lindner zwischen Manfred Spitzer (links) und Blogger Sascha Lobo gesetzt. Eine gute Entscheidung.

© Tsp

"Anne Will" über Roboter und Moral: "Sie haben keine Ahnung"

Ersetzen Computer-Kassen und Pflege-Roboter bald Millionen Beschäftigte? Das wollte Anne Will von ihren Gästen wissen. Statt sachlich zu diskutieren, gerieten die sich in die Haare.

Manfred Spitzer und Sascha Lobo werden keine Freunde mehr. Der Psychiatrie-Professor und der Internet-Blogger stritten sich bei „Anne Will“ so heftig, dass von einer sachlichen Diskussion keine Rede sein konnte. „Schöne neue Arbeitswelt - Ist der Computer der bessere Mensch?“ hatte Anne Will von ihren Gästen wissen wollen. Doch eine Antwort darauf konnte ihre Sendung nicht liefern. Was vor allem am Leiter der Universitätsklinik Ulm lag.

Manfred Spitzer ist der Erfinder des Ausdrucks „Digitale Demenz“. Er fürchtet sich weniger davor, dass der Roboter den Mensch ersetzt. Seine Sorge gilt den Kindern und Jugendlichen. Durch zu frühen Umgang mit Computern und Smartphones drohten ihnen im schlimmsten Fall Missbildungen des Gehirns oder ansonsten Ängste, Schlafstörungen, Depressionen, Diabetes oder Aufmerksamkeitsdefizite. „Ich kann zwar nicht genau sagen, ob bis zum Alter von 14 oder 16 Jahren, aber wir müssen Kinder und Jugendliche vor den digitalen Medien schützen“, sagte Spitzer und 3,23 Millionen Zuschauer vernahmen seine Worte vor ihren TV-Geräten.

"Wlan schadet dem Lernen"

Zum Glück saß FDP-Chef Christian Lindner zwischen Spitzer und Lobo. Der Politiker und ehemalige Internet-Unternehmer hatte zwar auch den einen oder anderen Strauß mit Spitzer und seinen Thesen auszufechten. Aber im Gegensatz zu Sascha Lobo, dem wohl bekanntesten Blogger und Internet-Berater blieb Lindner bis zum Schluss gelassen. Lobo warf Spitzer eine unproduktive Haltung in der Diskussion über die digitale Zukunft vor, der Psychiater dämonisiere das Internet und sei nicht Willens zu differenzieren. „Sie haben schöne rote Haare, aber keine Ahnung", griff Spitzer Lobo an. „Herr Spitzer will beweisen, dass Wasser ungesund ist“, warf ihm Lobo vor. „Und Sascha Lobo hält Cola für gesund“, konterte Manfred Spitzer.

Das war immerhin noch amüsant. Doch die Wogen konnte es nicht glätten, Spitzer redete sich immer weiter in Rage, ließ niemanden mehr ausreden. „Sie sind der lebende Beweis, dass der Verzicht auf digitale Medien nicht zu besseren Umgangsformen führt“, gelang es Lindner dann jedoch, den Mediziner in die Schranken zu weisen. Anne Will hatte zu der Zeit längst jeden Moderationsversuch aufgegeben.

In den etwas ruhigeren Phasen der Sendung wurde dann doch über die Zukunft der Arbeit gesprochen. Die ARD veranstaltet dazu noch bis Samstag eine Themenwoche, bereits der „Tatort“ war durch und durch digital. Lässt sich die Entwicklung noch stoppen, in der vollautomatisierte Supermarktkassen, selbstfahrende Laster und Roboter in der Alten- und Krankenpflege Millionen von Jobs kosten? lautete die Fragestellung. Die Einspielfilme zeigten, wie in Japan kleine Roboterhunde alte Menschen aufmuntern oder wie ausgewachsene Roboter Pflegeleistungen übernehmen.

FDP-Mann Lindner kann nichts Schlechtes daran erkennen, wenn gefährliche oder unangenehme Jobs vom Roboter erledigt werden. Die SPD-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg Leni Breymaier wehrt sich jedoch gegen die Vorstellung von einer Welt, in der nur noch Reiche von Menschen gepflegt werden, während Kassenpatienten im Alter dem Roboter überlassen werden. „Die menschliche Zuneigung wird ein Roboter nie ersetzen können“, glaubt sie. Auch fragte Breymaier, wem die Digitale Rendite zusteht. „Wenn 3-D-Drucker Hausdächer herstellen und Dachdecker arbeitslos machten, wem stehe der Gewinn daraus zu, dem Druckerhersteller, dem Besitzer des Druckers oder der Gesellschaft?“ fragte Breymaier, die derzeit zudem noch ver.di-Landeschefin in Baden-Württemberg ist.

„Man meint den Kapitalismus und schlägt auf die Technologie ein“, warnte dagegen Internet-Versteher Lobo. Für ihn liegt die Gefahr in einer neuen gesellschaftlichen Spaltung, wenn immer mehr Wissen in Maschinen gesteckt wird. Dies führe zu einer Aufspreizung zwischen wenigen Hochqualifizierten und Hochbezahlten und einer Vielzahl von Unterbezahlten.

Als Vertreter der IT-Industrie war Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, geladen. Den Roboter als mitfühlendes Wesen kann sich auch Rohleder auf absehbare Zeit nicht vorstellen. „Bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg“. Der Einsatz von Robotern in der Pflege sei hingegen in Japan schon Realität. Roboter können Arbeitskräfte freimachen, die dann anders eingesetzt werden. „Die Aufgaben zum Beispiel eines Elektrikers werden anspruchsvoller. Er muss heute ein Smart Home bauen und nicht nur elektrische Leitungen verlegen“, sagte der Branchenvertreter und erwartet eine Aufwertung vieler Berufe. Zudem helfe dies, um dem wachsenden Arbeitskräftemangel zu begegnen.

Ein Dilemma zum Schluss

Zum Ende der Sendung stellte Will den Gästen eine Gewissensfrage. Angelehnt an die Arbeit der Ethikkommission zum Autonomen Fahren unter dem früheren Verfassungsrichter Udo di Fabio wurde ein Szenario gezeichnet, in dem ein selbstfahrendes Auto entscheiden musste, ob es in einer ausweglosen Situation ein kleines Mädchen, das plötzlich auf die Straße gerannt ist, überfahren soll oder beim Ausweichen in eine Mauer das Leben der Beifahrer auf Spiel setzen. Für einen menschlichen Autofahrer gebe es in einer solchen Situation keine Entscheidung, er reagiere affektiv, sagte Bernhard Rohleder. Beim autonomen Fahren könne diese Situation möglicherweise sogar verhindert werden, wenn nicht nur Autos untereinander kommunizieren, sondern auch mit schwächeren Verkehrsmitgliedern wie Fußgängern oder Fahrradfahrern.

Für Sascha Lobo war das Szenario zu konstruiert. Selbst Computer könnten so schnell keine Alternativen berechnen. Die Technik werde überschätzt, derzeit sei es bereits die Frage, ob der Computer ein Mädchen erkennen kann. „Dazu kann es keine ethisch vertretbare Entscheidung geben“, erklärte dagegen Christian Lindner, so etwas könne höchstens ein Zufallsgenerator entscheiden. Manfred Spitzer verzichtete auf eine Einschätzung. Die Zuschauer werden es ihm gedankt haben.

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