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Drittreichster Mann der Welt. Amazon-Gründer Jeff Bezos kann sich die Investitionen in die „Washington Post“ leisten. Trotzdem will Bezos auch hier Erfolge sehen.

© AFP

Amazon-Gründer als Zeitungsverleger: Und immer auf den Leser fokussieren

Mit Amazon-Gründer Jeff Bezos kehren Stolz und Selbstbewusstsein in die Redaktion der „Washington Post“ zurück.

Günstigere Ausgangsbedingungen, um im digitalen Haifischbecken zu überleben, hat derzeit wohl kaum ein Nachrichtenmedium in der westlichen Welt: Die „Washington Post“ hat mit dem Amazon-Gründer Jeff Bezos, dem inzwischen drittreichsten Mann der Welt, einen weitsichtigen Investor und mit Martin Baron einen erfahrenen und mit allen digitalen Wassern gewaschenen Chefredakteur. Barons Arbeit hat ihm schon in seiner vorangehenden Position als Redaktionschef des „Boston Globe“ nicht nur einen Pulitzer-Preis, sondern spätestens mit dem Film „Spotlight“ auch Hollywood-Lorbeer und Weltruhm eingebracht. Obendrein ist die „Post“ nicht irgendwo in einer Metropole beheimatet, sondern in der Schaltzentrale der westlichen Welt und in fußläufiger Distanz zum Weißen Haus. So ist es mehr als naheliegend, wenn sich immer wieder Forscher und Journalisten für die Digital-Strategie und das Geschäftsmodell der „Washington Post“ interessieren.

Nach Jahren, in denen das Betriebsklima von Entlassungen, Frühpensionierungen und die Angst um den Arbeitsplatz bestimmt war, hat die Marke seit Bezos’ Einstieg im August 2013 ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen. Die Redaktion wurde um 140 Journalisten aufgestockt. Außerdem wurden 35 Ingenieure neu eingestellt, sodass inzwischen 80 IT-Spezialisten im Newsroom arbeiten. Sie sind in eine Vielzahl von Projekten involviert, von der Entwicklung neuer Apps über Tools, um Infografiken zu gestalten, bis hin zum Datenjournalismus, zum Content Management und zu einem Dashbord, mit dem das Nutzerverhalten zeitnah beobachtet und ausgewertet wird. Jüngster Coup: Die Zeitung lässt Text-Roboter über die Olympischen Spiele in Rio berichten. Via Software werden kurze Beiträge über Ergebnisse, der Medaillenspiegel und andere datengetriebene Informationen erzeugt.

Gewinne bei Ansehen und Reichweiten

Das Engagement von Eigentümer und Verlag zahlt sich zumindest in Ansehens- und Reichweiten-Gewinnen aus: Die „Washington Post“ hat jüngst zwei Pulitzer-Preise bekommen und mit ihrer aggressiven Berichterstattung über den Vorwahlkampf hat sie so viel Aufmerksamkeit erzielt, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump wutschnaubend „Post“-Reporter aus dem Begleittross seiner Kampagne ausschloss.

Washingtonpost.com konnte seit 2013 die Clicks verdoppeln und hat im Oktober 2015 erstmals die „New York Times“ beim Web Traffic überrundet. Im Februar 2016, so gerät Dan Kennedy von der School of Journalism der Northeastern University in Boston ins Schwärmen, habe die „Post“ mit 890 Millionen Seitenaufrufen nicht nur die „New York Times“ (721 Millionen), sondern auch das „Traffic-Monster“ BuzzFeed (884 Millionen) geschlagen. Nur CNN.com (1,4 Milliarden Aufrufe) habe in Amerika weiterhin die Nase vorn. Nicht aufgehalten werden konnte indes der schwindelerregende Auflagenschwund bei der Print-Ausgabe. Im Vergleich zu 1993, als mit 832 000 Exemplaren der Gipfelpunkt erreicht war, ist heute noch nicht einmal die Hälfte davon übrig geblieben. Trotzdem ist die Printversion noch immer einträglicher als das viel üppigere Online-Angebot der Zeitung.

Kennedy konnte Baron und mehrere leitende Mitarbeiter interviewen. Als Erfolgsgeheimnis verriet ihm der Chefredakteur: „Wir sind auf die digitale Umwelt eingestellt und betrachten das Netz als eigenständiges Medium.“ Als Beispiele nannte er, er habe junge „Digital Natives“ als Redakteure eingestellt. Sie träten mit einer „erkennbar eigenen Stimme“ auf und interessierten sich „gar nicht dafür, ob ihre Geschichten auch in der Print-Ausgabe erscheinen“. Sie arbeiteten mit Multi-Media-Tools, indem sie zum Beispiel Videos produzierten, Original-Dokumente an ihre Postings anhängten oder Texte mit Annotationen und Kommentaren versähen, was bei Print an den Grenzen des Mediums scheitere. Letztlich gehe es darum, in Journalismus und in Technologie zu investieren, ein breites Publikum ebenso wie elitäre, spezialisierte Zielgruppen im Visier zu haben und die digitale Reichweite über möglichst viele Plattformen hinweg auszubauen.

Bezos setzt auf Synergieeffekte

Das alles klingt dann freilich doch nicht so weltbewegend, als würden Baron und Bezos soeben das Rad neu erfinden. Spannender ist wohl die Frage, warum Bezos die „Washington Post“ überhaupt erworben hat. Ganz offensichtlich sind Synergieeffekte im Spiel, die nur er realisieren kann, indem er etwa die „Post“ digital über Amazon Prime und auf seinem Lesegerät Kindle Fire zugänglich macht. Der Medienanalyst Ken Doctor traut Bezos zu, mithilfe der „Washington Post“ sogar einen Wettbewerbsvorteil für Amazon gegenüber anderen Tech-Giganten wie Facebook, Apple und Google herausschlagen zu können.

Medienkritiker befürchten dagegen, Bezos habe sich ein Machtinstrument zur politischen Einflussnahme verschafft, um insbesondere industriepolitische Entscheidungen, die den Hightech-Sektor betreffen, mitsteuern zu können. Chefredakteur Martin Baron versichert indes durchaus glaubhaft, dass es solche Beeinflussungsversuche bisher nicht gegeben habe und diese mit ihm auch nicht zu machen wären.

Kann also die „Washington Post“ mit hinreichender Unabhängigkeit auch über Amazon berichten? Anlässe dafür gäbe es fraglos, denn der Internetgigant hat nicht nur weltweit den Buchhandel und die Buchverlage auf den Kopf gestellt und inzwischen auch andere Handelsunternehmen in Bedrängnis gebracht. Er fällt auch immer mal wieder dadurch auf, dass er mit seinen Angestellten ruppig umgeht. Obendrein ist Amazon Web Services ein Geschäftspartner der CIA. Bezos hat, als er sich als neuer Eigentümer der Redaktion vorstellte, diese ermuntert, über „Amazon und Jeff Bezos“ zu publizieren, was sie wolle. Das freilich schließt vorauseilenden Gehorsam und die Schere im Kopf nicht aus, denn in jedem Medienunternehmen gibt es Machtstrukturen – und damit einhergehend blinde Flecken der Berichterstattung. Somit werden wir wohl auch in Zukunft investigative Beiträge über Amazon und Bezos eher in der „New York Times“, im „Wall Street Journal“ oder im „Guardian“ erwarten dürfen als in der „Washington Post“.

Bezos hat seiner Redaktion einen Leitspruch mit auf den Weg gegeben, der es verdient, in jedem Journalismus-Lehrbuch eingerahmt zu werden: „Auf den Leser fokussieren, nicht auf die Wettbewerber.“ Ganz neu ist freilich auch diese Devise nicht. Just „Focus“-Gründer und Print-Veteran Helmut Markwort hatte ja seinem Redaktionsteam schon vor Jahren eingeimpft: „Und immer an den Leser denken.“

Stephan Russ-Mohl

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