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Der spätere Bundespräsident Joachim Gauck (links) diskutiert mit „Kontraste“-Moderator Jürgen Engert.

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50 Jahre "Kontraste": Wandel durch Anteilnahme

Seit 50 Jahren im ARD-Programm: „Kontraste“, das Magazin, für das deutsch-deutsche Politik und der Widerstand in der DDR eine Mission waren.

Kontraste: Fünfzig Werst sind keine Entfernung. Fünfzig Gramm Wodka keine Menge. Fünfzig Jahre kein Alter (Russisches Sprichwort).

In der Lüneburger Heide. 1967. Vorbereitung für ein politisches Magazin des Senders Freies Berlin. Inmitten grüner Wiesen. Im Ferienhaus von Matthias Walden, SFB-Chefkommentator. Warum Lüneburger Heide? Abschirmung soll sein. Gegenüber der „Firma Horch und Guck“ des Genossen Erich Mielke. Man hat da seine Erfahrungen. Walden ist nicht Walden. Walden ist der Baron von Saß. Dresdner. Jahrgang 1927. Flakhelfer. Nach dem Krieg Redakteur bei der „Union“, der CDU-Zeitung in Dresden. Durch Repressalien vertrieben. Geflüchtet 1950 ins westliche Berlin. Das Pseudonym als Versuch, Verwandte in einem Stück-Land zu schützen, das im kalten Namenskrieg zunächst „Sowjetzone“ genannt wird, bevor „DDR“ zwischen Anführungsstrichen dauert, ehe auch die verschwinden.

Ein Zweitname repräsentativ für nicht wenige Journalisten unter dem Dach des 1953 gegründeten Senders Freies Berlin. Auch in der Lüneburger Heide sind Getarnte mit von der Partie. Unter fadenscheiniger Bedeckung. Denn die Schild- und Schwertträger des Erich Mielke wissen genau, wer was sendet, hinein in seine alte Heimat, die sein Hemd geblieben ist unter dem West-Berliner Rock.

Dreh- und Angelpunkt für den Lüneburger Heide-Zirkel ist kein Ostler. Es ist ein Westler: Peter Pechel. Hörfunk-Korrespondent in Washington war er, Chefredakteur des SFB ist er. Sein Vater: Herausgeber der in der Weimarer Republik wirkungskräftigen Zeitschrift „Deutsche Rundschau“. Bis ihn die Nazis in Konzentrationslager pferchten, zusammen mit seiner Frau. Die Gemeinsamkeit derer, die im Hause Walden versammelt sind: Ihre Biographien sind wesentlich und unverwechselbar geprägt durch Erfahrungen in der Hitlerei, in Krieg und Nachkrieg. Journalisten, für die Politik nicht nur ihr Metier, für die Politik auch eine Mission ist. Sie verkörpern einen Prototyp in der westdeutschen Publizistik: Ob braun, ob rot, der Lack ist ab. Nie wieder! Die Vergangenheit als Projektionsfläche für die Gegenwart.

Zeugung und Geburt in einem Ritt

In der Lüneburger Heide Zeugung und Geburt eines Magazins in einem Ritt. Nun braucht das Kind nur noch einen Namen. Berliner Alltag: Massive, sofort ins Auge springende Gegensätze. Kontraste! Das wär’s. Bedenkenträger: Konfrontation sollte, könnte das Ende der Geschichte nicht sein! Kontakte! Das wär’s. Zumindest aber ein Bindestrich: Kontraste – Kontakte. Doppelnamen aber sind stets von Übel. „Kontraste“! Das ist es. Eine Art Ata. Jeder weiß, wo das draufsteht, was da drin ist.

Die ARD. Eine Arbeitsgemeinschaft. Naja. Mein Nächster bin ich. 1967. Auf einer Lichtung vier kapitale Hirsche: „Panorama“, „Monitor“, zweimal „Report“. Nordwestdeutscher Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Bayrischer Rundfunk, Südwestrundfunk. Diese vier Großen beherrschen auch das Revier der politischen Magazine. Und plötzlich erscheint ein Neugeborenes auf dem Plan und möchte ein Plätzchen. Da trommeln die vier Großen mit den Hufen und senken das Geweih. Der Kleine darf nicht mitmachen montags beim Alternieren der politischen Magazine. Er ist der Hintersasse. Und der wird auf einen Donnerstag geschupst. Ein Notopfer für den, der aus dem Dickicht seiner selbstständigen politischen und gesellschaftlichen Einheit kommt. Außerdem, sozusagen als Morgengabe will er sich auf den Osten Mitteleuropas konzentrieren. Weit weg und somit keine Störung angestammter Bundesdeutscher Kreise. Das mildert die kapitalen Hirsche.

Von fürsorglichen Kollegen werden „Kontraste“-Redakteure gefragt, wie lange sie es denn noch aushalten wollten auf ihrem Eiland mit dem größten zoologischen Garten, bevölkert von einer bedrohten Tierwelt. Frager von ehedem sind inzwischen zu Lokalpatrioten mutiert: Auch ich bin ein Berliner! „Kontraste“? Natürlich aus der Hauptstadt. Auch das ist das Magazin: Ein Spiegelbild deutscher Befindlichkeiten.

Der Start des Magazins im Januar 1968 fällt zusammen mit dem Aufstand der Tschechoslowakei. Nach der 1956 in Blut erstickten ungarischen Revolution der zweite Versuch, eine Herrschaft zu reformieren, zu demokratisieren, ihr ein menschliches Antlitz zu geben. Neue Leute braucht das Land. Alexander Dubcek und die seinen schaffen auch die Pressezensur ab. Das erleichtert den Dreh mit westlichen Kameras. Bis sie einfallen, die Truppen des Warschauer Pakts. Armisten der DDR gehen an der Grenze in Stellung.

Die Fernsehbilder aus Prag durchlöchern das Vergeblichkeitsbewusstsein, das zwischen Ostsee und Thüringer Wald seit dem gescheiterten Volksaufstand vom 17. Juni 1953 lähmend geworden ist. Nun werden Flugblätter, Flugschriften insgeheim gedruckt, Widerstand wird auf Mauern geschrieben: Solidarität für Prag! Bert Brecht wird zitiert: Es wechseln die Zeiten, da hilft keine Gewalt. Und solche, die Brecht zitieren, werden von der Staatssicherheit in Gefängnisse gesteckt. Es sind Junge, Schüler und Studenten vor allem, kleine Zirkel, die dem Scheitern zum Trotz, Prag in ihrem Gedächtnis verankern. Die „Kontraste“-Redaktion ist gewiss: Das wird Folgen haben in der DDR. In den achtziger Jahren werden sie durch Kameras dokumentiert.

Der Streit um die Ostpolitik zieht sich durch die Redaktion

Es scheiden sich die Geister. In der Bundesrepublik im Allgemeinen, in der Redaktion im Besonderen. An der von Willy Brandt zusammen mit Egon Bahr nach dem Bau der Berliner Mauer konzipierten Politik der Entspannung in der Deutschland- und Ostpolitik. Ihre Parole „Wandel durch Annäherung“ kontert Matthias Walden lautstark: „Wandel durch Anbiederung“. Pechel dagegen ist ein Parteigänger von Bahr. Auch aus einer ganz persönlichen Motivation heraus. Der Hauptmann der Wehrmacht war dabei, beim Überfall auf die Sowjetunion. Im Feldzug bis kurz vor Moskau. Die Unterstützung für die kleinen Schritte von Brandt und Bahr: Für ihn auch der Versuch, Feindbilder abzubauen. Kooperation statt Konfrontation. Für den jüngeren Walden dagegen: Die Sowjetisierung hat er als Junger in Dresden erlitten. Vor ihr ist er geflohen. Offene Rechnungen. Walden geht auf Distanz zum Magazin. Gefühle können auch für Journalisten maßgebend sein.

Das Auto im Slalom. Zwischen Betonpollern. Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. „Kontraste“ ist eingeladen. Offiziell. Vom DDR Außenministerium. Kein Irrtum. Ich hab’s schriftlich. Eine  Sensation für den „Klassenfeind“ in der Masurenallee. Im Kronprinzessinnenpalais Unter den Linden Vertragsunterzeichnung durch Egon Bahr und DDR-Staatssekretär Michael Kohl. Reisepass und Einladung durch einen Schlitz in der Scheibe des Abfertigungsschalters. Das „Organ“, das ein Oberleutnant der Grenztruppen ist, nimmt, prüft und lässt verschwinden. Ich warte. Auch wenn ich privat komme, bringe ich Zeit mit. Diesmal zwei Stunden. Denn immer dauert es, bis die „Organe“ einen „Lada“ herbeigeordert haben, mich zu begleiten. Im Auto und auf Schritt und Tritt.

Der Oberleutnant vor mir hat einen spärlichen Haarwuchs. Sortiert sind die Strähnen über die Platte verteilt. Das „Organ“ hat auch Schuppen. Sie liegen auf der Uniformjacke. Ich kann studieren. Ich habe Zeit. Obwohl: Stunden füllend ist das Problem Haarwuchs nicht. Einreisende gehen an mir vorbei. Sie mustern mich. Als einen, der vielleicht etwas auf dem Kerbholz haben könnte. Nachfrage beim „Organ“. „Sie bekommen Bescheid“. Anstehen habe ich gelernt. Ich bin damit groß geworden. Ich schaue auf meine Uhr. Jetzt werden Bahr und Kohl ihre Unterschriften auf’s Vertragspapier gesetzt haben. Ich bekomme Pass und Einladung zurück.

Die Staatssicherheit immer im Genick

Wenn ich nun schon einmal da bin, reise ich auch ein. Der „Lada“ mit zweien in Zivil erwartet mich. Fahrt zum „Museum für Deutsche Geschichte“ im Zeughaus. Gegenüber dem Kronprinzessinnen-Palais. Die Beiden, die für die Sicherheit ihres Staates auf Posten sind, parken nahe bei. Zu dritt ins Museum. Zwischen Schaukästen hat mich die Staatssicherheit offensichtlich verloren. Von einer Nische aus sehe ich sie hektisch suchen. „Heureka“: Sie haben mich wieder. Zu Fuß mit der Staatssicherheit im Gefolge ins nahe „Palast-Hotel“ gegenüber dem Dom. Dort gibt es ein „Fernöstliches Restaurant“. Als „chinesisch“ darf es nicht firmieren, weil es zwischen China und der Sowjetunion zum Bruch gekommen ist. Mit heftigen Kämpfen am Ussuri, dem Grenzfluss. Die DDR setzt auch kulinarisch ein Zeichen für ihre unbegrenzte Solidarität mit den Moskauer Genossen. Das Restaurant ist, gemessen am üblichen Preisniveau in der DDR, sehr teuer. Nur ein Tisch ist besetzt. Ein Kellner versucht mit harschem, pädagogischen Eifer ein Paar, Frau und Mann, das Essen mit Stäbchen zu lehren. Schließlich verlangen die beiden Messer und Gabel; was verweigert wird. Stäbchen! Sonst gar nichts. Das Ost-Berliner Chinesische, dass das Fernöstliche ist, bleibt auf den Tellern. Das Paar geht. Resigniert und unverköstigt. Meine beiden Bewacher sitzen hinter einer großen Glastür auf einer Polsterbank, die sich um eine Säule windet. Sie haben mich im Blick. Kontraste in Leib und Leben. Vor dem Grenzkontrollpunkt Heinrich-Heine-Straße liefert mich der Lada ab.

Vergangenheit wird Gegenwart, Ferne hautnah, wird ein essentielles Stück der eigenen Biographie erinnert. Wiedererkennung. Nach dem Sturm von Bürgerrechtlern auf das Hauptquartier des DDR-Staatssicherheitsdienstes in der Lichtenberger Normannenstraße, es ist der 15. Januar 1990. Kommen sie auf den Tisch: Die Aufzeichnungen, die Fotos der Stasi. Besiegelt von Verfolgungswahsinnigen nicht nur als „Vertraulich“, nicht nur als „Geheim“, als „Streng geheim“. Das Magazin wird bezeichnet. „Schwemme“ ist der Deckname. Ein „Feindobjekt“, das sich zur Hauptaufgabe gemacht habe: „Die medienspezifische Umsetzung des Gedankens der deutschen Einheit“. Als „Normalhaltung“ der DDR-Bürger solle er erscheinen. Dabei gehe es „Kontraste“ um „die Aufdeckung von Mängeln, Problemen und Mißständen des Sozialismus in der DDR“. Natürlich in „verzerrter Manier“. In den Sendungen des Magazins werde der „Wunsch nach bürgerlicher Demokratie und Pluralismus inspiriert und suggeriert.“ Die grundsätzlichen Stoßrichtungen von „Kontraste“: Zum einen die „verleumderische und verzerrte Darstellung der Politik von Partei und Regierung“. Zum anderen: „Ideologische, moralische und organisatorische Schützenhilfe“ für oppositionelle Gruppen in der DDR. Präsentiert würden „Elaborate von Verrätern und Renegaten“. Namentlich genannt: Wolf Biermann, Lutz Rathenow, Stephan Krawczyk, Freya Klier.

Einen findet Mielkes „Firma“, der plaudert

Zur Illustration: Filme und Standbilder, gefertigt in der DDR. „Diensteinheiten“ des Ministeriums für Staatssicherheit schwärmen aus, um systematisch zu entdecken und zu verfolgen jede Spur der „führenden antikommunistischen Magazinsendungen“. Einen wird die „Firma“ des Erich Mielke in den Reihen von „Kontraste“ finden, der plaudert. Aus Geltungsbedürfnis, aus Verbundenheit gegenüber einem Freund, der keiner ist, weil ihn die Staatssicherheit in Diensten hat. Bedeutsames kann der Plauderer nicht mitteilen, niemanden ans Messer liefern. Denn auch bei „Kontraste“ funktionieren die Absicherungen. Trotzdem: Für jeden Geheimdienst macht auch Kleinvieh Mist.

Das Magazin sendet einen Stummfilm. Frühjahr 1984. Der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker ist zum Bundespräsidenten gewählt. Angesicht des bevorstehenden Abschieds von seiner Stadt, zu der, für ihn selbstverständlich, Ost-Berlin gehört, bei seiner Popularität in der DDR, wäre es eine gute Idee, mit Weizsäcker unter die Linden zu gehen. Anfrage, Zusage. Auch die Staatssicherheit spielt mit. Schließlich hat Weizsäcker als Regierender Bürgermeister bereits mit der „Nummer Eins“, Erich Honecker, im Schloss Niederschönhausen konferiert. Zugleich sollte der zukünftige Bundespräsident nicht verprellt werden. Allerdings gibt es eine Auflage: Weizsäcker darf gehen, er darf aber nicht sprechen. Keine Interviews sind für das Filmstück erlaubt. Weizsäcker vor dem Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt. Zusammen mit seiner Frau. Mit der darf er reden. Ohne Mikrofon. Blick voraus ins Jahr 1989: Weizsäcker klettert durch ein Loch in der Mauer am Potsdamer Platz. Der diensthabende Hauptmann der DDR-Grenztruppen salutiert und meldet: „Herr Bundespräsident, keine besonderen Vorkommnisse“.

Einblicke in eine Diktatur. In der Sendung vom Mai 1991 setzte sich Roland Jahn (links), der heutige Stasi-Unterlagenbeauftragte, auf die Spuren ehemaliger MfS-Mitarbeiter.
Einblicke in eine Diktatur. In der Sendung vom Mai 1991 setzte sich Roland Jahn (links), der heutige Stasi-Unterlagenbeauftragte, auf die Spuren ehemaliger MfS-Mitarbeiter.

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Das Magazin will nicht nur auf die von der DDR akkreditierten Korrespondenten der ARD angewiesen sein, die ihre Vorhaben anmelden und genehmigen lassen müssen. Selektion nach Gutdünken. „Kontraste“ will seine eigenen Themen ins Bild setzen. 1984 Brief nach Ost-Berlin. An das DDR-Außenministerium, „Abteilung journalistische Beziehungen“. Daraufhin kommt eine Einladung. Unterredung mit einem Mitarbeiter. Er stellt sich vor: Joachim Nölte. Wir tragen vor: Wie wäre es, zum Beispiel mit einem Filmporträt von Egon Krenz. Oder über die Ausbildung von DDR-Diplomaten. Weihnachtsbräuche im Erzgebirge, Meißner Porzellan, Rotkäppchen-Sekt, Radeberger Pilsner könnten Themen sein. Herr Nölte hört zu. Dann spießt er einen „Kontraste“-Bericht über Flüchtlinge auf, die nach dem Besetzen westlicher Botschaft in Ost-Berlin in die Bundesrepublik ausreisen durften. Der Vorwurf von Herrn Nölte: Die Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik würden von „Kontraste“ auf die „sogenannten Menschenrechte reduziert“. Wir drehen uns im Kreise. Herr Nölte hat seinen. Wir haben unseren. Das Unternehmen geht aus wie das Hornberger Schießen. Das erste Gespräch wird das letzte sein. Heute können wir nachlesen: Herr Nölte aus der „Abteilung journalistischen Beziehungen“ im DDR-Außenministerium war ein „hohes Tier“. Unter dem Decknamen „Tell“ hatte er es bis zum Major in der „Hauptverwaltung Aufklärung“ der Staatssicherheit gebracht.

Das Magazin ist eingemauert. Von einer gewaltigen Staatsmacht. Um die Mauern aufzubrechen, werden Bilder gebraucht. Sie sind unmittelbarer als Worte. Wirkungskräftiger. Die Ostler in der Redaktion, an ihrer Spitze Achim Trenkner, gebürtig aus dem Thüringischem, seit den Anfängen einer der Maßgeber für das Magazin, sie kennen den fortschreitenden Verfall der Städte und Dörfer in der DDR, die katastrophale Umweltverschmutzung, die nicht nur in Bitterfeld aufgehängte Wäsche schwärzt, die auch Menschen krank macht, die Gefängnisse, in denen auch gefoltert wird.

Um an Bilder zu kommen, muss eine Infrastruktur her. Peter Wensierski, ein Investigativer, lange bevor der Begriff auf kleine Münzen geschlagen wird, er ist einer, der Aufbauer. Reisekorrespondent in der DDR für den Evangelischen Pressedienst war er, bis ihm Zutritt und Arbeit verboten wurde.

Aufbruch in der nur scheinbar monolithischen DDR

Seit Mitte der siebziger Jahre Aufbrüche in der scheinbar monolithischen DDR. Nicht nur im ruinierten Prenzlauer Berg. Umweltschützer, Friedensgruppen, die Schwerter zu Pflugscharen umschmieden wollen, die nicht nur in ihren vier Wänden bleiben, die auf die Straße gehen, die den Schutz der Kirche suchen, ohne zu fragen, ob sie das dürfen. Es tut sich was in der DDR, wo aber sind die Bilder davon?

Für Peter Wensierski ist Roland Jahn, der Mitbegründer der „Friedensgemeinschaft“ in Jena ein Partner. Mehrmals festgenommen und verurteilt wegen „Herabwürdigung staatlicher Ordnung“ und „Mißachtung staatlicher Symbole“, zwangsausgebürgert vom Regime der SED. Weder Wensierski noch Jahn können nach Ost-Berlin, noch gar in die DDR. Mittler müssen gefunden werden. An der Courage zum Lautsprechen mangelt es vielen der Bürgerrechts-Aktivisten nicht. Auch nicht an der Bereitschaft, Finger in die Wunden der DDR zu legen. Es bedarf aber der Absprachen. Unter Decknamen und in verschlüsselten Mitteilungen werden sie getroffen. Auch über das Telefon. Um aber aufzunehmen und publik zu machen, sind Kameras und Mikrofone von Nöten. Ausrüstungen, möglichst klein und handlich, müssen ebenso über die Grenze wie die Fertigprodukte. Diplomaten, die von ihren Ländern nicht auf Rosen gebettet werden, die unkontrolliert durch die Mauer dürfen, sind zu Hilfsdiensten bereit. Auch der eine und der andere in Ost-Berlin akkreditierte Westjournalist transportiert Konterbande. Kostenlos. Trotzdem: Der Redaktionsetat von „Kontraste“, mit Posten „under cover“ ist angespannt. Der Schwund wird in Kauf genommen. Der Zweck heiligt die Mittel.

Die Staatssicherheit ist weit davon entfernt, ihren Frieden mit den Aktionen zu machen. Sie sucht, sie verfolgt. Im Wissen um unkalkulierbare Risiken müssen die, die für „Kontraste“ drehen, Stahlseile als Nerven haben. Zwei von Ihnen: Aram Radomski, der Fotograf, Siegbert Schefke, ehemals Bauleiter in der Platte. Zwei vom Prenzlauer Berg. Politisch beheimatet in der „Umweltbibliothek“, einem Zentrum der Opposition. Schefke und Radomski üben. Und werden perfekt. Um mit schnellem Wechsel von Autos, dem Balancieren über Dächer, getarnten Verstecken, den Verfolgungen durch die Stasi zu entgehen. Für die „Führungsoffiziere“ in der „Kontraste“-Redaktion im sicheren Port West-Berlin bedeutet das Arbeiten im Untergrund und innerhalb von Netzwerken eine Belastung. Verantwortung. Sie können ihr nicht gerecht werden. Könnte, würde DDR-Anwalt Vogel helfen? Einmal hat er es getan. Am 9. Oktober 1989 sitzen Schefke und Radomski auf einem Turm in Leipzig. Der Pfarrer hat erst gezögert, dann hat er gewährt, den Aufstieg. In Leipzig ist an diesem Tag für Westjournalisten abgeriegelt. Vom Kirchturm aus aber werden die ungezählten Demonstranten, die um den Leipziger Ring ziehen, mit Kerzen in den Händen, zivil vom Scheitel bis zur Sohle, gefilmt. Die Bilder gehen um die Welt. Als Beginn einer Revolution, die ein Unikat ist. Weil sie friedlich ist und bleibt.

Zuerst mit einzelnen Personen, dann mit Gruppen ist Entschlossenheit im Bild: Es muss anders werden, damit es besser werden kann.

Wer kennt in der DDR Bärbel Bohley, Katja und Robert Havemann, die Pfarrer Eppelmann und Schorlemmer, das Ehepaar Poppe? Sie werden gezeigt. Mit ihren Reden, mit ihrem Handeln. Sie und andere: Pioniere. Ihr Mut steckt an. Die trauen sich was! Warum nur die? Warum nicht wir auch? Nie zuvor hat das Fernsehen solch eine unmittelbare politische Wirkung gehabt. Wiederholung? Sie ist ausgeschlossen im Zeichen publizistischer Zersplitterung.

19.Dezember 1989 in Dresden. Am Abend, nach der umjubelten Rede Helmut Kohls vor der Frauenkirche. Das Magazin kommt von einem Elbufer. Aus dem „Tal der Ahnungslosen“, weil Westfernsehen nicht zu empfangen ist. Zuversicht. Ein Mann möchte uns die Sprungdeckel-Uhr seines Großvaters schenken: „Dass ich das noch erleben durfte!“ In eins nun die Hände. In Deutschland. In Europa. Auch in der Welt. Schluss mit dem kalten Krieg. Aber so ist das nun mal in der Geschichte: Vorgegeben ist nichts. Es kommt immer anders als man denkt. Neue Unübersichtlichkeiten sind an die Stelle klarer Scheidungen getreten. Ihnen muss sich „Kontraste“ nun widmen. Vielleicht über die nächsten fünfzig Jahre hinaus.

Jürgen Engert, Jahrgang 1936, war ab 1983 Leiter der Hauptabteilung Politik beim SFB und ab 1987 Chefredakteur Fernsehen. Von 1984 bis 1998 moderierte er zudem das Politmagazin „Kontraste“ in der ARD.

„Kontraste“, ARD, 18. Januar, 21 Uhr 45. „Die Lange-Kontraste- Nacht“, RBB-Fernsehen, ebenfalls 18. Januar, 23 Uhr 45

Der Blick nach vorn: 50 Jahre „Kontraste“, 618 Sendungen, rund 2,5 Millionen Zuschauer im Durchschnitt, zuletzt bei der Quote hinter den anderen ARD-Politmagazinen. Matthias Deiß, seit Jahresanfang Redaktionsleiter von „Kontraste“, will den Anspruch „das einzige ARD-Politmagazin aus Berlin“ in jeder Sendung mit Leben füllen und den Standortvorteil nutzen: mit Berlin als Stadt der großen Brüche, zugleich Sitz der Bundesregierung. „Kontraste“ soll investigativ bleiben, aber zusätzlich politische Prozesse erklären.

Ein anderes Ziel: Die Wahrnehmbarkeit der Marke stärken – im RBB, im ARD-Programm und im Netz. „Kontraste“ soll auch in der Zeit zwischen den Sendungen präsent bleiben. Auf Facebook startet dazu in Kürze eine Internet-Sendung, die das Thema der vorausgegangenen Sendung aufgreift, das besonders für Diskussionen gesorgt hat. Die Zuschauer können Nachfragen stellen oder mit der Redaktion im Internetstudio diskutieren.

Die Recherchen von „Kontraste“ sollen zudem verstärkt über andere Kanäle von RBB und ARD wie online RBB24 und Tagesschau.de oder das „Mittagsmagazin“ im TV ausgespielt werden – aber immer unter dem eigenen Label „Kontraste“. sag

Jürgen Engert

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