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Kultur: Kinder des Olymp

Die Berliner Kunstwelt ist permanent in Bewegung. Orte, Projekte, Partner - wenn eine Tür zufällt, gehen anderswo drei neue auf. Was man aber braucht, ist Flexibilität.

Neulich auf der Linienstraße, die abendliche Sonne schien, vor der Tür des Hauses Nummer 141 standen einige Leute mit einer Flasche Bier in der Hand, plauderten. Dann und wann ging jemand herein, um sich ein neues Getränk zu holen oder die Kunst anzuschauen, die hinter dem Schaufenster an den Wänden hing. Ein Bild des Friedens, ja fast der Idylle, eine klassische Vernissage in einem der über 150 Projekträume Berlins. Pierre Granoux hat sich mit seinen Künstlern auf Wanderschaft begeben. Normalerweise residiert der französische Kurator mit seinem Off-Space „Lage Egal“ im Bötzow-Viertel in der Danziger Straße. Für sieben Monate gastiert er nun mit „Les Enfants de Bötzow“ in wechselnder Besetzung im Scheunenviertel, wo in den Neunzigern das Kunstwunder Berlins begann und nun zwei Jahrzehnte später der Prozess der Gentrifizierung fast abgeschlossen ist. Improvisierte Kunsträume finden sich kaum noch hier. Ausstellungen eröffnen, Geldgeber suchen, alle paar Jahre, wenn die Mieten steigen, neue Räume finden - das gehört zum Alltag der kleinen wie großen Galerien. Seit einiger Zeit aber hat sich der Takt für einen Wechsel des Standorts beschleunigt. „Les Enfants de Bötzow“ spielt mit diesem Moment des Abschieds. Der Titel erinnert an die Filmdokumentation „Die Kinder von Golzow“, in der die Bewohner eines brandenburgischen Dorfes vierzig Jahre mit der Kamera begleitet wurden. Cineasten mögen auch an Marcel Carnés „Kinder des Olymp“ denken, bei denen die Sache bekanntlich nicht gut ausging. Sechstausend solcher „Kinder“ leben in Berlin, sie sind das Potenzial der Kunststadt, auf ihnen gründet ihr Ruf. Sie gilt es zu schützen, manchmal auch vor sich selber, wenn durch den Markt zu großer Druck aufgebaut wird. Manchmal hilft es, an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Gewiss, ohne Galerien geht es nicht, sie sind der Motor von Künstlerkarrieren. Sechshundert, grob geschätzt, gibt es hier, nur einige wenige machen allerdings das große Geld. Verdient wird meistens mit der Kundschaft außerhalb Berlins, was in merkwürdigem Widerspruch steht zum Image der Stadt als Domizil der Sammler. Diesen Ruhm verdankt Berlin einigen wenigen Enthusiasten, die ihre privaten Räume der Öffentlichkeit zugänglich machen. Nicht nur Künstler und Galeristen müssen in Berlin Mobilität beweisen, auch Sammler ziehen immer wieder um oder gehen mit ihrer Kollektion vorübergehend auf Wanderschaft, wie Barbara und Axel Haubrok, die mit Arbeiten von Olafur Eliasson, Elmgreen & Dragset und Christian Slominski ein Gastspiel im Hebbel am Ufer gegeben haben. Hier deuten sich neue Allianzen an. Die Akteure des Kunstbetriebs müssen nicht nur räumlich flexibel sein, sondern sich auch neue Partner suchen. Die einzige Beständigkeit besteht in der Veränderung, die Grenzen zwischen den Sparten fließen. Mit der Berufung von Chris Dercon ist dem Theater bereits eine solche Öffnung verordnet worden, der Wechsel des Direktors der Tate Modern in London als Intendant an die Volksbühne signalisiert Aufbruch. Nun sind die Museen an der Reihe. Zwar stehen sie fest gemauert, Trutzburgen gegen die Veränderlichkeit, allein durch ihre Bestimmung als Gedächtnis der Zeit. Aber was, wenn ein Haus wegen Sanierung geschlossen wird wie die Neue Nationalgalerie seit Anfang 2015? Die Leerstelle liest sich überdeutlich im Stadtbild durch das in gigantischen Lettern geschriebene Wort „ZU“ auf der gläsernen Fassade des Mies-van-der-Rohe-Baus. Woanders ist die Sammlung seitdem nicht wirklich wieder aufgetaucht, auch wenn die „Impressionismus/Expressionismus“-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie die vorher schon im Depot verschwundene Moderne wieder einmal vorgeführt hat und einzelne Werke in der Sammlung Scharf-Gerstenberg und bei Berggruen untergeschlüpft sind. Die Sammlung - zumindest ihre robusteren Teile, nicht gerade die fragilen Gemälde - soll nun im Hangar 1 des Tempelhofer Flughafens vorübergehend Quartier beziehen, so ein Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, und sich dort mit den neuesten Aktivitäten der Volksbühne verbünden. Vier, fünf Jahre später kehrt sie dann an ihren alten Standort zurück. Vermutlich werden dann manchen Besucher sentimentale Gefühle bewegen. Weißt Du noch, damals, als die gläserne Halle von Mies van der Rohe eine einzige Baustelle war? Die Sonnenuntergänge, von hier aus gesehen, gehören übrigens zu den schönsten in Berlin. Den kleinen Kiosk gleich nebenan für Getränke wird es wahrscheinlich nicht mehr geben, weil genau dort die Baugrube für das neue Museum der Moderne ausgehoben wird. Womit die nächste Umzugsgeschichte beginnt.

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