zum Hauptinhalt
Umberto Eco, 1932 - 2016

© dpa

Zum Tod von Umberto Eco: Forscher und Detektiv zugleich

Auch semiotische Erkenntnisse lassen sich wie ein Krimi erzählen: Der italienische Schriftsteller und große Intellektuelle Umberto Eco ist gestorben. Ein Nachruf.

Als Umberto Eco Mitte der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Turin sein Studium der Philosophie und Literaturgeschichte abschließen wollte, war sein Doktorvater zunächst nicht besonders erfreut darüber, was Eco ihm da als Abschlussarbeit anbot. Nicht wegen des Themas und der Erkenntnisse seiner Forschung, Eco hatte seine Dissertation über die Probleme des Ästhetischen des im 13. Jahrhundert tätigen Kirchenlehrers und Scholastikers Thomas von Aquin geschrieben. Nein, sondern in welcher Form diese Arbeit verfasst worden war.

Von „narrativer Täuschung“ sprach der Doktorvater, davon, dass Eco die Geschichte seiner Forschungen über von Aquin wie „einen Detektivroman“ erzählt habe und das nun wirklich nicht gehe. Eco war einsichtig, er wollte schließlich seinen Doktor machen, aber diese Einsicht war nur von kurzer Dauer. Denn bald nach diesem Gespräch dachte er sich, dass eigentlich „alle Forschungsergebnisse dieser Welt auf diese Weise erzählt werden müssten“: als Krimi, als Detektivgeschichte. Dies sei ihm ein lebenslanges Credo geworden.

Erzählt hat Eco diese Geschichte aus seinem Leben in dem Buch „Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“, das hierzulande zu seinem 80. Geburtstag erschien, basierend auf einer Vorlesungsreihe, die er ein paar Jahre an der Universität von Atlanta, Georgia gehalten hatte.

Der Titel lässt an eine Autobiografie denken, doch erzählte Eco darin vor allem, wie seine fünf bis dahin veröffentlichten Romane zustande kamen: Bücher eines Schriftstellers, zu dem Eco erst im Alter von 48 Jahren wurde, als er 1980 sein Debüt „Der Name der Rose“ vorlegte. Der Roman über eine Mordserie an Mönchen im 14. Jahrhundert wurde in viele Sprachen übersetzt und zum Weltbestseller. Natürlich bekannte Umberto Eco in seiner Selbstauskunft auch, wie er die Idee für diesen gelehrten Mittelalter-Thriller und Klosterkrimi hatte.

Zum einen habe er eines Tages die Namen von ein paar Mönchen auf einem Papier notiert und sich dabei gedacht, dass es vielleicht „ganz schön“ sein könnte, einen Mönch zu vergiften, während dieser dabei ist, ein geheimnisvolles Buch zu lesen und genau das dann in einem Roman zu entwickeln. Zum anderen sei ihm wieder eingefallen, wie er sich einst als 16-Jähriger in der Bücherei eines Benediktinerklosters nahe Rom verirrt hatte und dabei eines alten Folianten auf einem Lesepult angesichtig worden war: „Beim Blättern in diesem riesigen Band (...) muss ich so etwas wie einen Schauder empfunden haben. Mehr als dreißig Jahre später tauchte nun dieser Schauder aus meinem Unbewussten wieder auf.“

1975 bekam Eco in Bologna den ersten italienischen Lehrstuhl für Semiotik

So verschlungen-labyrinthisch wie viele der von Eco in seinen Romanen erzählten Geschichten ist auch die seiner akademischen und seiner Schriftsteller-Karriere. Geboren 1932 als Sohn eines Buchhalters in dem Provinzstädtchen Alessandria im Südpiemont, erlebt er in den Jahren 1943 bis 1945 die Partisanenkämpfe, die Wirren und das Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen Bergdorf mit, wo er sich unter anderem die Angst und die Zeit mit dem Lesen von Abenteuer- und Detektivromanen vertreibt. Mit dem Roman „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“ setzt er dieser Trivialliteratur-Lektüre viele Jahrzehnte später ein ganz eigenes Denkmal.

Er schreibt Gedichte, tritt in die katholische Jugend ein, studiert in Turin, und anstatt aber an der Universität zu bleiben, arbeitet Eco zunächst als Kulturredakteur beim Fernsehen, beim gerade gegründeten Staatssender RAI, als Kolumnenautor und auch als Lektor beim Verlagshaus Bompiani. Einen Namen in der geisteswissenschaftlichen Welt aber macht er sich mit seiner Studie „Das offene Kunstwerk“, einer der noch immer einflussreichsten Arbeiten zur modernen Ästhetik, begründend auf der Offenheit als zentraler ästhetischer Kategorie der Kunst: Der Rezipient eines Kunstwerks erschafft dieses förmlich mit, erst seine Interpretation macht es vollständig, gibt ihm die letztgültige Bedeutung.

Seinem Ruhm begegnete Eco mit Lust, Würde und Ironie

1975 bekommt Umberto Eco als Professor für Ästhetik und Zeichentheorie, der er zu diesem Zeitpunkt schon länger ist, in Bologna den ersten Lehrstuhl für Semiotik in Italien. Er widmet sich der praktischen semiotischen Forschung insbesondere in den Bereichen der Ästhetik und Literaturtheorie, er versucht die kulturelle Welt in ihrer Gesamtheit mit einem universalen Zeichenmodell zu durchdringen, er schreibt in seiner „Einführung zur Semiotik: „Der Mensch (...) ist ein symbolisches Wesen, und in diesem Sinne sind nicht nur die Wortsprache, sondern die Kultur insgesamt, die Riten, die Institutionen, die sozialen Beziehungen, die Bräuche usw. nichts anderes als symbolische Formen.“

Und er erinnert sich wieder an das Erlebnis mit seinem Doktorvater und dass man das Ganze auch einmal umdrehen könnte: In dem man einen Krimi schreibt, einen, der im Mittelalter angesiedelt ist, klar, weil Eco sich hier aufgrund seiner Studien gut auskennt, und in diesen so viel Zeichen und Bedeutungen wie möglich packt.

Eco ist "Der Name der Rose"

Aus dem vor allem in Italien und ansonsten nur in akademischen Kreisen bekannten Professor und Kulturwissenschaftshansdampf ist so der Bestsellerautor Umberto Eco geworden, der mit „Der Name der Rose“ seinen Stempel beim großen Lesepublikum bekommen hat.

Eco ist der Name der Rose, gewissermaßen. Der mit diesem Buch aber auch den Historienroman auf ein neues Niveau gehoben hat – und der nicht zuletzt dem Ruhm in Folge souverän begegnet ist, ihn mit „Gentilezza“, wie die Italiener sagen, und auch genauso mit Lust und Grandezza wie genügend Portionen Ironie und Selbstironie empfangen und gewissermaßen verwaltet hat: immer höflich, immer zu ausführlichen Gesprächen bereit, durchaus schon mal in seinen Stadtwohnungen in Mailand und Bologna, nicht so gern in seinem Haus auf dem Land. Wer ihn dort besuchen durfte, konnte dort nicht nur einen gern und viel rauchenden Mann aus Wörtern und Zeichen erleben, sondern gerade einen aus Büchern, ihre Zahl in seinen Domizilen geht in die Zehntausende.

Eco betonte gern, dass es nicht nur ihr Inhalt ist, der ihm wichtig war, sondern dazu ihre Form und ihre Ausstattung, ihre Typografie und ihre Papier, ihr Alter, ihre Gebrauchsspuren, ihre Geschichte. Weshalb es für ihn immer ein Erlebnis war, „das geistige Abenteuer desjenigen nachzuerleben, der es mit seinem handschriftlichen Zeugnis signiert hat.“ Was bei ihm soweit ging, dass er, so hat er es in seinem Buch „Die Kunst des Bücherliebens“ beschrieben, sich Kuriositätenkataloge Pariser Buchhändler aus dem 19. Jahrhundert besorgte oder das Buch eines Autors, der zur Zeit des 1. Weltkriegs ausgerechnet hatte, dass der Fäkalienausstoß eines Deutschen höher sei als der eines Franzosen und die Fäkalien der Deutschen überdies schlechter röchen.

"Das Buch wird bleiben, was es ist"

Ja, Umberto Eco konnte witzig sein und sich über sich selbst lachen. Als überzeugter Linker aber verstand er keinen Spaß, als Silvio Berlusconi sich erfolgreich daran machte, Italien zu einer neofaschistischen Medien-Diktatur umzubauen. Unermüdlich erklärte er seinen Landsleuten in vielen Artikeln und Essays, was schief im Land läuft.

Zu Kulturpessimismus jedoch neigte er nicht, trotz Berlusconi, und auch die Digitalisierung jagte ihm keine Angst ein. Deren Vorteile wusste er zu nutzen, ansonsten sagte er dazu: „Das Buch hat sich vielfach bewährt, und es ist nicht abzusehen, wie man zum selben Zweck etwas Besseres schaffen könnte als eben das Buch. Vielleicht wird es sich in seinen Komponenten weiterentwickeln, vielleicht werden seine Seiten nicht mehr aus Papier sein. Aber es wird bleiben, was es ist.“

Und so zeigte er sich auch beim Bücherschreiben enorm produktiv. Er verfasste weitere Romane wie „Das Focaultsche Pendel“ und „Der Friedhof in Prag“, die beide in Verschwörerkreisen spielten, der eine im Italien der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, der andere im Paris des 19. Jahrhunderts, und mit „Baudolino“ einen weiteren Mittelalterroman. Mehr noch aber veröffentlichte Eco zahlreiche semiotisch-philosophische, literatur- und kulturkritische Abhandlungen; Bücher wie „Die Geschichte der Schönheit“, wie „Lüge und Ironie. Vier Lesarten zwischen Klassik und Comic“ oder „Die unendliche Liste“, einer Poetik der Liste, die von Homer bis Warhol reicht.

In diesen Büchern verstand Eco es stets vorzüglich, das weite Feld zwischen Hoch- und der Populärkultur auszumessen, da zeigte er sich als in allen Kunstgattungen als bewanderter Gelehrter. Darin schien er stets mehr in seinem Element zu sein als in den Romanen gerade nach „Die Name der Rose“, die mit ihren „Ideen-Keimzellen“, Doppelkodierungen und postmodernen Spiegeleien zwar eine schöne Herausforderung darstellen, aber, hat man das Spiel durchschaut, nicht mehr recht von der Stelle kommen.

Als Schriftsteller, als genuiner Erzähler, ist Eco nie so großartig gewesen wie als Intellektueller, als Zeichenleser und Zeitinterpretierer. Das demonstriert auch sein letzter Roman „Nullnummer“, ein Kolportage-Roman aus dem Medienbetrieb der frühen neunziger Jahre, der theoretisch zwar interessant ist hinsichtlich der Zeichenlehre von Nachrichten (von ihrer medialen Aufbereitung bis zu ihrer Inszenierung), aber praktisch eher öd. Doch das hat ihn nicht angefochten. Eco hatte beim Romanschreiben nicht die Ewigkeit im Sinn, dafür hat er zu gern für den Tag geschrieben. Und überhaupt wusste er, dass Bücher, ob sie nun die Wahrheit offenbaren oder lügen: „Sie lehren uns immer etwas über die Vergangenheit.“ In der Nacht zum Samstag ist Umberto Eco im Alter von 84 Jahren in Mailand an Krebs gestorben.

Zur Startseite