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Cover des Buchs "Bootsmann auf der Scholle" (1959).

© Belz Kinderbuchverlag

Zum Tod von Kinderbuchautor Benno Pludra: Im Meer der Sprache

Das Meer war für ihn die Welt - und Erwachsene hielt er nur für gestrandete Seeleute: Zum Tod des Kinderbuchautors Benno Pludra.

Er war ein Seelenformer, zuständig für die ersten großen Beschriftungen dieses merkwürdigen Organs, das weder nur denkt, noch bloß fühlt, es ist vielmehr ein Denkfühlen, ein Fühldenken, und Menschen, die sich hauptberuflich für die ersten Eintragungen darauf zuständig fühlen, nennt man auch Kinderbuchautoren.

Benno Pludra war neben Ottokar Domma wohl der größte Kinderbuchautor der DDR. Wahrscheinlich weiß jeder Ostgeborene unter den bis zu Sechzigjährigen noch immer fast alle Titel seiner Bücher auswendig: „Bootsmann auf der Scholle“, die Geschichte eines jungen Hundes, der allein auf einer Eisscholle in der Ostsee abtreibt. Oder die „Reise nach Sundevit“ über die große Sehnsucht eines kleinen Jungen nach dem großen Meer. Oder „Tambari“, die Biografie des morschen Fischkutters, der dem alten Seemann Luden Dassow gehörte, der nun tot ist. Aber sein einziger Freund, der Fischersohn Jan Töller, versucht, Tambari zu retten. Die ersten Sätze klingen so: „Mit dem Sturm in der Nacht, unterm jagenden Mond, glashart und grün kam das Eis. Endlos heran, aus dem Bodden heran – man hatte noch nie so viel Eis gesehen. Den Kutter Tambari traf es zuerst.“ Ist das eine kindgerechte Sprache?

Schöne Sätze machen glücklich

Pludra hätte sie verachtet, er wusste, dass die Kleinen und die Großen bei einer leisen Überforderung am besten lernen. Auffällig ist, dass dieser Autor in seinen Büchern immer die DDR vergaß. Bei „Lütt Matten und die weiße Muschel“ fiel ihm das auch auf. Moment mal, was schreibst du da eigentlich, fragte er sich, da fehlt doch die Gesellschaft! Aber dann habe er sich daran gewöhnt, genau wie sein Verlag.

Niemand wollte bei Pludra Kosmonaut werden, in die Pionierorganisation eintreten oder „Altstoffe“ sammeln. Das läge zuletzt daran, dass man über die DDR und die Pionierorganisation keine schönen Sätze machen konnte, erklärte Pludra einmal dieser Zeitung. Schöne Sätze aber seien wichtig, denn sie machen glücklich. Ungefähr so wie die See. Und genau genommen war die Sprache für den Sohn eines Metallgussformers aus Lauchhammer in der Niederlausitz ohnehin nur Meerersatz.

Cover des Buchs "Heiner und seine Hähnchen" (1962).
"Heiner und seine Hähnchen" (1962).

© Der Kinderbuchverlag

1942, mit sechzehn Jahren, ging er an Bord des Segelschulschiffs Padua, um Kapitän zu werden. Er brachte es jedoch nur bis zum Schiffsjungen. Aber das störte ihn nicht, denn in seinen Büchern waren die abenteuerlichsten Kerle auch alle mal Schiffsjungen. Als die Padua ohne ihn weitersegelte, heuerte er auf einem großen Dampfer an, es war aber keine glückliche Reise, denn der Dampfer ging unter. Der Schriftsteller in ihm, von dem er noch nichts wusste, registrierte genau den ungeheuren Sog des sinkenden Schiffes, aber auch, dass etwas ihn nach oben zog, immer wieder. Er überlebte. Den Rest des Krieges saß der Gerettete in den Dünen von Dänemark, sah hinüber nach Deutschland und wartete, dass es vorbei war.

Pludra wollte nie für Erwachsene schreiben

Benno Pludra
Benno Pludra

© dpa

Er ist nicht wieder zur See gefahren. Es gab doch keine Schiffe mehr nach 45, nicht mal in Hamburg, sagte er. Er studierte ein wenig, Germanistik und Geschichte, aber was weiß die Wissenschaft von der Seefahrt? Wissenschaft bedeutet lebenslang, auf dem Trockenen zu sitzen, also wurde er zum leicht verbummelten Redakteur einer leicht verbummelten Programmzeitschrift, als er 1950 an einem Preisausschreiben für Kinderliteratur teilnahm. Der erste Preis war seiner.

Und so ging das weiter. Seine Bücher wurden verfilmt (darunter Heiner Carows „Die Reise nach Sundevit“ 1966, Ulrich Weiß’ wunderbare „Tambari“-Adaption 1977), ihren Absatz zählte er nach Millionen. Nach 1990 wurde das ein wenig anders. 1992 bekam er für sein erstes Nachwendebuch „Siebenstorch“ den Jugendliteraturpreis.

Benno Pludra hatte nie Lust, für Erwachsene zu schreiben. Er hielt Erwachsene für gestrandete Seeleute. Natürlich wohnte er mit Blick auf das Wasser, in Fahrland bei Potsdam: In der Ferne glitzerte der Havelkanal. Er hatte also Verbindung zur Ostsee, das war wichtig. Am 27. August ist Benno Pludra mit 88 Jahren in Potsdam gestorben.

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