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Henning Mankell im schwedischen Küstenort Säro in der Nähe von Göteborg.

© Hartmut Schwarzbach / argus

Zum Tod von Henning Mankell: Gegen den Wind

Mit den Romanen um den depressiven Polizisten Kurt Wallander wurde Henning Mankell weltberühmt und Stil bildend. Mankell lebte in Afrika, kämpfte gegen Hunger und Armut. Nun ist er mit 67 Jahren in Göteborg gestorben.

Als Henning Mankell 2014 sein letztes, dieser Tage auch auf Deutsch unter dem Titel „Treibsand“ erschienenes Buch veröffentlichte, widmete er es neben seiner Ehefrau explizit zwei Menschen, die im Jahr 79 nach Christus beim Vulkanausbruch in Pompeji ums Leben kamen, dem Bäcker Terentius Neo und dessen Ehefrau. „Ihnen kann nicht viel Zeit geblieben sein, um zu verstehen, was geschah“, schreibt Mankell in seiner Widmung. „Sie starben mitten im Leben, begraben von der Asche und der glühenden Lava.“

Diese Sätze dokumentieren gut, wie es Mankell ergangen sein muss, als er vor knapp zwei Jahren erfuhr, dass seine Nackenschmerzen nicht auf einen Bandscheibenvorfall beruhten, sondern ihre Ursache in einem bösartigen Lungentumor hatten. Als mitten im Leben stehend hat Mankell sich kurz vor der Diagnose noch empfunden, damals war er 65 Jahre alt, trotz eines Testaments, das er erst ein paar Monate zuvor und ohne Krankheitssymptome oder Todesahnungen aufgesetzt hatte, um bestimmte Dinge einfach geregelt hinterlassen, aber auch um die eigene „Sterblichkeit anzuerkennen“: „Wenn man tot ist, ist man tot, dann kann man keinen Einfluss mehr nehmen.“

Doch anders als die Einwohner Pompejis ist Mankell, der am Montagmorgen in Göteborg den Folgen seiner Krebserkrankung erlag, genug Zeit geblieben, um zu verstehen, um das eigene Dasein und den Tod reflektieren zu können, um nicht in eben jenem Treibsand zu versinken, als den er die Tage nach der Diagnosestellung empfand. Und das Mittel dafür hatte er als Schriftsteller natürlich auch. Weshalb er sich entschloss, in Kolumnen über sein Leben mit der Erkrankung zu schreiben, und zwar „genau so zu schreiben, wie es ist. Über den schweren Kampf, der es immer ist. Aber ich habe vor, aus der Perspektive des Lebens, nicht des Todes zu schreiben.“

Seine letzten Kolumnen: eine Auseinandersetzung mit der Krankheit, mit dem Tod

Um diese Kolumnen hat er auch sein letztes Buch erweitert, das er schon vorher begonnen hatte, um seine Auseinandersetzung mit der Krankheit, ein Vermächtnis, das trotzdem ganz anders geworden ist als vergleichbare letzte biografische Bücher: eine Mischung aus Lebenserinnerungen, insbesondere an die Kindheit, und kulturgeschichtlichen, in die Tiefe der Zeit weisenden Betrachtungen sowie Fragen wie diesen: „Gibt es andere Welten? Oder nur das Dunkel? Was gab es vor der Zeit und dem Raum? Was gab es, bevor es überhaupt irgendetwas gab?“

Das sind natürlich Fragen, die sich angesichts des Todes umso drängender stellen, die vielleicht für eine Beruhigung sorgen. Wie unwesentlich ist doch die eigene Existenz! „Die Wahrheit über unser Dasein“, so Mankell in „Treibsand“, „ist immer provisorisch“. Doch ungeachtet dessen hat Mankell, hart arbeitend, auch in den letzten Wochen und Monaten noch Interviews gegeben, hat über sich, sein Leben und Werk genauso Auskunft gegeben wie über die Flüchtlingskrise in Europa. Und natürlich musste er dabei immer mal wieder die Frage beantworten, als was er in Erinnerung bleiben möchte: als Erfinder des Kommissar Kurt Wallander oder als jemand, der sich stets für die Belange des afrikanischen Kontinent eingesetzt und gegen Hunger und Armut gekämpft hat, der vor Ort tätig war, als Betreiber eines Theaters in Mozambiques Hauptstadt Maputo, und der dort 30 Jahren die Hälfte des Jahres seinen Lebensmittelpunkt hatte.

Henning Mankell ist diesen Fragen nach seinem Nachruhm lieber ausgewichen. Darüber mochte er nicht spekulieren, wohl wissend, dass das so eine Sache ist mit seinen Kriminalromanen und deren Hauptfigur. Denn als Anfang der neunziger Jahre der erste Wallander-Krimi erschien, „Mörder ohne Gesicht“, machte ihn dieser schlagartig berühmt. Mit den folgenden Romanen begründete Mankell überhaupt den Boom der skandinavischen Kriminalliteratur, insbesondere in Deutschland, und von den 40 Millionen Exemplaren, die von Mankell weltweit verkauft worden sind, geht der größte Teil auf Wallander-Krimis, zu schweigen von den vielen Fernsehverfilmungen mit dieser Figur, dargestellt von Rolf Lassgårdt, Kenneth Branagh und Krister Henriksson.

Afrika wurde zu seinem Sehnsuchtskontinent

Henning Mankell im schwedischen Küstenort Säro in der Nähe von Göteborg.
Henning Mankell im schwedischen Küstenort Säro in der Nähe von Göteborg.

© Hartmut Schwarzbach / argus

Kurt Wallander, das ist dieser knurrige, manchmal lebensuntüchtige, manchmal depressive, meist einsame, an der Welt leidende Ermittler: geschieden, eine Tochter, Linda, dazu übergewichtiger Trinker und Diabetiker. Kurzum: der Prototyp des kaputten, unglamourösen Biedermanns, wie er einem in Folge in so vielen anderen deutschen und skandinavischen Krimis begegnen sollte. Und das Land, in dem er lebt, Schweden, ist allem Anschein auch nicht so wohl geordnet, wie es das gern hätte, zumal die Welt drumherum ja noch existiert und die Bedrohungen nicht selten in den Wallander-Krimis von außen kommen. Nach dem achten Band, „Die Brandmauer“, sollte Schluss sein, doch erschien immer noch ein Wallander und noch einer, ein Band mit seinem allerersten Fall und Erzählungen, einer mit Tochter Linda als Ermittlerin, ein Wallander-Kurzkrimi und schließlich ein wirklich allerallerletzter, der offiziell zehnte „Der Feind im Schatten“, hierzulande 2010 erschienen.

Darin hat manche Figur aus früheren Romanen einen Auftritt, aber natürlich muss insbesondere Kurt Wallander noch einmal ran, obwohl er im Urlaub ist: an einen Fall in der eigenen Familie, der angeheirateten von Tochter Linda. Es geht um das mysteriöse Verschwinden ihres Schwiegervaters, eines U-Boot-Kommandanten der schwedischen Marine, und auch das seiner Frau, die schließlich tot aufgefunden wird. Auch Wallander wird irgendwann verschwinden, das stellt sich nach und nach heraus, aber es ist ein Verschwinden auf andere Art. Er ist an Alzheimer erkrankt. Kann aber noch Sachen sagen wie: „Ich bin immer noch die verwirrte Gestalt an der Peripherie des großen politischen und militärischen Geschehens. Heute wie damals bin ich eine ängstliche und unsichere Randfigur.“

Damit kennzeichnete Mankell ein letztes sehr schön die Anlage seiner Figur, seine Disposition – selbst wenn die Größe von Wallanders Aufgaben, die Brisanz seiner Fälle, deren gesellschaftlich-politischen Konnotationen nicht immer darüber hinwegtäuschen, dass es in diesen Krimis oft ein wenig gemächlich zugeht, man sich bei der Lektüre desöfteren etwas mehr Knackigkeit, mehr literarische Brillanz wünschte.

Worüber aber die Wallander-Romane und ihr großer Erfolg hinwegtäuschten: Dass Mankell ein Leben davor hatte, ein arbeitsames und engagiertes zu den Zeiten ihrer Entstehung und danach. Geboren 1948 als Sohn eines Richters in Stockholm, wuchs er nach der Trennung seiner Eltern beim Vater und der Großmutter auf. Im Alter von 15 Jahren verließ er die Schule, heuerte als Matrose bei der Handelsmarine an und begann nach zwei wilden Pariser Jahren in den sechziger Jahren 1968 als Regieassistent in Stockholm zu arbeiten. Er debütierte 1979 mit dem Roman „Das Gefangenenlager, das verschwand“, schrieb weitere Bücher und arbeitete an mehreren schwedischen Theatern.

Afrika jedoch wurde zu seinem Sehnsuchtskontinent, Hier reiste er 1972 erstmals hin, hier unterstützte er eine Initiative zugunsten von Kindern Aids-kranker-Eltern, hier war er bei der deutschen Initiative „Partnerschaft für Afrika“ federführend mit dabei, und er schrieb Theaterstücke und Afrika-Romane wie „Der Chronist der Winde“, die versuchen, wie er das einmal in einem Interview sagte, „konkrete Folgen einer sich globalisierenden Ökonomie zu zeigen.“ Im Mittelpunkt dessen immer wieder: das Individuum, der einzelne Mensch. Und wie sagt er das ganz am Schluss seines Buches „Treibsand“: „Es gibt nichts Erschreckendes an all diesen Menschen, die mich umgeben und im Verlauf meines Lebens umgeben haben. Sie erwecken ein Gefühl von Neugier in mir. (...) Alle diese unbekannten Menschen sind mir nahe.“ Auch solche Worte sind ein schönes, wertvolles Vermächtnis.

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